Beschuldigte schweigen

Freispruch für Angeklagte im Fall Alexandra R. gefordert - Tag der Urteilsverkündung steht fest

Saskia Muhs

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17.7.2024, 15:41 Uhr
Der Angeklagte Dejan B. zum Prozessauftakt im April 2024 am Landgericht Nürnberg-Fürth.

© Oßwald/News5 Der Angeklagte Dejan B. zum Prozessauftakt im April 2024 am Landgericht Nürnberg-Fürth.

Seit dem 9. April 2024 versucht die 19. Strafkammer des Landgericht Nürnberg-Fürth in einem reinen Indizienprozess zu klären, was mit Alexandra R. passiert ist, nachdem die Hochschwangere im Dezember 2022 spurlos verschwand und nie wieder auftauchte. Am vergangenen Freitag hat Richter Gregor Zaar die Beweisaufnahme geschlossen, am Montag hielten Klage, Staatsanwaltschaft sowie die Nebenklage ihre Plädoyers und forderten lebenslange Haft für die beiden Angeklagten Dejan B. (51) und dessen Geschäftspartner Ugur T. (49). - mit besonderer Schwere der Schuld. Am Mittwoch plädierte die Verteidigung, welche die Mordthese weiter anzweifelt. Auch die Angeklagten erhielten, wie vor Gericht üblich, das letzte Wort. Ein Urteil soll noch im Juli fallen.

Plädoyers der Verteidigung mit Spannung erwartet

Der Saal am Landgericht Nürnberg-Fürth ist zum Beginn des Verhandlungstags bereits um kurz vor 9.00 Uhr gut gefüllt – die Besucherplätze sind fast ausnahmslos belegt, genauso wie die Reihen für Presse- und Medienvertreter. Mit Spannung werden die Plädoyers der Verteidigung erwartet: Mit welchen Argumenten wollen sie trotz teils schwerwiegender Beweislast die Anklage wegen Mordes mit besonderer Schwere der Schuld abwenden?

"Es klaffen große Lücken" - Verteidigung beruft sich auf mangelnde Beweise

Dejan B. sitzt abgewandt von den Zuschauern neben seinen Anwälten. Eröffnung der Sitzung um 9.25 Uhr mit leichter Verspätung. Nachdem Richter Zaar die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft sowie Nebenklage wiederholt hatte, darunter Vorwürfe wie qualifizierte Nötigung, Geiselnahme mit Todesfolge, Mordes, Schwangerschaftsabbruch und Freiheitsberaubung mit Todesfolge, waren nun die Rechtsanwälte von B. am Zug.

Einer von B.s Rechtsanwälten eröffnet sein Plädoyer mit der Aussage, es sei ein "Indizienteppich ohne geschlossenes Motiv" entstanden, es klafften große Lücken, die auch in Hauptverhandlung nicht hätten geschlossen werden können. Es existiere keine Hypothese zur konkreten Tatbegehung, Tatort oder Verbleib des Opfers. Dafür hätten zwingend weitere Beweismittel gefunden werden müssen, was laut der Verteidigung nicht erfolgt sei.
In seinem Plädoyer bezieht sich der Rechtsanwalt zunächst nicht auf den mutmaßlichen Mord, sondern auf die zivilrechtliche Streitigkeit um Geld zwischen B. und Alexandra R., im März vor dem Verschwinden der Schwangeren, das als Hauptmotiv der potenziellen Tat gilt. Seiner Ansicht nach gebe es auch hier Ungereimtheiten bezüglich des von den Beschuldigten gestohlenen Mahnbescheids an Alexandra R, die eine Täuschungsabsicht B.s nicht klar darlegen würden.

Konkret ging es in dem Rechtsstreit um Zahlungsaufforderungen und Mahnbescheide in Höhe von mehr als 780.000 Euro aus – als angebliche Provision für Immobilien. Eine Summe, die laut Anklageschrift „völlig überhöht und teils frei erfunden“ war, weil sie sich auch auf Objekte bezogen, die nie verkauft wurden. Demnach sendeten Dejan B. und Ugur T. die Mahn- und Vollstreckungsbescheide absichtlich an eine Adresse, bei welcher R. zwar Eigentümerin, aber dort nicht wohnhaft war, damit diese nicht zeitig auf die Forderungen reagieren konnte.

Die Bescheide sollen die Angeklagten selbst aus dem Briefkasten der Wohnung geholt haben, damit es so aussah, als seien diese erfolgreich zugestellt worden. Diesen Vorwurf hält die Verteidigung für nicht haltbar. Zwar räumt der Anwalt ein, man habe den Mahnbescheid zwar in den Habseligkeiten von Alexandra R. gefunden, jedoch auch nicht bei den Angeklagten.

