Klinikum schlägt Alarm
"Extrem angespannte Lage": Nürnbergs OB König plädiert für Corona-Impfpflicht
10.11.2021, 21:13 UhrWas die Gefühlslage betrifft, war der Katastrophenfall im Klinikum Nürnberg schon eingetreten, bevor ihn die bayerische Staatsregierung am Mittwoch ausrief. "Wir sind in einer extrem angespannten Lage", sagt Dr. Arnim Geise, Oberarzt und Leiter der internistischen Intensivstation am Klinikum Nord. "Die Mitarbeiter sind gefrustet. Und es müsste nicht so sein, wenn der Impfstatus ein anderer wäre. Da kriegt man schon mal menschliche Gefühle."
In einer Pressekonferenz zur Inbetriebnahme einer städtischen Corona-Impfstelle im ehemaligen N-Ergie-Kundenzentrum beim Plärrer beschrieben der Lungenfacharzt und Prof. Achim Jockwig am Abend den Start in den zweiten Corona-Winter als besorgniserregend. "Wir haben ein Déjà-vu, aber unter anderen Voraussetzungen", so Jockwig. "Unser Klinikum ist anders als vor einem Jahr nämlich schon voll mit anderen Infektionserkrankungen. Dazu kommen jetzt die enormen Corona-Zahlen. Und wir sind in Bayern noch nicht der Hotspot."
84 an Covid-19 Erkrankte waren am Mittwoch auf Normalstationen in Behandlung, 20 weitere auf Intensivstationen - von ihnen waren 14 nicht geimpft. "Diese Patienten sind in meinem Alter, da sind das meistens Eltern mit kleineren Kindern. Da spielen sich Dramen ab", schildert Geise. Auch Corona-Leugner seien darunter.
Wann, wie und wo impfen lassen? Zu den aktuellen Corona-Informationen der Stadt Nürnberg
Während im bundesweiten Schnitt ein Drittel weniger Intensivbetten als vor einem Jahr zur Verfügung stünden, sei es am Klinikum zum Glück vorerst gelungen, den Personalstand zu halten, sagt der Intensivmediziner. Trotzdem könne seine Station mangels Fachkräften unabhängig von der Pandemie schon länger nur 26 der 40 vorhandenen Betten betreiben. Erste Anfragen, Schwerkranke aus anderen Fachrichtungen von auswärts aufzunehmen, müsse man jetzt ablehnen. Allein sechs Covid-Patienten benötigen derzeit die extrem personalaufwändige Beatmung mit der "ECMO"-Herz-Lungen-Maschine.
"Wir werden auch nicht umhinkommen, in den nächsten Wochen planbare Eingriffe zu reduzieren und mehr Intensivbetten für Beatmungspflichtige umzuschichten", kündigt Jockwig an. Es werde auch wieder zu Einschränkungen bei den Besuchsregeln kommen.
Dritte Impfstelle wird schon gesucht
In dem gemeinsamen Pressegespräch mit dem Kommunalkrankenhaus verkündet die Stadtspitze daher, wie sie den Winter abmildern will: nachimpfen, was das Zeug hält. "Wir sind jetzt im Turbo-Gang", sagt Oberbürgermeister Marcus König (CSU). Die Stadt Nürnberg werde ihr aktuelles Angebot von 3000 Corona-Impfungen pro Woche schnell auf 15.000 steigern. Zum Vergleich: Das aufgelöste Impfzentrum in der Messe konnte 2000 Impfungen am Tag verabreichen, also ähnlich viele. Daher sollen die beiden Impfstellen im N-Ergie-Kundenzentrum und in der alten Kfz-Zulassungsstelle ab 22. November an sechs Tagen pro Woche öffnen. Nach einem dritten Standort sucht das Rathaus noch.
