Coronakrise: So geht es den Knoblauchsländer Gemüsebauern

Isabella Fischer

Region & Bayern

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7.5.2020, 06:01 Uhr

Der Tagesablauf einer Volontärin und eines Gemüsebauern könnte unterschiedlicher nicht sein. Während ich mir an einem normalen Arbeitstag um 10 Uhr im Büro meine erste Tasse Kaffee einschenke, herrscht im Knoblauchsland schon Hochbetrieb. Nach vier Wochen im Homeoffice ist der vereinbarte Arbeitsbeginn um sieben Uhr für mich daher eine willkommene Abwechslung. Bei knackigen fünf Grad radle ich mit dem Sonnenaufgang im Rücken nach Höfles und treffe mich mit Familie Sippel.

Vor den Toren Nürnbergs betreibt sie in vierter Generation einen Gemüseanbau. Auf rund 50 Hektar wachsen über 25 verschiedene Arten: Zucchini, Sellerie, Kartoffeln, Möhren oder Tomaten verteilen sich auf den weiten Feldern und in den Gewächshäusern und wollen in den kommenden Wochen geerntet werden. Doch infolge der Corona-Pandemie fehlt es gerade an denen, die dafür zuständig sind: den Erntehelfern.

In der Früh trudeln nach und nach die 24 Erntehelfer in der großen Halle ein, die direkt neben den neu gebauten Unterkünften liegt. Thomas Sippel (28), der sich mit seinem Bruder Willi (31) um das Tagesgeschäft kümmert, teilt die rumänischen Arbeiter in zwei Teams ein. Sieben kümmern sich um die Tomaten und Gurken im Gewächshaus, der Rest erntet draußen auf den Feldern. Die meisten kommen jedes Jahr und kennen die Abläufe, verständigt wird sich mit einem Mischmasch aus Deutsch, Rumänisch und mit Händen und Füßen.

Im Mai geht es so richtig los mit der Ernte. Angst, dass das Gemüse nicht von den Feldern kommt, gab es nicht. "Wir waren von Anfang an personell gut aufgestellt", sagt Thomas Sippel. Durch eine Sonderregelung der Bundesregierung dürfen diesen Monat weitere 40.000 Arbeiter nach Deutschland einreisen. Zehn zusätzliche Erntehelfer konnten so bereits ins Land und das Team verstärken. Für die geforderten Sicherheitsmaßnahmen – wie getrennte Unterkünfte – kann der Familienbetrieb sorgen. An das Wohnhaus der Eltern grenzt die zweite Herberge mit mehreren Zimmern und 15 Betten für potenzielle Erntehelfer an.


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Um ein Gefühl für die Ernte zu bekommen, geht es mit Thomas Sippel und seiner Schwester Evamarie raus aufs Feld zur ersten Station: der Salaternte. Der Boden ist übersät mit leuchtend grünen Salatköpfen. Mehrere Kisten voll Lollo rosso, Lollo bianco und Kopfsalat sollen heute noch an die Großkunden geliefert werden. Die ersten Salatköpfe schneide und lege ich behutsam in die Kiste, damit bloß kein Blatt kaputtgeht. So gewinne ich allerdings keinen Geschwindigkeitswettbewerb. Die Erntehelfer dagegen sind routiniert, jede Bewegung sitzt und eine Kiste Salat ist in weniger als einer Minute gefüllt.

Die Coronakrise ist weit weg

Auch die Familie ist ein eingespieltes Team. Willis Frau Sabrina arbeitet im Büro und kümmert sich um alles Organisatorische, die 22-jährige Evamarie und ihre Eltern fahren vier Mal in der Woche auf den Großmarkt. Da die Kitas gerade geschlossen haben, wuselt auch Willis dreijähriger Sohn Paul umher, der sich bereits viel abgeguckt hat und permanent fragt, wann er wieder auf dem Traktor mitfahren kann. Auf den weiten Feldern vor den Toren Nürnbergs scheint die Corona-Krise weiter weg zu sein als in der Stadt. "Natürlich reden wir darüber, unser Tagesablauf ist aber auch mit Corona weiterhin der gleiche", sagt Evamarie.


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Im Minutentakt klingelt Willi Sippels Telefon, einer der Großkunden ordert noch ein paar Kisten Radieschen, der andere braucht mehr Rispentomaten. Allgemein merke man im Knoblauchsland derzeit eine verstärkte Nachfrage nach regionalem Gemüse. "Auf den Wochenmärkten wird definitiv mehr gekauft", sagt Sippel.

