Klinikum Nürnberg klärt auf
Geimpfte auf der Intensivstation? Warum man sich trotzdem impfen lassen sollte
13.11.2021, 05:55 UhrNachrichten von einem überraschend hohen Anteil Geimpfter auf den Corona-Intensivstationen verunsichern viele Menschen. Mit einem kurzen Ausflug in die Mathematik versteht man den Grund besser. "Die meisten Glatteis-Unfälle passieren statistisch mit Winterreifen, dieses Beispiel nehme ich gern", sagt Dr. Arnim Geise, Oberarzt und Leiter der internistischen Intensivstation am Klinikum Nürnberg. "Aber eben nicht, weil die Autofahrer Winterreifen benutzen, sondern weil Glatteis dann auftritt, wenn es Winterreifen gibt."
"Wir sehen überwiegend Ungeimpfte"
Geimpfte stecken sich schwerer mit dem Sars-CoV2-Virus an, verbreiten es kürzer und in geringerer Dosis, und im Erkrankungsfall verläuft die Infektion milder: "Das wissen wir sicher", sagt Geise. "Die Impfung wirkt. Definitiv." Die Grundgesamtheit der Geimpften ist mit über 50 Millionen Deutschen deutlich größer als die Gruppe der 15 bis 18 Millionen Ungeimpften. Diese machen aber die ganz große Mehrheit unter den schwer an Covid-19 Erkrankten aus. Wer diese Größenverhältnisse missachte ("Also wirkt die Impfung wohl nicht"), missbrauche Informationen.
Corona: Auslastung der Intensivbetten in Bayern spitzt sich zu
Für das Klinikum Nürnberg bedeutet das: "Wir sehen überwiegend Ungeimpfte." Auf den Corona-Intensivstationen waren Mitte dieser Woche 14 der insgesamt 20 Patienten nicht gegen Covid-19 geimpft. Dasselbe Verhältnis – einer von vier Covid-Intensivpatienten war geimpft und erkrankte trotzdem schwer – beobachtet die Bayerische Krankenhausgesellschaft in vielen Häusern.
Kinder mit zwei erkrankten Elternteilen
"Die Geimpften sind sehr alt und haben zahlreiche Begleiterkrankungen", berichtet Arnim Geise aus seinem aktuellen Alltag. Viele chronisch Kranke hätten einen reduzierten Immunstatus, sodass die Corona-Impfung sie weniger gut schütze. Durch die leichtere Übertragbarkeit der Delta-Virusvariante, die zudem in Schnelltests oft unentdeckt bleibe, wird eine Infektion bei ihnen leichter möglich.
"Unsere jungen Patienten aber sind alle ungeimpft. Und wenn Sie in meinem Alter auf der Intensivstation landen, ist das tragisch, weil es vermeidbar gewesen wäre", sagt der Lungenfacharzt. "Da liegt die Mutter bei uns, der Vater auf der Intensiv in Erlangen, und das Jugendamt betreut solange die Kinder. Das ist kein Einzelfall." 14 der 26 internistischen Intensivbetten im Nordklinikum waren in dieser Woche durch Covid-Infizierte belegt. "Sieben, acht, neun Betten sind noch für Nicht-Corona-Patienten da – noch können wir den Ballungsraum versorgen, aber schon nicht mehr andere Spezialfälle von weiter außerhalb."
"Die Impfung ist keine persönliche Angelegenheit"
Die Corona-Impfung könne man in der sich aktuell rasant zuspitzenden Corona-Welle nicht länger als eine persönliche Angelegenheit bezeichnen, findet Geise. "Es betrifft uns jetzt alle." Auch Klinikums-Vorstandsvorsitzender Prof. Achim Jockwig appellierte in einem Pressegespräch der Stadt Nürnberg, Impflücken dringend zu schließen oder Impfungen aufzufrischen. "Jeder Bürger, der geimpft ist, hilft ein Stück, die Welle zu durchbrechen, und er hat natürlich auch einen Eigennutzen davon."
Am Freitag behandelte das Klinikum 100 Corona-Patienten auf Normal- und 20 auf Intensivstationen. Wegen der Überlastung im Hotspot-Landkreis Rottal-Inn nahm es von dort zwei Patienten auf; weitere drei aus Niederbayern wurden im Bereich der Rettungsleitstelle Nürnberg verteilt. Von einer "massiven Überlastungssituation" sprach am Freitag Prof. Stefan John, leitender Intensivmediziner am Klinikum Nürnberg, im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. "Insgesamt ist die Stimmung wirklich schlecht, vor allem beim Pflegepersonal. Es sind natürlich auch die, die am Bett stehen, die immer wieder im Vollschutz schwitzend stundenlang den Patienten betreuen müssen."
Noch gestattet das Klinikum Besuche
Das Klinikum kündigte an, planbare Behandlungen bald wieder vertagen zu müssen. Hier gilt es laut Vorstand Jockwig die Balance zu halten, damit ein zu frühes Herunterfahren nicht an anderer Stelle Menschen schadet, etwa Patienten mit Krebserkrankungen. Das Nadelöhr sei die anhaltende Personalknappheit besonders in der hochspezialisierten Intensivpflege. Dazu komme die heftige jahreszeitliche Erkältungswelle bei den Mitarbeitern. Es werde auch wieder zu Besuchsverboten kommen müssen.
Bis auf Weiteres können Patienten für eine Stunde pro Tag von einer Person besucht werden. Für Besucher gilt nach wie vor 3G: geimpft, getestet oder genesen. In der Kinderklinik und Geburtshilfe gelten Ausnahmen. Es besteht FFP2-Maskenpflicht auf dem Gelände.