König schließt sich der Überlegung des Bundesgesundheitsministeriums an, zu kostenlosen Corona-Bürgertests zurückzukehren. Die Tests sind seit Mitte Oktober privat zu bezahlen. Der Kommunalpolitiker plädiert aber auch dafür, eine einheitliche Impfpflicht zu erwägen. "Sonst holt uns das in der fünften und sechsten Welle wieder alles ein. Es würde vieles erleichtern." Menschen, die sich seit Monaten nicht hätten impfen lassen wollen, belegten jetzt Krankenhausbetten für andere, die beispielsweise eine Operation bräuchten. "Das ist schmerzhaft, und es ist die Schuld der Ungeimpften." Manche Gruppen ließen sich ohne Impfpflicht aber nicht erreichen.
Terminpflicht soll Warteschlangen reduzieren
Für eine Pflicht-Impfung bräuchte es allerdings ein Bundesgesetz. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte vor Kurzem eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen gefordert.
Während in der Impfstelle die Pressekonferenz läuft, ist draußen auf dem Gehsteig auch mal ein Fluchen zu hören. In der Warteschlange verbringt man leicht zwei Stunden im Freien. Mit der Dämmerung beginnt die Befürchtung, nicht mehr dranzukommen. Ein Anrufer berichtete unserer Redaktion sogar von vier Stunden. Ähnlicher Andrang herrscht in diesen Tagen bei der städtischen Impfaktion im Mercado-Einkaufszentrum und vor der Impfstelle Großreuther Straße.
Das Stadtoberhaupt und seine Gesundheitsreferentin Britta Walthelm (Die Grünen) geloben Besserung. "Es ist klar, wir brauchen wieder ein geordnetes Verfahren", so Walthelm. Ab 15. November benötigt man daher für die Impfstellen im N-Ergie-Zentrum und in der Kfz-Zulassungsstelle eine Anmeldung. Die Terminvereinbarung laufe ab sofort über das Bayerische Impfportal im Internet. "Wir arbeiten noch an einer telefonischen Terminvereinbarung." Auch mobile Impfaktionen soll es wieder geben, kündigt König an. Nur der Impfbus bleibt wegen der kalten Witterung außer Betrieb.
Als Ergänzung zu den Hausärzten
Britta Walthelm rechtfertigt nochmals die reduzierten Kapazitäten der vergangenen Wochen. Man sei der Aufforderung der bayerischen Regierung nachgekommen, wirtschaftlich zu verfahren; die großen Impfzentren wurden wie in ganz Deutschland Ende September auf Standby geschaltet oder aufgegeben. "Das war rational nachvollziehbar, zuletzt kam es dort nur noch zu drei Terminen am Tag."
Und jetzt die Kehrtwende, der Wiederaufbau: "So wie die Infektion in Wellen verläuft, ist es auch mit der Impfbereitschaft." Man folge also dem Kabinettsbeschluss, die Impfzentren wieder hochzufahren. "Wir tun jetzt wieder alles, was wir können." Weiterhin könne man sich aber auch an die Hausärzte wenden.
Wie viele Nürnberger genau mittlerweile gegen Covid-19 geimpft sind, lasse sich nicht sauber beziffern, sagt Walthelm. So würden etwa betriebsärztliche Impfungen nicht gemeldet und die in Nürnberg verabreichten Spritzen nicht nach Wohnsitz sortiert. "Wenn wir es überschlägig berechnen, können wir von einer Impfquote ähnlich wie in Gesamtbayern ausgehen: 67 Prozent der gesamten Bevölkerung."
Wer treibt die Inzidenz nach oben?
Der zuletzt explosionsartige Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz in der Stadt - von rund 200 auf rund 300 binnen einer Woche - gehe auf keine bestimmte Bevölkerungsgruppe zurück, so die Gesundheitsreferentin. Kinder und Schüler seien nicht überdurchschnittlich beteiligt. "Es sind schon die Erwachsenen, die das Infektionsgeschehen treiben. Wir sehen in den letzten Tagen in allen Altersgruppen ein breites Geschehen, das Dynamik entfaltet."