Amtsgericht Nürnberg

AfD-Abgeordneter erstattet Anzeige wegen Instagram Story – Schuldspruch nach Mammutverhandlung

Saskia Muhs

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20.9.2024, 07:51 Uhr
Am Amtsgericht Nürnberg fand am Donnerstag eine turbulente Verhandlung statt.

© Saskia Muhs Am Amtsgericht Nürnberg fand am Donnerstag eine turbulente Verhandlung statt.

Aufruf zu Straftaten – so lautete der Strafbefehl gegen Laila K. aus Nürnberg, wegen welchem sie sich am Donnerstag (19. September 2024) vor dem Amtsgericht Nürnberg verantworten musste.

Im Juli 2023 postete sie auf ihrem privaten Instagram Account eine Story, in welcher ein AfD-Parteistand am Nürnberger Friedrich-Ebert-Platz zu sehen war. Darüber die Buchstaben "WTF" (bedeutet "What The Fuck" und steht umgangssprachlich für einen Ausdruck der Empörung). In einer weiteren Story folgten die Worte "Kann die bitte mal jemand überfahren – Danke" und ein Herz-Emoji. "Ich war sauer, über die Wahlwerbung der AfD und war total emotional", erklärt die 29-Jährige vor der Verhandlung. Bereits nach einer halben Stunde entschied sich K. laut eigener Aussage, die Story wieder zu löschen – auch weil sie Probleme befürchtete. So kam es schließlich auch, denn einer ihrer damals rund 1200 Follower hat offenbar einen Screenshot von der Story gemacht und diesen verbreitet. So landete er schließlich bei dem Landtagsabgeordneten Matthias Vogler von der AfD. Ob er direkt weitergeleitet oder seinen Weg über mehrere Ecken zu der Partei gefunden hat, ist nicht klar. Vogler erstattete schließlich Anzeige gegen Laila K., die Staatsanwaltschaft erließ Strafbefehl.

Lailas Instagram-Profil war bereits damals privat, das bedeutet, dass ihre Beiträge nur für Menschen sichtbar sind, denen Laila aktiv erlaubt, diese zu sehen. Als sie im Winter schließlich ein Brief vom Kriminaldezernat mit der Anzeige erreichte, fiel sie aus allen Wolken. "Es war ein Schock", erinnert sie sich. "Ich bin danach erstmal alle meine Follower durchgegangen und habe aussortiert, wen ich kenne und wen nicht – unter den Nutzern waren auch einige Leute aus Zeiten, in denen mein Profil noch öffentlich war."

Erster Verhandlungstermin kurzfristig abgesagt

Im Mai 2024 sollte die Verhandlung schließlich am Amtsgericht Nürnberg-Fürth beginnen. Doch 30 Minuten vor Verhandlungsbeginn wurde alles abgesagt: Der Andrang war offenbar zu groß: Mit rund 40 Menschen kamen deutlich mehr, als von der Justiz erwartet zu der öffentlichen Verhandlung. Der Richter gab damals an, er habe nicht genügend Securitypersonal. Zu viel Aufmerksamkeit, zu viel Druck, zu wenig Platz und deshalb Sicherheitsbedenken für alle Anwesenden, entschied das Gericht, und sagte die Verhandlung ab. Laila K. hatte wenige Tage zuvor bei Instagram dazu aufgerufen, durch Anwesenheit im Gericht Solidarität zu zeigen.

In einer weiteren Instagram-Story nach der Absage der Verhandlung sagt Laila: "Das ist das Beste, das hätte passieren können – ein schönes Gefühl, bin emotional überwältigt" und meint damit die große Anteilnahme, vor Ort und auch in den sozialen Netzwerken. Doch die Absage bedeutete natürlich auch: weitere Monate des Bangens, der Ungewissheit und der Anspannung. "Ich will einfach, dass es vorbei ist", sagt Laila einen Tag vor dem neuen Termin.

