Plädoyers im Mammut-Prozess

„Beweislage ist erdrückend“: Lebenslange Haft für beide Angeklagte im Fall Alexandra R. gefordert

Johanna Mielich

Online-Redaktion

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15.7.2024, 15:42 Uhr
Der Prozess um die verschwundene Alexandra R. geht langsam zu Ende. Am Montag verlas die Anklage ihre Plädoyers.

© dpa, Polizei Mittelfranken/news5 Der Prozess um die verschwundene Alexandra R. geht langsam zu Ende. Am Montag verlas die Anklage ihre Plädoyers.

Es ist ein Mammutprozess, der nun am Landgericht Nürnberg-Fürth kurz vor seinem Abschluss steht. Mehrere prall gefüllte Aktenordner zeugen von dem immensen Aufwand hinter diesem Fall, mehr als 100 Zeugen schilderten ihre Sicht der Dinge, Dutzende Sachverständige wurden gehört. Es ging um jedes noch so klein erscheinende Detail.

Bei all dem stand diese eine Frage im Vordergrund: Was ist mit der hochschwangeren Alexandra R. passiert, die am 9. Dezember 2022 spurlos verschwunden ist? Bis heute fehlt von der damals 39-Jährigen jede Spur, auch eine Leiche fand man nicht - daher basiert die Anklage rein auf Indizien. Die 19. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth versuchte - seit der Auftaktverhandlung am 9. April. 2024 - ein Vierteljahr lang, Licht ins Dunkle zu bringen.

Am vergangenen Freitag hat Richter Gregor Zaar die Beweisaufnahme geschlossen. Am Montag galt es für die Staatsanwaltschaft sowie die Nebenklage ihre Plädoyers vorzutragen. Die Verteidiger rütteln währenddessen an der Mordthese. Ihre Plädoyers werden voraussichtlich am Mittwoch, 17. Juli, stattfinden. Läuft alles nach Plan, könnte die Woche darauf, am 26. Juli, das Urteil fallen.

"Äußerst komplexes Verfahren": Plädoyer über drei Stunden

Den Anfang macht am Montag Oberstaatsanwältin Alexandra Hussennether. „Wir alle sind Zeugen eines äußerst komplexen Verfahrens geworden“, startet die Oberstaatsanwältin ihren dreistündigen Vortrag. Sie ist überzeugt, dass Alexandra R. getötet wurde und dieses Verbrechen durch die beiden Angeklagten, den früheren Lebensgefährten von R, Dejan B. (51), und dessen Geschäftspartner Ugur T. (49), begangen wurde.

Nachdem sich die 39-Jährige von B. trennte und ihm den Zugriff auf ihre Konten für deren undurchsichtigen Immobiliengeschäfte verweigerte, sei die Einnahmequelle für die beiden angeklagten Geschäftspartner weggebrochen. „Um sich ihr Vermögen zu sichern“, so die Überzeugung der Staatsanwaltschaft, hätten die Angeklagten beschlossen, R. zu entführen und zu töten. Zuvor hätten sie die Nürnbergerin über einen betrügerischen Pfändungstitel von rund 784.000 Euro unter Druck gesetzt, dem setzte sich R. aber gerichtlich zur Wehr. Über Stunden hinweg führt die Staatsanwaltschaft Argumente auf, die für ihre Mordthese sprechen.

Hussennether ist sich sicher, dass die 39-Jährige nicht aus eigenem Willen verschwunden ist. „Es ergaben sich keine Hinweise, dass Alexandra R. an dem Morgen geplant hatte, zu verschwinden“, heißt es in dem eindringlichen Plädoyer. Sie habe sich am besagten Tag laut Auswertung ihres Mobiltelefons und E-Mails völlig normal verhalten, etwa nach Vorhängen gegoogelt oder die Anmeldung für einen Geburtsvorbereitungskurs verschickt.

Nachdem R. am Tag ihres Verschwindens ihre Pflegetochter in den Kindergarten gebracht hatte, sollen die beiden Angeklagten ihr, um nicht aufzufallen, mit einem geliehenen Mitsubishi aufgelauert haben und ihr dann bis zum Haus nach Limbach gefolgt sein. Es bestünden „keine Zweifel darin“, dass die beiden dort R. „zwischen 8.32 und 8.58 Uhr überwältigten“ und dann mit einem Klebeband knebelten, so die Oberstaatsanwältin. Demnach seien laut einer Sachverständigen an dem Tape-Stück mehrere Haare sowie Speichel der 39-Jährigen, aber auch DNA festgestellt worden, die „mit höchster Wahrscheinlichkeit“ Geschäftspartner Ugur T. zuzuordnen war.

