Bandidos-Prozess in Nürnberg: Jetzt wackelt die Anklage
22.1.2018, 05:32 UhrViel tiefer können Polizisten kaum sinken - seit Wochen sitzen frühere Chefermittler auf der Anklagebank. Sie wollten das kriminelle Rocker-Milieu ausspionieren, dabei lief ihr Einsatz aus dem Ruder und sie wurden selbst zu Kriminellen, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Mittlerweile kam er heraus: Wirklich erschreckend ist das Innenleben der Amberger Polizei - dort wurden offenkundig Beweise unterdrückt und Schlussberichte gefälscht.
Im Jahr 2009 schleuste das LKA Mario Forster (50) im Regensburger Chapter der Bandidos ein. Als Amberger Nachtclubbetreiber pflegte er Kontakte ins Rotlichtmilieu, er hatte 13 Vorstrafen und das Vertrauen der Rocker; nun wurde er Spitzel für den Staat. Verfassungstreue wie ein deutscher Beamter muss er als V-Mann nicht mitbringen - vielmehr sollte er, gegen Geld, Gleichgesinnte ausspionieren und der Polizei bei geheimen Treffen von den Plänen der Rocker berichten. Forster, der heute anders heißt, muss sich als Fuchs gefühlt haben. Aber war der Fuchs wild genug, um mit den Wölfen zu heulen?
Kostümierter Kuttenträger
Auf Kosten des LKA wurde ihm ein Mercedes E-Klasse geleast, damit kutschierte er den Präsidenten der Regensburger Bandidos durch die Gegend. Als er das vereinbarte Kilometerlimit überschritt, ließ Forster, angeblich mit Wissen eines LKA-Beamten, seines V-Mann-Führers, in einer Nürnberger Hinterhofwerkstatt den Tachometer zurückdrehen. Forster bekam eine Harley-Davidson und war fortan mit der berüchtigten Rocker-Gang unterwegs, quasi als kostümierter Kuttenträger.
Regelwerk für Spitzel: Es mag sein, dass Mario Forster glaubte, als Spitzel im Staatsdienst könne er sich alles, etwa Drogen-Dealereien, erlauben - und er sei trotzdem vor Strafverfolgung sicher. Tatsächlich existiert beim LKA ein Regelwerk, das erklärt, wie V-Leute zu gewinnen sind, wie mit ihnen umgegangen wird und wie sie entlohnt werden. All das ist in Richtlinien und Dienstvorschriften geregelt. V-Leute werden, gegen Unterschrift, darüber belehrt, dass sie keine Straftaten begehen dürfen.
Fahrt nach Dänemark: Mario Forster kam mit seinen Rocker-Kumpanen viel herum. Einmal wurde auf Kosten des LKA ein Kleinbus für die Bandidos angemietet - es ging nach Rumänien, eine Racheaktion an den dortigen Hells Angels war geplant. Und im September 2011 stand eine Fahrt nach Dänemark auf dem Programm. Mario Forster wird dort mit seinen Rocker-Kumpanen Mini-Bagger und Baumaschinen im Wert von 55.000 Euro entwenden. Bis heute ist unklar, ob ein Versicherungsbetrug oder ein Diebstahl geplant war. Doch fest steht, dass Forster auf der Heimfahrt einen 40-Tonner steuerte, und am 26. September 2011 am Rasthof Wernberg-Köblitz im Landkreis Schwandorf festgenommen wurde - in die Baumaschinen war zum Schutz vor Diebstahl ein Sender eingebaut. Laut Anklage verdiente Mario Forster bei diesem Coup noch: 1100 Euro Aufwandsentschädigung zahlte ihm das LKA dafür, dass er den Bandidos bei der Bagger-Nummer zur Seite stand.
Es ging um Drogen
Die Amberger Kripo: Es ging ganz merkwürdig zu, als Mario Forster geschnappt wurde - obwohl offensichtlich war, dass nicht alles in Ordnung sein konnte, verfügte der damalige Amberger Oberstaatsanwalt, dass Forster wieder freigelassen wird. Er bekam sogar seine drei Handys wieder ausgehändigt.
Fragen über Fragen: Wie das sein könne, hakt Richter Ulrich Flechtner, der Vorsitzende Richter der 13. Strafkammer sichtlich irritiert nach. "Ich frage mich schon, ob ich, wenn ich mit drei gestohlenen Baggern an einer Raststätte erwischt werde, gleich wieder frei komme?!", so Flechtner. Der Oberstaatsanwalt, der als Zeuge durch vage Formulierungen und Erinnerungslücken auffällt, beruft sich auf die Beweislage - tatsächlich ließ ihn die Kripo Amberg wohl im Unklaren darüber, welche Beweise gegen Forster vorlagen. Doch Tatsache ist auch, dass er die Person und die Funktion des Mario Forster kannte. Bereits zwölf Tage vor dessen Festnahme sorgte er dafür, dass ein Haftbefehl gegen ihn außer Vollzug gesetzt wurde. Es ging um Drogen.
Doch dass Forster V-Mann war, spielte angeblich keine Rolle, behauptet der Oberstaatsanwalt. Ohnehin, so sagt er, erschien ihm damals die "Bagger-Geschichte" als "Routine-Fall". Forsters Mobiltelefone wurden ihm damals zurückgegeben - ohne dass sie vorher ausgewertet wurden. Tatsächlich liefern Daten aus Mobiltelefonen eine Fülle an Anrufdaten, Chat-Protokollen, Fotos und Ortsangaben. Präziser kann der zeitliche Verlauf einer möglichen Straftat gar nicht nachvollzogen werden - deshalb wertet die Polizei ständig Handys aus und die Daten sind in Strafprozessen regelmäßig gefragt. Trotzdem verzichtet die Kripo Amberg auf diese Maßnahme - eine Rücksprache mit dem Oberstaatsanwalt hält keiner für nötig, dafür hatte angeblich einer der Amberger Ermittler vorher mit dem angeklagten V-Mann-Führer des LKA telefoniert.
