Cannabis als Medizin: Schwarzmarkt floriert weiter

21.10.2017, 13:25 Uhr
Cannabis kann besonders Schmerzpatienten helfen, das beweisen jede Menge Studien.

© dpa Cannabis kann besonders Schmerzpatienten helfen, das beweisen jede Menge Studien.

"Es gibt Tage, da bin ich froh, wenn ich es runter zum Briefkasten schaffe", beschreibt Thomas Z. seinen Zustand. Der 45-jährige Nürnberger leidet unter Fibromyalgie, einer Art chronischem Ganzkörperschmerz, und rheumatischer Arthritis, einer dauerhaften Entzündung der Gelenke. Als er Zeitsoldat bei der Bundeswehr war, habe alles angefangen, erzählt er. Damals habe er sich aber keine Schwäche eingestehen wollen und die Symptome nicht zugelassen. Später, als Pfleger in einem Altenheim, seien die Schmerzen jedoch immer schlimmer geworden. Irgendwann ging gar nichts mehr. Im Alter von 33 Jahren wurde Thomas Z. berufsunfähig. "Ich bin einfach nicht mehr belastbar und innerhalb kürzester Zeit erschöpft", sagt er.

Für Menschen wie ihn hätte der 19. Januar 2017 eigentlich für eine große Verbesserung sorgen können - an diesem Tag verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, dass es Ärzten erlaubt, schwer kranken Patienten Cannabis auf Rezept zu verschreiben. Die Kosten bekommen die Patienten von der Krankenkasse erstattet. Nur in "begründeten Ausnahmefällen" darf die Kasse laut Gesetzestext die Kostenübernahme ablehnen.

Kosten im Extremfall bei über 100 Euro pro Tag

In der Praxis geschehe das jedoch weit öfter, kritisiert der Nürnberger Schmerzmediziner Michael A. Überall, der auch Präsident der Deutschen Schmerzliga ist: "Wenn man Deutschland insgesamt betrachtet, muss man davon ausgehen, dass rund 50 Prozent der Anträge auf Kostenerstattung abgelehnt werden." In Bayern sei die Situation aber vergleichsweise gut. So gibt etwa die AOK Bayern an, 90 Prozent der Anträge zu bewilligen.

Um die Kosten für das Cannabis, die im Extremfall bei über 100 Euro pro Tag liegen können, erstattet zu bekommen, müssen Patienten erst auf die Einwilligung der Kasse warten, bevor sie in die Apotheke gehen können. Michael A. Überall findet das "eigenartig". "Die Kassen stellen sich damit nicht nur über das Arzt-Patienten-Verhältnis, sondern letztlich auch über die Intention des Gesetzgebers, der ja klare Ausführungsbestimmungen für den Einsatz von Cannabis als Medizin formuliert hat", findet der Mediziner.

Die Auflagen sind hoch

Die Gesetzgeber sieht vor, dass Cannabis nur verschrieben werden darf, wenn eine "schwerwiegende Erkrankung" vorliegt. Außerdem müssen andere Therapiemöglichkeiten bereits voll ausgeschöpft oder für den Patienten - zum Beispiel wegen starker Nebenwirkungen – ungeeignet sein. Zusätzlich müssen Arzt und Patient begründen, warum die Behandlung mit Cannabis im konkreten Fall einen Versuch wert ist. Für viele Betroffene fangen die Probleme derweil schon früher an – sie finden keinen Arzt, der bereit ist, ihnen Cannabis zu verschreiben. "Es ist egal, ob beim Hausarzt oder beim Spezialisten - wenn man das Thema Cannabis auch nur antastet, kommt sofort die Abwehrhaltung", berichtet Thomas Z. "Die Ärzte haben Angst, als 'Drogenärzte' abgestempelt zu werden und ein bestimmtes Klientel anzuziehen", vermutet er.

Christine T. kennt das Problem, keinen Arzt zu finden, nur zu gut. Bei mittlerweile zwölf Medizinern hat sie versucht, ein Rezept für medizinisches Cannabis zu bekommen - bislang vergeblich. Fragt man sie nach ihren Krankheiten, kramt sie einen Zettel hervor, auf dem sie die Diagnosen notiert hat – sie könne sich sonst nicht mehr alle merken. Fibromyalgie steht auf dem Zettel, Multiple Sklerose, eine Lungenerkrankung und weitere Krankheitsbilder, die für sich genommen die Lebensqualität schon erheblich einschränken würden. Seit einigen Jahren ist die gelernte Bankkauffrau deswegen arbeitsunfähig und muss Opiate einnehmen.

Dass Cannabis ihre Beschwerden effektiv lindert, wissen Christine T. und Thomas Z. aus praktischer Erfahrung. Aus Verzweiflung besorgen sich beide regelmäßig Cannabis auf dem Schwarzmarkt - "mit schlechtem Gewissen", wie Christine T. sagt. Beide berichten, ihre Schmerzen hätten sich durch das Cannabis erheblich gebessert, der Schlaf weitgehend normalisiert. Doch der Weg zu medizinischem Cannabis auf legalem Weg ist steinig. Und selbst wenn ein Patient Arzt und Krankenkasse auf seiner Seite hat, ist noch nicht garantiert, dass er das Cannabis in absehbarer Zeit tatsächlich konsumieren kann.

Erst ab 2019 werden deutsche Pharmahersteller Cannabis anbauen können. Derzeit müssen die Pflanzen noch aus Kanada oder den Niederlanden importiert werden. Nicht selten kommt es dabei zu Lieferschwierigkeiten. Jan Barnecke, der die Nürnberger Wilhelm-Busch-Apotheke betreibt, sagt: "Ich habe alle meine Direktvertriebe kontaktiert. Nur einer konnte mir eine kleine Menge anbieten, allerdings erst für Ende November. Auf dem Markt ist kaum etwas verfügbar."

Schmerzpatienten, die Erfahrungsaustausch suchen, können sich an die Nürnberger Schmerz-Selbsthilfegruppe wenden. Info: 0911 3768952 oder strahlerkuesse@web.de.

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