Sandsteinhaus blieb erhalten
Ansichtskarten und Likör: Schreibwarenhändler Hackl und die Sulzbacher Straße vor 100 Jahren
11.7.2023, 15:00 UhrFlanieren an der Hauptstraße – vor über einem Jahrhundert war das noch möglich und höchst beliebt. Fast in jedem Haus an den großen Nürnberger Promenaden war ein Geschäft zu finden. So auch am östlichen Ende der Sulzbacher Straße.
Eine goldene Regel des Einzelhandels besagt: Geld verdient man da, wo die Menschen sind. Wo also lohnt sich ein Schreibwarenladen mehr als an einer großen Ein- und Ausfallstraße? Das wird sich auch Karl Hackl gedacht haben, als er anno 1908 sein Lädchen im Erdgeschoss des Hauses von Metzgermeister Macher in der Sulzbacher Straße 101 (bis zur Neuvergabe der Hausnummern im Jahr 1897 Nr. 37) eröffnete.
Likörfabrik im Hinterhof
Für eine Papeterie gehörte eine Auswahl an Ansichtskarten zum guten Ton. Immerhin war sie – neben dem Brief und weit vor dem Fernsprecher, den noch kaum jemand besaß – seinerzeit das Fernkommunikationsmittel der Wahl. Einige Motive verlegte er selbst, so auch unsere historische Ansicht, die Hackls Geschäft als zweites Haus von rechts und seine nähere Umgebung an der Einmündung der Deichslerstraße zu Anfang des letzten Jahrhunderts zeigt.
Die Geschäfte liefen gut, und so erweiterte der rührige Kaufmann sein Portfolio 1911 um Zigarren und Zigaretten – und um ein weiteres "Laster": Likör! Den produzierte er offenbar selbst. Denn das städtische Gewerberegister vermerkt unter Eintrag 3329 des nämlichen Jahres ausdrücklich eine "Likörfabrik", die Hackl im Hinterzimmer betrieben haben wird. Das Rückgebäude im Hof mit dem auffällig hohen Schornstein belegte eine Eisendreherei.
Endlose Blechlawinen und Straßenbahngedonner
Auch heute steppt an der Sulzbacher Straße der Bär. Allerdings hat das Auto den Menschen weitgehend aus dem Straßenbild verdrängt. Tag für Tag wälzen sich endlose Blechlawinen die mittlerweile vierspurig ausgebaute Fahrbahn entlang, donnert die Straßenbahn unablässig hindurch und lässt die Fensterscheiben der angrenzenden Häuser erzittern.
Wenn auch etwas weniger drastisch als am altstadtnahen Teil der Hauptstraße, der 1945 fast gänzlich in Trümmern lag, zeigen die hiesigen Gebäude die Spuren des letzten Weltkriegs. Von den Nachbarhäusern Nr. 99, 95 und 91 (drittes, fünftes und sechstes Haus von rechts in unserer Bildfolge) sind immerhin die unteren Geschosse geblieben, wenn auch mit modernen Aufstockungen. Haus Nr. 97 (viertes von rechts) zeigt sich äußerlich vereinfacht.
Von den auf der alten Ansicht nur schematisch wiedergegebenen Mietspalästen Richtung Stadtmitte haben zumindest zwei die Zeiten leidlich gut überstanden, wenn auch mit schmerzlichen Verlusten: Die Druckwellen der Bombenexplosionen rundum haben ihre Dachlandschaften im wahrsten Sinne des Wortes weggepustet. Haus Nr. 103 (auf den Fotos ganz rechts angeschnitten) ist nach dem Krieg völlig neu errichtet worden und gehört mit seinem originalen Ladeneinbau und der Balkonachse an der Ostseite zu den interessanteren Zeugnissen der 1950er und 1960er Jahre an der Sulzbacher Straße.
Das Heim der Hackls und das Mietshaus Sulzbacher Straße 94 (vormals Nr. 30 a) schräg gegenüber zählen dagegen zu den wenigen Bauten, die sich ihr historisches Kleid gut bewahrt haben. Der lebhaft geschwungene Zwerchgiebel der Sulzbacher Straße 101 mit verfremdeten toskanischen Pilastern, Rankenornament und eckigen Voluten zeugt von einem Um- und Ausbau des Hauses im Jugendstil. Der Rest des Bauwerks hingegen dürfte viel älter sein – die stichbogigen Fenster mit profilierten Gewänden und die altertümlichen Turmgauben zeigen es – und aus der Zeit bald nach Mitte des 19. Jahrhunderts stammen.
Beliebte Eckkneipe
Bis in die jüngere Vergangenheit lag im Parterre der Sulzbacher Straße 94 die beliebte Eckkneipe "Zum Sendelsgarten". Die hörte nicht etwa auf den Namen eines alten Bürgergartens; vielmehr bezog er sich wohl auf die Zimmermannsfamilie Sendel, die das Grundstück bis zum Bau des Hauses 1887 innehatte. Freilich nicht original sind das verputzte und knallrot gestrichene Erdgeschoss und die weiße Fassung der spätklassizistischen Pilaster, Gesimse und Fensterrahmungen. Die nämlich zeigten einst – so war es in Nürnberg üblich – ihre natürliche Sandsteinoberfläche.
Sie hat sich stark gewandelt, jene kleine Welt des Herrn Hackl. Und doch: Noch heute ist in dem kleinen Haus an der Sulzbacher Straße ein Schreibwarenladen zu Hause. Manche Dinge überdauern eben, selbst inmitten des größten Wandels.
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