Rechercheprojekt über Terror
Die Rechtsextremen setzen Hunderte auf ihre "Feindeslisten"
9.7.2021, 05:58 UhrAls vor zehn Jahren der NSU aufflog, hielt das Land den Atem an. Ungehindert hatten Rechtsextremisten, die sich "Nationalsozialistischer Untergrund" nannten, zehn Menschen in Deutschland ermorden können. Alleine drei davon in Nürnberg.
Die Behörden hatten geschlampt, die Geheimdienste als "Frühwarnsytem" unserer Demokratie in großem Ausmaß versagt: Dem untergetauchten NSU-Kerntrio waren sie nicht auf die Schliche gekommen, ihre Helfer und Hintermänner hat man nicht zur Rechenschaft gezogen. Bis heute.
Die Opfer des NSU hatten noch so viele Pläne
Die Schockwellen über dieses Versagen waren gerade abgeebt, da zog der Terror von rechts eine neue Blutspur. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die Anschläge von Halle und Hanau sorgten für Entsetzen. Die brutalen Taten machen deutlich: Neonazis und Rechtsextreme töten weiter.
Und sie markieren ihre Gegner auf sogenannten Feindeslisten. Zehntausende Menschen stehen inzwischen auf solchen Listen, darunter Lehrerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen, Politiker oder Journalistinnen. Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.
Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv hat in Zusammenarbeit mit elf renommierten Regionalmedien, die seit Jahren zu diesem Thema recherchieren, darunter auch die Nürnberger Nachrichten und der Bayerische Rundfunk, sowie gemeinsam mit dem Weißen Ring den Kontinuitäten des rechten Terrors in der Bundesrepublik nachgespürt. In einem großangelegten Projekt soll die Aufmerksamkeit vor allem auf die Betroffenen gelenkt werden.
Der Fotograf Ivo Mayr hat 57 Frauen und Männer besucht, die von Rechtsextremisten markiert wurden, und mit ihnen über ihr Leben, ihre Hoffnung, ihre Freude und Liebe gesprochen und sie porträtiert. Ihre Gesichter und Geschichten stehen für viele Menschen in unserer Gesellschaft, die Extremisten auslöschen, vernichten wollen.
Monatelang haben die Teams recherchiert, wer auf solchen Listen steht. Das Augenmerk richtet sich aber auch auf diejenigen, die durch rechte Gewalt Familienmitglieder verloren haben und in deren Leben nichts mehr so ist, wie es einmal war.
Die Porträts sind das Herzstück einer Ausstellung mit dem Titel "Menschen - im Fadenkreuz des rechten Terrors", zu dem auch ein Buch und Online-Veröffentlichungen gehören. „Das Projekt soll informieren und warnen zugleich: Wenn es uns als Gesellschaft nicht gelingt, rechtem Terror entschlossen entgegenzutreten, wird er uns auseinandertreiben und unserer Demokratie großen Schaden zufügen“, sagt David Schraven, Publisher von Correctiv. Man habe die Dokumentation multimedial angelegt, um möglichst viele Nutzer zu erreichen.
In drei großen Kapiteln geben die Journalistinnen und Journalisten Einblick in die hasserfüllte Welt der rechtsextremen Szene, welches Ausmaß ihr Handeln erreicht und wie schwerwiegend die Auswirkungen sind - und wie lückenhaft die Aufarbeitung dieses Komplexes ist.
In Nordbayern haben sich die extremen Rechten eine besonders perfide Methode ausgedacht, um Andersdenkende aus dem politischen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Bereich mundtot zu machen, die offen für Antifaschismus eintreten. "Anti-Antifa" heißt das Schlagwort, hinter dem sich die Einschüchterung und Bedrohung von "Volksfeinden" verbirgt.
Meist werden die Adressen und das persönliche Umfeld der Opfer ausgekundschaftet und die Daten dem rechtsextremen Millieu zugänglich gemacht. So landen dann Drohbriefe in den Postkästen, die Ausgespähten werden auf den Nachhauseweg abgepasst, bedroht - oder Schlimmeres. Im Raum Nürnberg hat dieses Vorgehen eine lange Tradition.
NSU-Kerntrio war oft in Nürnberg
Und auch das NSU-Kerntrio um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hielt sich schon vor ihrem Untertauchen oft in Nürnberg auf. Sie stiegen in einer Wohnung in Nürnbergs Osten ab, die in dieser Zeit auch der US-amerikanische Neonazi Gary Lauck besuchte. Lauck unterstützte die fränkischen Neonazis nicht nur durch Spenden, sondern stellte auch die Website anti-antifa.net bis zu ihrer Abschaltung im Jahr 2008 zur Verfügung.
Die Wander-Ausstellung „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“, ist Ende Juni in Solingen eröffnet worden und derzeit in Dortmund zu sehen. Vom 7. bis 10. September wird sie auch in Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Stadt Nürnberg gezeigt. Sie wird täglich von 10 bis 18 Uhr auf dem Willy-Brandt-Platz zu sehen sein. Weitere Stationen sind danach München, Rostock und Berlin.
Im Correctiv-Verlag erscheint Ende Juli das gleichnamige Buch zur Ausstellung und zum Gesamtprojekt. Auf 275 Seiten finden sich nicht nur die Porträts von Menschen, die im Fokus von Rechtsextremisten stehen, sondern auch die Beiträge der Journalistinnen und Journalisten von elf Regionalmedien, die zur Kontinuität rechten Terrors recherchiert haben.
In Nordbayern haben Neonazis über Jahre hinweg eine professionell arbeitende und konspirativ agierende Gruppe aufgebaut. Auch dieser Hintergrundbericht ist im Buch nachzulesen, das ab Anfang August in den Geschäftsstellen der Nürnberger Nachrichten und seiner Lokalausgaben sowie online unter www.zeitungsshop.nordbayern.de für 35 Euro erhältlich ist.
Weitere Informationen finden sich hier: www.menschen-im-fadenkreuz.de
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