8. Oktober 1969: Respekt für die Neuen im Kostüm

Rudolf Pilous

8.10.2019, 07:00 Uhr
8. Oktober 1969: Respekt für die Neuen im Kostüm

© Holzknecht

Gilt dieses Urteil auch für die Clowns von heute noch? Unser Redaktionsmitglied Rudolf Pilous ging dieser Frage auf den Grund. Er schlüpfte in das bunte Kostüm eines Spaßmachers und trat Seite an Seite mit „Ball-Ricco“, „Evaristo“, „Bimbo“ und „Jo-Jo“ in der Manege auf. In nachstehenden Bericht schildert R. P. seine Eindrücke.

Lampenfieber schon am Morgen

„Oh, mein Papa, wie war er herrlich anzuschauen“ – Nun, ob mein Vater früher viel angeschaut worden ist, weiß ich nicht, aber ein großer Künstler in des Wortes wahrster Bedeutung war er bestimmt nicht, genauso wenig wie sein Sohn, 32 Jahre alt oder jung, wie man will. Es sei denn, daß das Lampenfieber, das mich schon am frühen Morgen beim Rasieren wie eine Krankheit „anfiel“, ein richtungsweisendes Zeichen ist.

8. Oktober 1969: Respekt für die Neuen im Kostüm

© Holzknecht

Jedenfalls melde ich mich um 18.30 Uhr weitaus aufgeregter als bei meinem ersten Interview bei „Ball-Ricco“, den ich heute abend – weil es den lieben Kollegen so gefiel – „doubeln“ soll. Wer „Ricco“ ist? Mit bürgerlichem Namen heißt er Richard Meininger. Als Ricardo Morelli, der Mann mit den zwölf Stüh-len, erweckte er erstmals weltweites Aufsehen. Heute ist er der einzige Clown der Welt, der alt und jung gleichermaßen unterhält. Sein Spezialtrick: „Jeder Gast ein Rastelli“ machten ihn bei Millionen Menschen in bisher 13 Nationen bekannt.

„Ricco“ ist seit 35 Jahren Clown

In der Sängerstadt Finsterwalde erblickte er das Licht dieser Welt. Nächstes Jahr kann der 44jährige „Ricco“ auf eine 35jährige Tätigkeit als Akrobat und Clown zurückblicken.

Mit den Sportgrößen der Vergangenheit und der Gegenwart, mit Max Schmeling und Sepp Herberger, mit Pelé und Cassius Clay, steht er genauso auf Du und du wie mit den Stars der Show-Branche, mit der Italienerin Silvana Pampanini oder mit Caterina Valente. Der Nichtraucher und Abstinenzler, Familienoberhaupt mit Frau und drei Kindern, verehrt Caterina sehr. Am letzten Sonntag brachte er ihr sogar Freude ans Krankenbett im „Deutschen Hof“; wir haben darüber berichtet, daß das Konzert der Sängerin wegen einer schweren Erkältung abgesagt werden mußte. Caterina aber freute sich über „Riccos“ Besuch so, daß sie ihm spontan versicherte: „Bei meiner nächsten Fernsehschau bist du dabei!“

Überhaupt scheint „Ricco“ überall Freude zu stiften und Freude zu hinterlassen. Bellachini, der Altmeister der Zauberkunst, kommt mit Krückstöcken, gezeichnet von einem schweren Schicksal. Blinde klopfen an den Wohnwagen. Für sie ist „Ricco“ ein Licht im Schattendasein. Heute früh wird er Kinder in der Dr.-Erler-Klinik aufheitern, und dann will er ein Zirkusspiel für Kinder verlegen lassen.

Clown für einen Abend

Nach dem großen Finale löst sich die Spannung – „Toi, toi, toi Kollege“ hat geholfen

Mit geübten Fingern macht er aus mir sein zweites Ich. Puder, Creme, schwarze Striche ein Blick in den Spiegel: bin Ich das noch? Es folgen karierte Hosen und Jacke, Fliege und Gumminase, Schuhe mit der Größe 50 und, als Clou, der Eierkopf. Fertig Ist „Ricco II“. Doch, o Malheur: unbedacht fahre ich mit der Hand übers Gesicht. Kurz vor meiner Premiere. Mein Partner behält die Nerven, zeichnet wieder alles nach. Dann folgt die letzte Regieanweisung. Auf geht‘s zur Manege. Auf einmal stehe ich im gleißenden Scheinwerferlicht. Der Beifall der Zuschauer dringt an meine Ohren wie das Rauschen einer Meermuschel.

„Ricco“ läßt mir keine Zeit zu überlegen. Er beteiligt die Zuschauer an seinen Späßen, holt einen kleinen Jungen als Nachwuchs-Rastelli in die Manege, macht mich zum Balljoungleur, wobei der erste Versuch prompt mißlingt, und ehe ich richtig mitbekomme, wie mir geschieht, stehe ich schon wieder hinter dem Vorhang. „Na, ist doch ganz gut gegangen“, umarmt mich „Ricco“. Ich bin davon nicht so überzeugt.

Lange Nase für „Evaristo“

Als nächstes folgt der Auftritt mit „Evaristo“, „Bimbo“ und „Jo-Jo“, denen ich ebenfalls wie allen anderen Artisten für ihre freundliche Aufnahme danken muß. Allmählich gewinne ich auch mein Selbstvertrauen zurück, klatsche eifrig Balla-Balla mit, blase in kleine Pfeifen und zeige „bravisto“ – welch‘ eine Kühnheit – eine lange Nase. Dazwischen zischt mir Bimbo immer wieder zu: „Gesicht zum Publikum!“

Beifall löst die Spannung Das Finale steht bevor. Mich überkommt noch einmal ein banges Gefühl. Die Zuschauer werden ganz, schön buhen, wenn das Geheimnis von „Riccos“ Double gelüftet wird, befürchte ich. Falsch gedacht: das freundliche Klatschen nach der Demaskierung läßt so etwas wie Stolz in meiner Brust aufkommen. Wie alle anderen Artisten winke ich dem Publikum zu, als gehörte ich schon jahrelang in die Manege und nirgendwo anders hin.

Die Anspannung löst sich. Die eigentlichen Herren und Damen der Manege freuen sich wie kleine Kinder – für mich der Beweis, daß auch „alte Hasen“ noch nervös sind. Alle rufen mir zu: „Na, Kollege, wie war's?“ Kollege? Ja, das ist‘s: ich war von Anfang der Kamerad, der Kumpel, Wo gibt es das sonst noch? Deshalb kann ich nur wiederholen, was ich an diesem Abend Dutzende Male gehört habe: Toi. toi, toi, Kollegen!

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