Fall 27 von "Freude für alle"
Armut macht krank: In Nürnbergs einziger Straßenambulanz haben sie schon alles gesehen
10.12.2024, 17:00 UhrEigentlich war es ja nur eine Blase am Fuß. Keine große Sache, könnte man meinen. Doch Peter M. (Namen der Besucher geändert) lebt auf der Straße. "Da kann man nicht einfach die Schuhe ausziehen und sich schonen", sagt Patrick Phillips, während er sich die Stelle an dem großen Zeh von Peter M. ansieht. Irgendwann hatte sich die Stelle entzündet, sich eine dicke Kruste darauf gebildet. Nun, nach mehrmaliger Behandlung beginnt die Wunde zu heilen. "Sieht gut aus, in einer Woche ist alles wieder in Ordnung", sagt Krankenpfleger und Wundmanager Phillips und verbindet den Zeh neu.
Es ist ein lebhafter Vormittag in der Straßenambulanz der Caritas in der Nürnberger Südstadt. Während Peter M. im Behandlungszimmer auf der Liege sitzt, verteilt eine Hauptamtliche am improvisierten Stand im Treppenhaus Nahrungsmittel zwischen ein bisschen Gemüse und viel Backwaren an die Bedürftigen. Andere sitzen bereits ein paar Meter weiter im Tagestreff bei einem Kaffee und warten auf ein warmes Essen, das hier ebenfalls ausgegeben wird. Für manche Besucher ist das der einzige Ort, an dem sie für ein paar Stunden nicht alleine sind.
Ort für Obdachlose in Nürnberg
Alle, die im Tagestreff sitzen, sind wohnungs- oder sogar obdachlos. "Früher war der Tagestreff ein Angebot für alle Bedürftigen", sagt der Leiter der Straßenambulanz, Roland Stubenvoll. Doch die Nachfrage sei immer größer geworden, so dass man den Tagestreff inzwischen nur noch für Wohnungs- und Obdachlose öffnen könne - für die Ärmsten der Armen.
Wer in das ehemalige Franziskanerkloster St. Ludwig kommt, der steht auf der sozialen Leiter ganz unten. Manche haben nur das, was sie tragen können - oder wie Clara S. auf einem Rollator transportieren können. Die Seniorin ist bereits 80 Jahre alt, schläft in einem der Nachtasyle in der Stadt und kommt regelmäßig in die Straßenambulanz, um sich zu duschen und einen Ort zum Verweilen zu haben. Auch an diesem Vormittag parkt ihr Hab und Gut in einer Ecke im Treppenhaus, während sie sich in einer der Nasszellen frisch macht. Auch der 50-jährige Peter M. nächtigt in einer Notschlafstelle, am nächsten Morgen muss er wieder raus auf die Straße.
Mangelnde Hygiene, schlechte Ernährung, keine medizinische Vorsorge, manche kämpfen mit Suchtproblemen. Obdachlosigkeit bleibt auf Dauer nicht ohne Folgen. Und es gibt kaum etwas, was Stubenvoll und sein Team noch nicht gesehen haben. Offene Beine, Krätze, abgestorbene Zehen oder Maden in offenen Wunden, aber auch mit Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen haben Betroffene oft zu kämpfen und immer häufiger auch mit psychischen Problemen. Armut macht krank. Mehr noch: "Arme Menschen haben eine weitaus geringere Lebenserwartung", sagt Roland Stubenvoll, der die Einrichtung bereits seit 20 Jahren leitet und um die Notwendigkeit dieser Ergänzung zum Gesundheitssystem weiß.
Armut macht krank
Denn medizinische Hilfe bekommt hier jeder. Ob nun Schwangere, Obdachlose, Familien oder Drogenabhängige. Denn ein Arztbesuch ist eben nicht für jeden eine Selbstverständlichkeit - selbst mit Krankenversicherung. Manche scheitern zum Beispiel an der Eigenbeteiligung für das Rezept, andere trauen sich mit Abszessen am Hals nicht in eine normale Praxis oder sind dort schlichtweg nicht gern gesehen. So wie Carla S. mit ihren etwa 30 Kilogramm schweren Habseligkeiten auf dem Rollator, der regelmäßig repariert werden muss, weil die Last zu schwer ist. Und da wären vor allem noch die, die hier auch ohne Versicherungsschutz behandelt werden.
Mehr als 1000 Menschen versorgt die Straßenambulanz, deren Personal durch die Caritas und die Stadt finanziert wird, pro Jahr. Der Kostenfaktor für Wundmittel oder Medikamente ist entsprechend hoch und wird durch Spenden finanziert. Das Team hilft aber auch, indem es die Betroffenen weitervermittelt, ob nun an Ärzte, Therapeuten oder Fachstellen. Ein Glücksfall ist dabei die Arztpraxis mit einem Allgemeinmediziner und einer Psychiaterin im Haus, mit der die Straßenambulanz eng zusammenarbeitet.
Obwohl die Besucher und Patienten alle die Not eint, jede Geschichte ist anders und endet unterschiedlich. "Manche kommen schon 15 Jahre hierher und werden es wohl nie schaffen, anders zu leben", so Stubenvoll. Andere wiederum fänden irgendwann eine Wohnung oder zumindest ein Einzelzimmer in einer Pension. "Ja, es gibt hier auch Erfolgsgeschichten", sagt er. Dennoch. Nach 20 Jahren in der Straßenambulanz gibt er sich keiner Illusion hin. "Wir können nicht jeden retten und auch die Welt nicht", sagt er. Man könne nur da sein und versuchen zu helfen. Das hat sich längst herumgesprochen. Und so werden Roland Stubenvoll und sein Team auch morgen wieder alle Hände voll zu tun haben.
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