"Es wurde ein falsches Bild gezeichnet"

Das Immobiliengeschäft sei unter Einfluss B.s wirtschaftlich erfolgreich gewesen, wovon auch Alexandra R.s Lebensstil aufgewertet worden sei und sie somit von der Beziehung zum Angeklagten profitiert habe. Auch R. habe gerne große teure Autos gefahren und einen gehobenen Lebensstil geführt, was bisher lediglich als Motiv für Täuschung und Mord der Anklage für die Beschuldigten vorgebracht wurde.

Auch habe B. die von ihm renovierten Immobilien nicht zu überteuerten Preisen veräußert, was für die Verteidigung gegen das Motiv der Habgier spreche. Man habe so ein falsches Bild von den Angeklagten und Alexandra R. gezeichnet, was die Angeklagten und auch das mutmaßliche Opfer in ein falsches Licht gerückt habe.

"Wir haben nichts, was belastbar wäre" - Freispruch gefordert

Im Plädoyer des zweiten Verteidigers von Dejan B. geht es dann um die Tat selber. In der Urteilsfindung könne die Schuld der Angeklagten nicht bewiesen werden, somit gelte er laut Menschenrechtskonvention als unschuldig - die angebrachten Indizien reichten auch seiner Meinung nach einfach nicht aus. Man könne den von der Anklage erhobenen Tatbestand daher nur mutmaßen, nicht beweisen.

Vorangegangene DNA-Gutachten, bei der Spuren von Alexandra R.s Erbgut an mutmaßlichen Beweismitteln gefunden worden waren, seien zwar valide, so der Jurist, doch könne man nicht auf einen konkreten Zusammenhang zwischen den DNA-Spuren und dem laut Anklage geschehenen Tathergang schließen. Sie könnten auch ohne ein Verbrechen an die entsprechenden Stellen gelangt sein. Ähnlich argumentiert er auch bei den von der Anklage angebrachten Geruchsspuren durch Polizeidienst- und Personenspürhunde. Diese waren als Beweis aufgrund eines zu großen Zeitabstands zwischen Tatzeitpunkt und Absuche teilweise abgelehnt worden. Seiner Meinung nach werden diese Indizien generell überschätzt, da diese durch verschiedenste Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und andere äußere Umstände maßgeblich beeinflusst werden könnten. Zudem sei es bei der Absuche zu teils widersprüchlichen Ergebnissen gekommen.

An einem Besen in einer Lagerhalle in Sindersdorf gefundene Haare, die angeblich am Tattag von Alexandra R. verloren worden sein sollten, passten in Farbe und Länge nicht zum Erscheinungsbild der verschwundenen Frau, wie sie diese zum Zeitpunkt ihrs Verschwindens getragen haben soll. Auch die ausgewerteten Mobiltelefon- und Funkdaten seien als Indizien nicht belastbar. Man könne nicht nachweisen, dass B. das Handy, das er extra für die Tat angeschafft haben soll, am mutmaßlichen Tattag bei sich getragen und benutzt habe.

Zu beweisen sei demnach weder, dass sich Dejan B. noch Alexandra R. am 9. Dezember 2022 in besagten ausgeliehenen Mitsubishi, dem angeblichen Tatfahrzeug, oder am mutmaßlichen Tatort in der Immobilie in Schwabach befunden habe. Auch das als Indiz angebrachte Videomaterial sei neben den DNA-Spuren nicht als Beweismittel haltbar. Der Verteidiger beruft sich in seinem Plädoyer erneut auf die "qualitativ schlechten" Gutachten: Ein Gutachter, der einen der beiden Angeklagten auf einem Video-Standbild erkannt haben will, wurde wegen Befangenheit in einer vorangegangenen Sitzung abgelehnt, eine weitere Gutachterin konnte die Angeklagten auf dem Material nicht identifizieren. "Wir haben nichts, was belastbar wäre", fasst der Rechtsanwalt sein Plädoyer zusammen.

Man habe B. zudem bislang in dem Prozess vorgeworfen, die Tat penibel und akribisch geplant zu haben - viele Ungereimtheiten würden jedoch grobe Fehler bei der Ausführung und Vertuschung des Mordes vermuten lassen. "Würde ein solcher Mensch jemanden, den man umbringen möchte, in eine Lagerhalle bringen, die von der eigenen Firma angemietet wurde?", "Würde sich ein akribischer Planer ein eng besiedeltes Wohngebiet aussuchen, um sein Opfer zu entführen?", fragt der Anwalt, um seine Unschuldsthese zu untermauern.

Ein freiwilliges Abtauchen Alexandra R.s, Suizid oder auch ein Verbrechen, das nicht von den Beschuldigten begangen worden ist, könne man laut Verteidigung daher genauso wenig beweisen, beziehungsweise ausschließen wie die Schuld des Angeklagten. Schlussendlich begründen die Verteidiger so ihre Forderung nach Freispruch für ihren Mandanten Dejan B.