Im Gegenzug fallen viele Kunden aus der Gastronomie und der Hotellerie weg. Er ist sich nicht sicher, ob die Kaufkraft bis nach der Corona-Pandemie so stark bleibt. "Das macht mir ein bisschen Bauchschmerzen. Ist die Bereitschaft, teureres, aber regionales Gemüse zu kaufen, dann auch noch da?", fragt er sich. Wünschen würde er sich das.

Gang zum Bio-Markt ist trotzdem die Ausnahme

Zahlreiche Umfragen, wie die des Meinungsforschungsinstituts Civey im Jahr 2019, zeigen immer wieder, dass Verbraucher verstärkt Wert auf regionales Gemüse legen und dafür bereit wären, mehr zu zahlen. Doch trotz der guten Vorsätze kauft die Hälfte der Befragten in großen Supermarktketten ein. Der Gang zum Bio-Laden oder Wochenmarkt ist die Ausnahme. Wie passt das zusammen?

"Hauptsache, das Gemüse ist günstig. Die Herkunft ist leider bei vielen zweitranging", sagt Sippel. "Beim Thema Fleisch ist es doch das Gleiche. Die Mehrheit möchte Bio-Fleisch, gekauft wird trotzdem das Günstigste, wo die Tierhaltung egal ist. Das wundert mich schon", sagt er. Regionale Lebensmittel müssten seiner Meinung nach stärker wertgeschätzt werden.


Hoffnung im Knoblauchsland: Freiwillige wollen bei der Ernte helfen


In den vergangenen Wochen bekam er über hundert Anrufe von Freiwilligen, die bei der Ernte helfen wollten. Eingestellt hat er bisher noch keinen, zu sehr unterscheiden sich die Vorstellungen der Freiwilligen von der Realität. "Einige verlangen einen Stundenlohn, den selbst ich nicht bekomme", sagt er.

Vielen sei zudem nicht bewusst, dass es mit zwei, drei Tagen Ernte nicht getan ist. "Das ist monatelange, harte Arbeit", sagt Thomas Sippel. Die Kritik an dem Einsatz ausländischer Erntehelfer kann er nicht verstehen. "Wenn sich deutsche Bürger bei Wind und Wetter aufs Feld stellen würden, müssten wir niemanden aus dem Ausland holen – es macht nur keiner", sagt er.

Nach der Mittagspause führt mich Willi Sippel in die Welt des Gewächshauses ein. Es ist warm, stickig, sonnendurchflutet und riecht intensiv nach frischen Tomaten. Das knallrote Gemüse kannte ich bisher nur aus der Auslage im Supermarkt. Bis sie so perfekt aussehen, ist es jedoch ein monatelanger Prozess, der viel Pflege und Aufwand erfordert.

Die Hauptakteure im Gewächshaus sind jedoch nicht die Arbeiter, die die Blüten kontrollieren oder ernten – es sind Hunderte Hummeln, die leise summend durch das Grünzeug fliegen und die Blüten bestäuben. "Ohne die läuft hier gar nichts", sagt Sippel über seine besten Mitarbeiter.


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Wie kann es sein, dass im Supermarkt ein Kilo spanischer Tomaten teilweise weniger als zwei Euro kostet? Spargel aus Deutschland dafür acht Euro – pro halbes Kilo? Die größten europäischen Exportländer sind Spanien und Italien, das andalusische Almería ist das weltweit größte Obst- und Gemüseanbaugebiet mit unendlichen Reihen an Gewächshäusern. Es ist keine Seltenheit, dass Erntehelfer dort anstatt der als Minimum geforderten 47 Euro nur 25 Euro verdienen – am Tag.

In Deutschland wird der Mindestlohn von 9,35 Euro gezahlt. Trotzdem zu wenig? "Ernten ist harte körperliche Arbeit, das kann man nicht für immer machen", sagt Willi Sippel. Doch die Rechnung ist einfach: Überbieten sich die Supermarktketten mit den günstigsten Preisen für Lebensmittel, müssen auch Landwirte so günstig wie möglich produzieren.

In diesem Beruf sind Freizeit oder Urlaub rar gesät. Nur um Weihnachten und Silvester, wenn keine Erntehelfer vor Ort sind, kann die Familie in den Urlaub fahren. Auch einen Feierabend gibt es nur unregelmäßig: "Teilweise schlafe ich nur ein bis zwei Stunden pro Nacht, weil ich auf den Feldern die Bewässerung kontrollieren muss", erzählt Thomas Sippel.

Das ist nicht als Beschwerde gemeint, "Ich liebe die Ruhe in der Nacht, wenn niemand unterwegs ist", sagt er. Sein Bruder Willi sieht das ähnlich: "Ich wollte nie etwas anderes machen. Ich liebe den Beruf, auch wenn es kein einfacher ist."

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