Erneut volle Zuschauerbänke

Letztlich wurde der Termin verschoben – auf den 19. September 2024. Mehr als 30 Zuschauerinnen und Zuschauer sind auch dieses Mal zum Gericht gekommen, um Solidarität zu bekunden, die meisten davon Unterstützer von Laila K., doch auch Vogel brachte eine Handvoll Anhänger mit. Der Beginn der auf 13 Uhr angesetzten Verhandlung verzögerte sich um fast eine Stunde, unter anderem, weil der Richter Armin Woßler, eine Personendurchsuchung von allen Teilnehmern anordnete. Zusätzlich gab es Diskussionen zwischen den Beamten vor Ort und zwei mutmaßlichen Unterstützerinnen des Anzeigenerstatters Vogler, die ohne ihren Personalausweis im Gericht erschienen. Es ist allerdings gang und gäbe, diesen auch als Zuschauer vorzeigen zu müssen, was die Damen schließlich nach längerer Diskussion mit den Beamten nicht taten. Süffisante Kommentare und frotzelnde Bemerkungen gegenüber Beamten und weiteren Zuschauern waren die Folge: Man sei rückständig, da man ein Foto eines Personalausweises auf dem Handy nicht akzeptiere, also bleibe man eben draußen und beobachte die "Vögel" – mit Blick auf die Anhängerschaft Laila K. gerichtet.

Viele Unterbrechungen - Verhandlung wird zur Mammutsitzung

Auch Lailas Anwalt Yunus Ziyal, der auch die Angeklagte im Fall "Free Hanna" vertritt, sorgte für Verzögerungen, indem er die richterlich angeordnete Durchsuchung verweigerte. Laut Ziyal sei das unüblich, genauso wie das Verbot der lautlosen Nutzung eines Mobiltelefons im Saal. Nach einigen Überzeugungsversuchen seiner Mandantin stimmte Ziyal schließlich der Durchsuchung zu und trat vor den zu diesem Zeitpunkt bereits sichtlich aufgebrachten Richter. Es folgte ein kurzer verbaler Disput – dem Gesagten zufolge gerieten der Richter und der Verteidiger bereits öfter aneinander, was für eine spürbar angespannte Stimmung während der insgesamt mehr als dreistündigen Verhandlung sorgen sollte.

Ziyal erwog einen Befangenheitsantrag, da aus seiner Sicht die Anordnung die Verteidigung unzulässig einschränkt. So kam es schon vor dem eigentlichen Beginn, direkt nach Aufnahme der Personalien, erneut zu einer Unterbrechung. Nach einer zehnminütigen Beratung mit seiner Mandantin entschied sich die Verteidigung auf Wunsch von Laila K. gegen einen Befangenheitsantrag.

Anklage fordert Geldstrafe

Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter bestraft (Abs. 1). Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Die Staatsanwaltschaft sieht in diesem Fall den Aufruf zu Straftaten als erwiesen und sieht zusätzlich einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Laut Staatsanwalt habe die Story den Anschein der Ernsthaftigkeit erweckt und es sei nicht überschaubar gewesen, wie viele Personen die Story gelesen haben oder gar bereit gewesen wären, der Aufforderung nachzukommen. Er forderte daher einen Schuldspruch und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen á 55 Euro.

Verteidigung fordert Freispruch und nimmt Justiz ins Visier

Laila K. machte von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch und ließ ihren Verteidiger sprechen. Man räume zwar die Erstellung der Posts durch K. ein, widerspricht aber dem Vorwurf, dass es sich bei der Aussage in ihrer Story um einen Aufruf zu einer Straftat handelt und plädiert daher für Freispruch. Gleichzeitig klagt Ziyal die Justiz selbst an: Es sei eine gängige Methode von Nazis, politische Gegner fälschlicherweise oder wegen Geringfügigkeiten anzuzeigen, um diese einzuschüchtern und durch den Prozess an personenbezogene Daten wie Name und Adresse zu gelangen. Diese werden üblicherweise am Anfang einer jeden Verhandlung verlesen. Es sei skandalös, dass die Staatsanwaltschaft dem Fall überhaupt stattgegeben hat und sich somit zu einem Instrument rechter Parteien mache. Seiner Ansicht nach hätte man den Fall einstellen und sich somit klar positionieren sollen. Beim Wort "Nazi" wurde seitens Voglers Anhängerschaft hörbar Unmut kundgetan, erst eine Ermahnung des Richters sorgte wieder für Ruhe im Saal.