Freispruch auch für Ugur T. gefordert

Auch die Verteidiger von Ugur T. folgen der Argumentation der Verteidiger Dejan B.s.Tatort, Tathandlung, Tatzeit - all diese Punkte sehen auch die Verteidiger vom zweiten Angeklagten, Ugur T., nicht ausreichend belegt, um ihn wegen Mordes anzuklagen. Er soll laut Staatsanwaltschaft als ehemaliger Geschäftspartner von Dejan B. an der Planung und Ausführung der Tat beteiligt gewesen sein. Die Rechtsanwältin beruft sich in ihre, Plädoyers auf den sogenannten "Confirmation Bias" – zu Deutsch, Bestätigungsfehler, ein psychologisches Phänomen, das alle Indizien im Licht der Schuld der Angeklagten erscheinen lässt – auch wenn dies, rein objektiv, nicht der Fall sei.

Zeugen beschrieben T. als freundlich, hilfsbereit und gesetzestreu und vor allem bescheiden und nicht sonderlich risikobereit. Dass er weder nach Luxus noch Statussymbolen strebe und sich auch sonst nie etwas habe zuschulden hat kommen lassen, spreche aus Sicht der Verteidigerin nicht für eine Tatbeteiligung an einem Mord, Geiselnahme oder Betrug.

Auch sei es aus Sicht der Verteidigung nicht nachweisbar, dass Alexandra R. am 9. Dezember 2022 geplant habe, zu der Immobilie in Schwabach zu fahren. Daher hätten auch die Angeklagten nichts davon wissen können, um ihr dort, wie die Anklage behauptet, aufzulauern und sie in eine Lagerhalle nach Sindersdorf bei Hilpoltstein zu entführen. Auch sie bezieht sich hier auf die vorab erwähnten Gutachten zum Videomaterial diverser Überwachungskameras.

Laut Verteidiger Ugur T.s eignen sich auch die mobilen Daten von Alexandra R.s Mobiltelefon nicht, um klar nachzuweisen, wo das Handy, bzw. die Verschwundene sich aufgehalten haben könnte. Google-Daten seien laut eines Experten nicht geeignet, die Funkdaten stünden im Widerspruch zur zurückgelegten Strecke laut Funkzellenauskunft. Entsprechend könne man auch dem Angeklagten nicht nachweisen, ob Ugur T. und Alexandra R. sich überhaupt gemeinsam in Sindersdorf aufgehalten haben. Auch Absuchen mit Spürhunden lieferten keine Befunde in Bezug auf T.

Auch die Fingerabdrücke von Ugur T., die an einer als Indiz angeführten Rolle Gewebeklebeband nachgewiesen werden konnten, sieht die Anwältin nicht als Indiz. Es handle sich dabei um einen Alltagsgegenstand, den T. bereits zuvor, bei einer anderen Tätigkeit hätte benutzten können, die nicht mit einer möglichen Straftat in Zusammenhang steht. Somit gelte das Klebeband auch nicht als Beweis dafür, dass Ugur T. sich an für die Tat relevanten Orte zu besagten Zeitpunkten aufgehalten habe.

Ugur T. stehe zudem in keinerlei Beziehung zu Alexandra R. – habe sie lediglich ein, zwei Mal getroffen, als sie noch mit Dejan B. liiert war, dementsprechend sehe die Verteidigerin auch kein Tatmotiv für Ugur T. In der von Alexandra R. gestellten Anzeige, die zum Zivilrechtsprozess wegen Nötigung führte, der kurz nach ihrem Verschwinden hätte starten sollen, ist keine Rede von T. – alle Vorwürfe bezogen sich lediglich auf Dejan B. Auch das spricht für die Verteidiger gegen eine Tatbeteiligung T.s.

Wie in Gerichtsprozessen üblich hatten beide Angeklagte zum Abschluss der Plädoyers die Möglichkeit auf das letzte Wort. Beide machten weiterhin von ihrem Recht zu Schweigen Gebrauch.

Anklage fordert lebenslange Haft

Nachdem sich die 39-Jährige von B. trennte und ihm den Zugriff auf ihre Konten für deren undurchsichtigen Immobiliengeschäfte verweigerte, sei die Einnahmequelle für die beiden angeklagten Geschäftspartner weggebrochen. „Um sich ihr Vermögen zu sichern“, so die Überzeugung der Staatsanwaltschaft, hätten die Angeklagten beschlossen, R. zu entführen und zu töten. Über Stunden hinweg führte die Staatsanwaltschaft am Montag (15.07.) Argumente auf, die für ihre Mordthese sprechen.

Die Urteilsverkündung im Mordprozess um Alexandra R. hat Richter Zaar für den 24. Juli 2024 angesetzt, ursprünglich sollte dieses am 26. Juli fallen. Sollte die Anklage die Richter, trotz der Ausführungen der Verteidigung, mit ihren Indizien überzeugen, droht ihnen lebenslange Haft.