Einflussnahme des LKA
Der Vorwurf: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die LKA-Beamten alle Hebel in Bewegung setzten, um Mario Forster, ihre Quelle bei den Bandidos, zu schützen. Erst sollen sie ihn zu seinem illegalen Treiben angestiftet haben, dann beeinflussten sie, um dies zu verschleiern, ihre Amberger Kollegen und frisierten die Akten. Und als Mario Forster später in Würzburg vor Gericht landete und behauptete, im Dienst des LKA aktiv gewesen zu sein, stellten sie ihn als Spinner dar.
Ebenso wurden in dem Prozess Verstöße gegen das Legalitätsprinzip erwähnt. Es fordert, dass die Strafverfolgungsbehörden, liegen Anhaltspunkte für eine Straftat vor, von Amts wegen einschreiten. Will die Polizei einen V-Mann in einer geplanten Straftat einsetzen, muss sie überwachen, um jederzeit Einhalt gebieten zu können. Die Staatsanwaltschaft nimmt an, dass die LKA-Beamten den Coup in Dänemark für gut hießen - und weil sie nicht damit rechneten, dass ihnen die Amberger Kripo-Beamten dazwischenfunkten und Forster festnahmen, fingen sie später an zu tricksen.
Verschwiegenes Beweismaterial
Doch nun stellt sich heraus, dass der Einsatzleiter der Amberger Kripo den Schlussbericht unvollständig abfassen ließ und Beweismittel unterdrückte, nur damit der Spitzel nicht aufflog: Als Forster mit den gestohlenen Baggern erwischt wurde, hatte er gefälschte Frachtpapiere dabei. In seinem Lkw wurde ein Stempel der geschädigten dänischen Firma (für die Frachtpapiere) gefunden - dies wurde im Schlussbericht weggelassen. Auch dass Forster die zunächst sichergestellten Handys - ohne vorherige Auswertung - zurückbekam, fiel unter den Tisch.
Drastisch formuliert: Offenbar wollte der Einsatzleiter verhindern, dass der V-Mann verbrennt - er unterdrückte Beweise, informierte weder das LKA noch den Staatsanwalt und ermittelte, als hätte er es höchstens mit dem Bagetelldelikt eines Kleinkriminellen zu tun. Ein massiver Verstoß gegen das Legalitätsprinzip. Möglich, dass der Einsatzleiter davon ausging, dass die Dänen - als Tatort-Staatsanwaltschaft - ermitteln würden. Doch tatsächlich verließ sich der Oberstaatsanwalt auf den Schlussbericht - dass es die Beweismittel gab, hätte er sehen können. In der Ermittlungsakte, die der Staatsanwaltschaft Amberg ebenfalls zuging, sind sie säuberlich aufgelistet.
Rocker im Zeugenstand
Ein V-Mann, der die Rocker ausspionieren soll, doch bei deren illegalem Treiben nicht mitmachen darf - als Laie stellt man sich diesen Job lebensgefährlich vor. Doch die Rocker und ein damals mit den Bandidos befreundeter Schrotthändler wirken im Zeugenstand vergleichsweise harmlos. Ralf K., der damalige Regensburger Chapter Chef, wurde gar unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Er legte vor Jahren eine Lebensbeichte ab, packte als Kronzeuge aus und gewährte den Ermittlern Einblicke in ein Milieu, von dem sie keine Ahnung hatten.
Mehr als 270 Verfahren wurden nach seinen Aussagen eingeleitet. Und der Schrotthändler, der mit den Bandidos Geschäfte machte, versichert: Vor allem mit Mario Forster habe er damals nichts zu tun haben wollen - dieser habe ständig Drogen gehabt und sei "der wildeste, der wahnsinnigste von allen" gewesen.
Ein Mammutverfahren schrumpft
11.000 Seiten umfassen die Akten zu dem Prozess, Termine bis in den April wurden bisher vereinbart. Gut möglich, dass nun Bewegung in das Verfahren kommt. Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, Strafvereitelung im Amt, Falschaussagen vor Gericht - die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten unterschiedliche Tatbeteiligung vor. Bereits im Vorfeld der öffentlichen Hauptverhandlung wurden Strafbefehle mit Geldstrafen angeboten. Nun schrumpft die Anklage immer mehr zusammen - gut möglich, dass es demnächst wieder zu Rechtsgesprächen kommt.
In der Nähe von Flensburg liegt das dänische Padborg - dort trafen sich LKA-Beamte mit den ausländischen Ermittlern im Oktober 2011. Die dänischen Behörden sollten über den Bagger-Diebstahl informiert werden, damit sie eigene Ermittlungen gegen die dem LKA bekannten Täter durchführen konnten. Die dänische Polizei beantragte nie einen europäischen Haftbefehl für Mario Forster – denn im "Padborg-Protokoll" wurde eigens festgehalten, dass der V-Mann Mario Forster davon ausging, dass er ganz legal in Dänemark unterwegs war. Beweise, die das Gegenteil hätten belegen können, lagen nicht vor - eben weil das LKA nichts von den von der Amberger Kripo gesicherten Beweisen wusste. Der Prozess wird fortgesetzt - unter anderem mit den Zeugen aus Dänemark.