Der augenscheinlich immer noch gereizte Richter sprach sich für eine Beratung unter sechs Augen, zwischen ihm selbst, dem Staatsanwalt und Ziyal aus. Woßler glaube, dass Ziyal sich in seiner Argumentation irre und der geforderte Freispruch auch auf höheren Instanzen juristisch nicht haltbar sei. Sein Ziel sei es, eine möglichst "geschmeidige Lösung", zu finden, auch in Hinblick auf die für die Angeklagte kostspielige Fortsetzung des Prozesses. Also zogen sich die drei Juristen in ein Hinterzimmer zurück – erneut eine Unterbrechung über rund 40 Minuten.

Anschließend begründete Ziyal den geforderten Freispruch mit nicht nachweisbarer Ernsthaftigkeit. Es habe sich hier erkennbar um eine Unmutsbekundung gehandelt, welche seiner Auffassung nach unter das Recht der freien Meinungsäußerung falle. Zudem bemängelte er die Arbeit der Ermittlungsbehörden: Einen als Zeugen geladenen Kriminalpolizisten fragte er beispielsweise, woher man wisse, dass sich "Kann die jemand bitte überfahren" auf den gezeigten Infostand der AfD beziehe, da die Worte erst in einer vom Foto separaten Story formuliert wurden und nicht klar sei, auf wen sich "die" konkret beziehe, da auf dem Bild noch weitere Objekte zu erkennen seien. Außerdem habe die Polizei nicht ermittelt, ob die gezeigten Bilder tatsächlich am selben Tag und in besagter Abfolge veröffentlicht wurden oder nicht. Zudem habe man nicht herausgefunden, wie lange die Story im Internet sichtbar war und von wie vielen Personen sie gelesen wurde. Laila K. machte nach dem Plädoyer ihres Anwalts von ihrem Recht auf das letzte Wort keinen Gebrauch und schwieg.

Vogler, der zusammen mit einem anderen Geladenen als Zeuge entlassen wurde, nahm anschließend im Zuschauerraum Platz und wurde nach einem Hinweis von der Verteidigung vom Gericht dazu aufgefordert, seinen politischen Anstecker von seinem Jackett zu entfernen.

Laila K. wird auf Bewährung schuldig gesprochen

Nach einer weiteren zehnminütigen Unterbrechung verkündete der Amtsrichter Armin Woßler schließlich sein Urteil: Er sprach Laila K. dem Aufruf zu einer Straftat für schuldig und verhängte eine Geldstrafe von zehn Tagessätzen á 55 Euro - auf Bewährung. Konkret bedeutet das, wenn K. in den nächsten zwei Jahren nicht straffällig wird, muss sie die 550 Euro nicht zahlen. Er begründete sein Urteil damit, dass die Social-Media-Beiträge eine klare schriftliche Aufforderung seien, ein Bild mit Personen und eine Ortsangabe hinzugefügt wurden, was den Tatbestand nachweise. Dies sei seiner Ansicht nach keine Meinungsäußerung und trage auch nicht zur öffentlichen Meinungsbildung ein. Er erkenne aber gleichzeitig das teilweise Schuldgeständnis der nicht vorbestraften K. an, genauso wie die Tatsache, dass sich hinter ihrer Story keine Ernsthaftigkeit verbirgt habe und auch, dass nicht klar sei, von wie vielen Menschen der Aufruf tatsächlich gesehen wurde. Es sei eine "dumme Unmutsbekundung" gewesen, fasste er zusammen und appellierte sowohl an die AfD als auch an ihre Gegner, auf verbale sowie physische Gewalt zu verzichten.

Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Laika K. haben nun bis zum 26. September Zeit eine Berufung zu beantragen. Wie Laila K. und ihr Anwalt Yunus Ziyal nach der Verhandlung mitteilten, habe man das Urteil zur Kenntnis genommen und halte es für falsch. Man wolle alles aber vorerst sacken lassen und sich innerhalb der siebentägigen Frist entscheiden, wie und ob man das Urteil akzeptiert.