7. September 1968: Unser Wald will erst verdient sein
7.9.2018, 07:00 UhrImmer wieder wird versucht, hier eine Ecke, dort eine riesige Fläche für Neubauten abzuzwacken. Für viele ist er nichts anderes als willkommenes Reservegelände für neue Siedlungen. Auf der einen Seite stehen die Forstleute, die seit Jahren dafür kämpfen, trotz aller Hindernisse, wie •sinkende Holzpreise sind steigende Investitionskosten den Wald zu erhalten, auf der anderen Seite die Städteplaner, die ihn bedrohen.
So ist es nicht verwunderlich, daß sich der Deutsche Forstverein gerade Nürnberg für seine Jahresversammlung mit über 1.000 Teilnehmern vom 10. bis 14. September ausgesucht hat. Denn alle Schwierigkeiten die unter dem Leitthema der Tagung „Zukunft der deutschen Volkswirtschaft“ .erörtert werden sollen, beschäftigt seit Jahren die Nürnberger Forstleute. Die Theorie im Saale läßt sich durch das praktische Beispiel unmittelbar vor der Haustür ergänzen.
Kaum eine Großstadt darf sich rühmen, einen so breiten Grüngürtel zu besitzen wie Nürnberg. Im Süden, Norden und Osten wird es vorn Wald umrahmt. So war es schon vor Jahrhunderten, der Waldplan aus dem Jahr 1516 im Germanischen Nationalmuseum beweist es. Allerdings ist inzwischen die Stadt weit vorgedrungen und droht, sich noch weiter auszubreiten. Seit 1820 hat sie schon ein Sechstel der Waldfläche „aufgefressen", nämlich rund 5.000 Hektar.
„Die Bewohner brauchen Lebensraum und Wald ist ja genügend da", ist eine verbreitete Ansicht. Dabei denkt allerdings niemand an die vielfältigen Aufgaben, die der Wald erfüllt und die sich nicht in Heller und Pfennig aus-rechnen lassen.
Als größter natürlicher Wasserspeicher versorgt der Reichswald nicht nur Nürnberg, sondern auch Erlangen, Feucht, Worzeldorf, Röthenbach, Wendelstein und viele andere kleine Orte mit Trinkwasser, das entweder direkt aus dem Waldgebiet oder aus Brunnen im Pegnitz- und Schwabachtal entnommen wird. Der breite Grundwasserstrom unter dem Sebalder Reichswald erhält dem Knoblauchsland die Fruchtbarkeit des Badens. In anderen Großstädten klagen die Bewohner über Dunstglocken über den Wohngebieten, über Unverträglichkeit des Klimas und über mangelndes Wohlbefinden.
Nürnberg - obwohl Industriestadt - kennt dieses übel nicht. Da sich die Luft über Siedlungen schneller erhitzt als über Grünflächen, entstehen starke Strömungen, die ständig die reine Waldluft in die Stadt saugen. Als riesiges Naherholungsgebiet wird der Reichswald von den luft- und naturhungrigen Großstadtmenschen am meisten geschätzt. „Ich ging im Walde so für mich hin", bedeutet für den Nürnberger nichts besonderes, denn er kennt kaum Verkehrsprobleme, wenn er das Wochenende im Grünen verbringen will.
Er braucht sich nicht mit dem Auto auf verstopften Straßen im Schrittempo voranzuquälen. sondern kann vor der Haustür in die Straßenbahn einsteigen. An der Endstadion angelangt, beginnen die schönsten Wanderwege. Außerdem führen unzählige Straßen bis an den Waldrand heran.
Waldparkplätze werden laufend erweitert, so daß immer mehr Spaziergängern das Wandern schmackhaft gemacht wird. Gut ausgebaute und markierte Wege von verschiedener Länge führen durch landschaftlich schöne und abwechslungsreiche Gegenden im Kreis zurück zum fahrbaren Untersatz. Denn der viel geschmähte „Steckerlaswald" ist in vielen Gebieten längst nur noch Legende.
