Schlaf und Corona
Gute Nachricht aus der Medizin: Warum Menschen im Lockdown besser schlafen
20.6.2021, 08:34 UhrEs gibt viele Anlässe, um schlecht zu schlafen: Hitze, Mücken oder ein schreiendes Baby zum Beispiel. Schichtarbeit zählt dazu, Stress und Depressionen auch. Vor einem Jahr hat die Menschheit einen neuen Grund hinzubekommen: Corona.
Die Virus-Pandemie beeinträchtigt zunächst einmal die Nachtruhe der Erkrankten selbst, sagt die Nürnberger Schlafmedizinerin Dr. Dora Triché. "Wir wussten bereits von anderen Virusinfekten, dass Schlafstörungen eine Langzeitfolge sein können." Das hätten Studien aus China und Italien für Sars-CoV-2 klar bestätigt, sagt die Oberärztin am Klinikum Nürnberg, die dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) angehört.
"Long Covid" und Schlafprobleme
Anlässlich des Aktionstags "Erholsamer Schlaf", den die Fachgesellschaft jährlich am 21. Juni ausruft, macht Triché auf das "Long Covid"-Problem in ihrem Fach aufmerksam. Bis zu 40 Prozent der genesenen Covid-Infizierten hätten in den Studien Schlafstörungen als bleibendes Symptom angegeben. Betroffen seien vor allem Jüngere, Frauen und Menschen mit psychischen Vorerkrankungen.
Als körperliche Ursache sei der Einfluss der Coronaviren auf das Zentralnervensystem und auf die Immunantwort zu vermuten. "Dazu kommt die starke psychische Belastung, die ein Patient durchgemacht hat, wenn er vielleicht ins Krankenhaus in Isolation musste."
Filmreife Masken im Schlaflabor des Nürnberger Nordklinikums
Die Erfahrungswerte des Klinikums können dies bestätigen, so die Medizinerin. Das Schlaflabor dort betreut genesene Patienten und Mitarbeiter, die neben Atembeschwerden auch Schlafstörungen behielten. Die sind nur selten so extrem wie bei der US-amerikanischen Drehbuchautorin Heidi Ferrer. Die 50-Jährige nahm sich laut Medienberichten offenbar wegen Langzeit-Corona-Folgen kürzlich das Leben – vor Schmerzen habe sie kaum noch geschlafen, erzählt ihr Ehemann. "Umso wichtiger ist es, dass Menschen mit ,Long Covid‘ psychologische Betreuung und neurologische Reha-Maßnahmen bekommen", sagt Dora Triché.
Ängste und Einsamkeit
Wenn es um die Schlafverhältnisse derjenigen geht, die die Lungenkrankheit nicht bekamen, ist die Lage in der Pandemie geteilt. Kurz gesagt: Die einen leiden, die anderen profitieren. Innere Anspannung erweist sich als Schlaf-Killer Nummer eins. "Klar ist, dass die Krise sich durch Ängste, Einsamkeit oder Doppelbelastungen in Familie und Arbeit auf das seelische Befinden auswirkt", sagt Prof. Kai Spiegelhalder vom Uniklinikum Freiburg in dem Pressegespräch zum Aktionstag.
Schlechter Schlaf sei dabei ein Frühwarnzeichen. "Aber Schlafstörungen können nicht nur Folge, sondern auch Ursache seelischer Belastungen sein", betont der Psychologe. Aus dem Teufelskreis könne am ehesten kognitive Verhaltenstherapie führen, in der Betroffene lernen, sich tagsüber mit ihren Sorgen zu beschäftigen und so die Bedingungen für die Nachtruhe zu verbessern. Alkohol als Schlafmittel sei der falsche Weg. "Fast der wichtigste Rat", sagt Spiegelhalder, "ist, nicht zu lange im Bett zu bleiben. Menschen mit Schlafstörungen neigen dazu, ihre Bettzeit dauerhaft zu verlängern."
Liegen bleiben im Lockdown
Die Schlafmediziner führen eine im Februar veröffentlichte Befragung der Krankenkasse "Mhplus" an. Darin berichten 64 Prozent der Befragten, dass sich ihr Schlafverhalten unter Corona-Bedingungen verändert hat. Mehr als jeder Zweite hat demnach abends Probleme einzuschlafen und wacht morgens wie gerädert auf. Daran hat auch vermehrter Medienkonsum am Abend schuld.
Nürnberger Schlafmediziner rät zu späterem Schulbeginn
Solche Befragungen ohne Vergleichswerte seien freilich nur Momentaufnahmen, sagt der Chronobiologe Prof. Till Roenneberg von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. "Menschen interpretieren in ihre subjektive Empfindung von Schlaf sehr viel hinein." Dass die Pandemie auch positive Effekte gebracht habe, zeige die große Befragung, die er mit Kollegen im Frühjahr 2020 in 40 Ländern durchführte.
Demnach näherten sich gerade Menschen, die früher nur an freien Tagen genügend Schlaf abbekamen, durch Homeoffice, Schulschließungen und weniger sozialen Zeitdruck überraschend weit ihrem natürlichen Schlafbedürfnis an. Das Gros der Menschen lebe sonst mit einem "sozialen Jetlag" von ein bis zwei Stunden – diese Verschiebung verringerte sich im Lockdown plötzlich auf bis zu 20 Minuten. "Wir sollten aus dieser Sondersituation lernen", findet Roenneberg. "Wir brauchen mehr fröhlichere Menschen, die ohne Wecker aufwachen." Je stärker ein Mensch bei der Uhrzeit gegen sein genetisch veranlagtes, persönliches "Schlaffenster" lebe, desto mehr stiegen seine Erkrankungsrisiken.
Herzschäden und Depression: Selbst Corona-Infizierte ohne Symptome leiden unter Langzeitfolgen
Die wichtigsten Tipps des Mediziners bei Ein- und Durchschlafstörungen: "Ans Licht gehen. Das hat einen Rieseneffekt für die Psyche und die innere Uhr." Der Körper braucht zum Aufbau des Schlafhormons Melatonin nämlich als Ausgangsprodukt das stimmungshebende Hormon Serotonin – das bildet sich bei Tageslicht im Freien. Außerdem: "Man sollte als erstes schauen, welcher Chronotyp man ist, und nicht versuchen, zu den persönlich falschen biologischen Zeiten zu schlafen."
Nach der Impfung gut schlafen
Auch mit der Impfung gegen das Coronavirus hat sich die Schlafmedizin beschäftigt. Das genaue Zusammenspiel von Immunsystem und Schlaf sei wissenschaftlich erst ansatzweise untersucht, sagt Dr. Anna Heidbreder, Neurologin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Dennoch sei sicher, „dass man vor und nach einer Impfung aktiv auf einen ausreichenden und erholsamen Nachtschlaf achten sollte“.
In Untersuchungen von Impfungen gegen Hepatitis A und Influenza habe sich gezeigt, dass intensiver Tiefschlaf in der Nacht nach der Spritze die Bildung von Antikörpern ankurbelte. Für die Medizinerin ein Argument dafür, dass Impfzentren nachts ruhig pausieren sollten. Aber auch allgemein trage Schlaf stets zu einer besseren Immunabwehr bei.
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