Fürth: Dank der Hilfe der Nachbarn kann sie in ihrer Wohnung bleiben

Timo Schickler

Lokalredaktion Nürnberg

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31.5.2021, 09:20 Uhr
Roland Holzheimer hilft seiner Nachbarin Rita Lotter in allen Lebenslagen.

© Michael Matejka, NNZ Roland Holzheimer hilft seiner Nachbarin Rita Lotter in allen Lebenslagen.

Nur wenige Stufen trennen ihre Wohnungen. Immer wieder begegnet Rita Lotter im Treppenhaus dem Mann, der mit seiner Frau ein Stockwerk tiefer wohnt. Die Nachbarn halten sich gegenseitig die Tür auf oder grüßen sich im Aufzug. Mehr nicht. "Manchmal habe ich mir gedacht, der kriegt die Gosche nicht auf", sagt Rita Lotter.

"Ich wäre im Altenheim"

Jetzt sitzen der, der den Mund angeblich nicht aufkriegt, und die, die ihn nur selten schließt, gemeinsam am Esstisch mit Blick über die Fürther Hardhöhe und lachen. Heute weiß Rita Lotter es besser, denn sie kennt Roland Holzheimer inzwischen gut. Das Schicksal hat die beiden zusammengeführt. Und ihnen gezeigt, wie viel sie gemeinsam haben.


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Ihr Wohnort ist nur eine Gemeinsamkeit. Inzwischen für Rita Lotter aber die wichtigste. Denn ohne Roland und Irit Holzheimer, das weiß die 82-Jährige, könnte sie dort nicht mehr leben. "Ich wäre längst in einem Altenheim", sagt sie und kämpft mit den Tränen.

Schuld ist ein Unfall vor zwei Jahren. Anfang 2019 will Lotter etwas Gutes tun, "ich wollte für die Bienen unterschreiben", beim Volksbegehren mitmachen. Also geht die damals fitte Seniorin ins Fürther Rathaus. Dort passiert es: Lotter stürzt über eine Rampe, die gar nicht an dieser Stelle hätte stehen dürfen, wie sie heute weiß. Nur bringt ihr das nichts. Rita Lotter bricht sich die Schulter und das Handgelenk. Und ist von einem Tag auf den anderen nicht mehr selbstständig.

Nach Unfall beeinträchtigt

Ihre Tochter hilft, obwohl sie mit ihrer Familie im über Tausend Kilometer entfernten Portugal lebt. Sie organisiert Essen auf Rädern und eine Einkaufshilfe für die Zeit nach dem Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt. Denn klar ist: Rita Lotter wird ihren Arm nie mehr richtig heben können. Auch im Handgelenk bleiben Schäden. Die Tochter reist an, doch ihre Unterstützung vor Ort ist nicht auf Dauer.

Eine andere schon. Als Lotters Tochter einen Ersatzschlüssel für die Wohnung ihrer Mutter bei den Nachbarn deponieren will, bietet Roland Holzheimer sofort seine Hilfe an. Es ist viel mehr als eine Floskel, wie sie vielen über die Lippen kommt. Seit zwei Jahren "hilft er mir in allen Lebenslagen", sagt Lotter. Die Zeit, die Rentner Roland Holzheimer dafür investiert, "ist unmöglich zu schätzen".

Von Brötchen bis Batterien

Der winkt ab. "Das ist gar nicht so viel", sagt er. Wenn er samstags zum Einkaufen geht, hängt er für seine Nachbarin eben noch eine Stunde dran. Lotter widerspricht, damit sei es längst nicht getan. Am Wochenende hängen frische Brötchen an ihrer Tür. Wenn die Batterien des Radios leer sind, holt der Nachbar neue. Wenn der Fernseher streikt, ist Roland Holzheimer da, stundenlang, bis er wieder funktioniert.

"Ich habe ja die Zeit", sagt der 66-Jährige und meint damit, dass er Rentner ist. Er ist mit vier Geschwister aufgewachsen und hat früh gelernt, dass man sich gegenseitig hilft. Während er erzählt schaufelt der Grauhaarige mit den Lachfalten einen Löffel Zucker nach dem anderen in seinen Kaffee. Gerne widme er sich auch technischen Problemen, wie Lotters altersschwacher Stereo-Anlage. Die gibt komische Geräusche von sich, weiß Holzheimer. Er meint nicht die klassische Musik, die seine Nachbarin so gerne hört. Sondern die marode Membran des Lautsprechers.

Musik ist Rita Lotter wichtig, Roland Holzheimer genauso. Davon zeugen ein Plattenspieler und viele LPs und CDs in seiner Wohnung. Auch wenn er die längst digitalisiert hat. Er hört gerne Rock, Pop und auch Reggae. Noch mehr aber als die Liebe zur Musik bringt Irit und Roland Holzheimer und ihre Nachbarin der Blick auf die Welt einander näher.

Viele Gemeinsamkeiten

Alle drei werden in verschieden Teilen des Landes groß. Irit Holzheimer im Norden, Rita Lotter im Rheinland und Roland Holzheimer in Gemünden am Main in Unterfranken. Und doch wachsen die heutigen Wahl-Fürther mit ähnlichen Grundsätzen und politischen Ansichten links der Mitte auf.


Wegen Corona: Er kauft für die ein, die nicht dürfen


Sie setzen sich für ihre Überzeugungen ein, egal wo. Die beiden Pädagogen demonstrieren in den Siebzigern in Frankfurt mit Tausenden Studenten gegen den Vietnamkrieg oder machen sich in Fürth für Afrika stark. Viele Mitbringsel in den Regalen und Schränken zeugen von Reisen nach Namibia und Südafrika.

Rita Lotter hilft vor allem denen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Lange Jahre arbeitet sie im Kontaktcafé in Fürth, widmet sich Asylbewerbern. Außerdem macht sie sich im Fürther Verein "Müll und Umwelt" stark. Als sie für ihre Tochter zuhause bleibt, wird sie Tagesmutter. 25 Kinder zieht sie quasi mit ihrem eigenen groß. Viele Tränen habe sie bei der Trennung von den Mädchen und Jungen vergossen.

"Eine schwere Aufgabe", weiß Roland Holzheimer, vor allem emotional. Während seine Frau in Nürnberg im Jugendzentrum für politische Bildung arbeitet, ist er bei der Stadt Fürth angestellt - im erzieherischen Kinderschutz. Er organisiert Ferienprogramme, Brettspiel-Tage und vieles mehr. Obwohl sie keinen eigenen Nachwuchs haben, schlägt das Herz der Holzheimers für Kinder. So wie das der Frau, die über ihnen wohnt. Schon seit zehn Jahren.

Er ist ihr drittes Auge

"Und dann ergibt sich der enge Kontakt erst, wenn etwas passiert", grübelt Irit Holzheimer. Natürlich geht es viel um die Hilfe, die das Paar leistet. Lotter bezeichnet Roland Holzheimer als ihr drittes Auge. Sie leidet unter grünem Star, der Nachbar erledigt deshalb auch Papierkram mit ihr, begleitet sie zu Arztterminen "und legt so toll Socken zusammen wie kein Zweiter".

Aus der Hilfe ist längst mehr geworden. Zu Rita Lotters 80. Geburtstag stehen die Holzheimers mit Blumen und Kuchen vor ihrer Tür. Von der Hälfte der Prämie, die Roland Holzheimer für den EhrenWert-Preis erhält, kauft er Lotter eine neue Stereo-Anlage.

Rita Holzheimer hat durch ihren Unfall ihre Selbstständigkeit verloren. Aber echte Freunde gewonnen.

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