Die neuen Lehrpfade von Moorenbrunn zum Zollhaus und von Buchenbühl entlang am Kotbrunnengraben nach Kraftshof vermitteln den Naturfreunden Kenntnisse über alle Holzarten und Waldpflanzen. Ruhebänke, Spiel- und Liegewiesen, Reitwege und Rodelbahnen, Golfplatz und kleine Weiher, all das bietet der große „Naturpark" am Rande der Stadt seinen Besuchern. Romantische Schluchten, Felsen und verwachsene Steinbrüche passen sich in das Bild des Waldes in idyllischer Schönheit ein.
Entgegen der landläufigen Meinung verfügt gerade der gepflegte und gehegte Wirtschaftswald und nicht der wild wuchernde „grüne Dschungel" über all diese Vorteile. Er setzt allerdings eine planmäßige Forstwirtschaft voraus, die sehr viel Geld kostet Wollte man den Wert des Waldes nur als Rohstofflieferant oder bestehendes Vermögen wie anderes Gelände einschätzen, müßte man ihn als reinen Zuschußbetrieb ansehen, der sich niemals rentieren wird. Denn die Erträge aus dem Holzverkauf decken nicht einmal die Unkosten, zumal bei kleinerem Privatbesitz.
Auch in der Forstwirtschaft steigen ebenso wie in der Landwirtschaft die Investitionen, denn Arbeitskräfte sind teuer und Mangelware. Die Bewirtschaftung muß mit Maschinen rationalisiert werden. Motorsägen, Entastungsgeräte und viele andere komplizierte Maschinen gehören zu den notwendigen Anschaffungen. Ohne die Erkenntnisse der Forschung geht es heute nicht mehr, wenn ein gesunder Mischwald einen Mindestwaldbestand sichern soll.
Welche Folgen wirtschaftliches Ertrags-denken haben kann hat gerade der Nürnberger Steckerlaswald bewiesen. Denn nicht immer verlieh die Kiefer dem Reichswald sein Gepräge, sondern knorrige Eichen und mächtige Buchen. Erst im 19. Jahrhundert, als zu Beginn der Industrialisierung der Rohstoff „Holz" sehr begehrt war, kam man auf den Gedanken, in des „Deutschen Reiches Bienengarten" Monokulturen schnellwachsender Holzarten anzulegen. Dabei verfiel man auf die Föhren, zumal sie viel Licht brauchen und deshalb die Äste entlang des Stammes abwerfen und nur eine Krone tragen.
Dadurch erhielt man gutes Holz aus den Schäften. Damals hatte man allerdings noch nichts von Bodenausbeutung, chemischer Zusammensetzung, Anfälligkeit für Schädlinge bei Monokulturen, Säuerung des Bodens und anderen Nachteilen gehört. So wurde innerhalb eines Jahrhunderts der Waldboden so schlecht, daß beinahe keine anderen Pflanzen und Bäume als Kiefern mehr gewachsen wären. Erst nach dem zweiten Weltkrieg begann die systematische Aufforstung. Es kostete viel Mühe, wieder Mischwald anzusiedeln.
Doch der Erfolg gibt den Forstleuten Recht. „Wir staunten selbst, was aus dem Boden herauszuholen war", erzählt Oberforstmeister Link. Inzwischen sind die jungen Kulturen genauso hoch gewachsen wie die viel zitierten „Steckerla". Der Boden hat sich durch den natürlichen Dünger wieder erholt: Diese sorgfältige Pflege des Waldes knüpft an eine nahezu 600jährige Tradition in Nürnberg an, denn der Reichswald stellt ein gutes Stück der Forstgeschichte dar. In ihm erprobte man erstmals Nadelwaldsaaten und stellte fest, daß der Wald nach dem Willen und zum Nutzen des Menschen gestaltet werden kann; die Bewirtschaftung begann.
Ein wechselvolles Schicksal erlebten die ausgedehnten Waldungen, die einst Bannforste der Kaiser und Reichsdomänen waren, später Lehensbesitz alter Forstmeisterfamilien, der Burggrafen von Nürnberg und der Freien Reichsstadt wurden. Nach dem Wiener Kongreß wurden sie als Eigentum der Bayerischen Krone und später dem Freistaat Bayern zugeschlagen.
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