Anklage sicher: Alexandra R. wurde als Geisel genommen und getötet

Danach sollen die beiden Angeklagten die 39-Jährige in dem Mitsubishi verschleppt haben, das Rechtsmedizinische Institut Erlangen habe auch im Auto etwa an Heck und Rücksitzbank mehrere Spuren der Vermissten aufgefunden. Schließlich, so die Überzeugung der Anklage, hätten sie R. in einer Halle an der A9 nahe Hilpoltstein gegen ihren Willen festgehalten, auch hier waren laut Gutachten Haare der Vermissten entdeckt worden – in einem Besen. In ihrem Plädoyer schildert Hussennether eindringlich, dass die Hochschwangere dort „unter Todesangst“ gezwungen worden sei, in einem Schreiben ihre Anzeige gegen die beiden Angeklagten zurückzunehmen. Wie später auch ein Sachverständiger anhand des Schriftbilds bezeugt, soll R. bei dem Verfassen unter enorm hohen psychischem Druck gestanden sein.

„Aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Indizien“, würde für die Anklage feststehen, dass R. danach getötet wurde. ,,Die Leiche versteckten die Angeklagten an einem bisher unbekannten Ort", so Hussennether.

Um Spuren zu verwischen und ein „freiwilliges Untertauchen von R. vorzutäuschen“, hätte der Angeklagte T. Abschieds-SMS vom Handy der Getöteten an ihre Vertrauten versendet und das Mobiltelefon nachts an einem Rastplatz an einem Lkw angebracht, der anschließend Richtung Italien fuhr.

Anklage fordert besonderer Schwere der Schuld

„Mir ist bewusst, dass wir bis heute keine Leiche haben“, betont die Staatsanwältin, aufgrund der Gesamtbetrachtung aller Indizien sei der Mord an der Nürnbergerin aber ihrer Meinung nach bewiesen. Es gebe "keinerlei Hinweise darauf", dass die Nürnbergerin "eine Flucht oder ein Untertauchen" plante. Minutenlang rezitierte sie verschiedene Zeugenaussagen, die das Bild einer liebenswürdigen Mutter zeichnen. Fest stand: „R. würde nie ohne Alina (Name der Pflegetochter von der Redaktion geändert) gehen“. Sie habe ihre Entbindung in einem Krankenhaus in Nürnberg geplant, habe auch alle Termine regelmäßig wahrgenommen und sich sehr auf das gemeinsame Baby mit ihrem neuen Partner gefreut.

Aufgrund der aufgefundenen Spuren geht die Staatsanwaltschaft von einer gemeinsamen Geiselnahme aus. „Wer von beiden tatsächlich die eigentliche Tötung vornahm, ist nicht bekannt“, erklärt die Oberstaatsanwältin. Ohne Zweifel sei aber, dass der Plan zur Tötung bereits vor der eigentlichen Tat bestand. „Die Tatmotive erweisen sich als ein ganzes Motivbündel“, konstatiert sie.

"Tod des Babys billigend in Kauf genommen"

Zentrales Motiv sei Bereicherung gewesen. „Beide handelten aus Habgier“, so die Anwältin. Auch Rache habe eine große Rolle gespielt. Außerdem hätten sie die Tötung des Babys nicht nur billigend in Kauf gekommen, „sondern erkannten es auch als direkte Folge ihres Tuns“. R‘s Bauch sei zu dem Zeitpunkt bereits deutlich erkennbar gewesen. So wirft die Oberstaatsanwältin Dejan B. und Ugur T. neben der gemeinsamen Geiselnahme auch illegalen Schwangerschaftsabbruch mit Todesfolge in besonders schwerem Fall sowie Computerbetrug vor.

Dafür käme aus Sicht der Anklage als einzige Rechtsfolge für beide Angeklagten nur eine lebenslange Freiheitsstrafe infrage. „Das ist ein Mordfall, wie wir ihn selten haben“, fasst Hussennether zusammen, daher beantrage sie auch in beiden Fällen zusätzlich die besondere Schwere der Schuld.

Auch Nebenklage fordert lebenslange Haftstrafen

Auch der Nürnberger Rechtsanwalt Harald Straßner, der die Familie von Alexandra R. in der Nebenklage vertritt, schließt sich dem geforderten Strafmaß an. Er sieht die besondere Schwere der Schuld für gegeben an, wie er in seinem Plädoyer am Montag erklärt. Die Beweislage sei seiner Ansicht nach „erdrückend“.

In emotionalen Worten schildert er, welche Wunden das Verschwinden der Nürnbergerin bei ihren Vertrauten hinterlasse. „Wir hätten sie gerne kennengelernt“, wiederholt er immer und immer wieder. "Aber wir werden sie nicht mehr treffen können". Als Verantwortlichen dafür sieht er: Dejan B.

Das ungeborene Kind der 39-Jährigen wäre inzwischen fast eineinhalb Jahre alt. „Es zerreißt einem das Herz, daran zu denken, wie der Kleine inzwischen wohl herumtollen würde“, so Straßner. „Wie kalt muss man da agiert haben?“, führt er sein Plädoyer fort.

Von dem Angeklagten Dejan B. zeichnet er vor Gericht ein düsteres Bild: „Er brauchte nicht den Menschen Alexandra R., er brauchte ihre Kreditwürdigkeit, den Namen, ihren Erfolg“. Für Geld sei er auch über Straftaten gegangen und habe sich die Abhängigkeiten anderer verschafft.

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