"Hallo, Frau Munsi": Neues Christkind zieht Blicke auf sich
19.11.2019, 05:47 UhrInkognito U-Bahn fahren, das geht nicht mehr. Oft schauen die Sitznachbarn sie jetzt einen Moment länger an. Benigna Munsi macht sich einen Spaß daraus, zurückzugucken. "Ich lache die an und freue mich, wenn sie überlegen, wo sie mich schon mal gesehen haben." Sie sehe sich ja selbst gern Leute an, erklärt sie fast entschuldigend, "ich bin halt ein offener Mensch".
Ja, ziemlich viele Menschen haben das zierliche Gesicht mit dem breiten Lächeln, den dunklen Locken und der Brille schon mal gesehen. Online-Portale, führende Zeitungen, die ZDF-"Heute-Show" spielten das Bild in den ersten Novembertagen landauf landab. Wegen ihrer Hautfarbe wurde die Nürnbergerin zum Auslöser für eine bizarre pseudopolitische Netzdebatte über angebliche Traditionsbrüche. Und jetzt?
"Es geht mir sehr gut", sagt die 17-Jährige im Interview mit der NZ und fläzt mit baumelnden Beinen im Café-Sessel. Unbekümmert erzählt sie, dass sie am Vormittag bei einer Gruppenarbeit in der Schule nicht auf der Höhe gewesen sei und zu wenig geschlafen habe. Ein paar Klausuren zieht die angehende Abiturientin des Labenwolf-Gymnasiums gerade vor, weil sie in der Adventszeit ausfallen wird. "Ich streng mich noch mal richtig an. Meine Lehrer sind positiv eingestellt, dass ich das schaffe."
Christkinder halten zusammen
Ihre Vorfreude auf die Aufgabe ist groß. Kurz schluckte sie, als sie noch am Abend ihrer Wahl "ein dickes Geheft" überreicht bekam: den Christkind-Dienstplan. "Er ist sehr voll. Ich weiß, dass das super anstrengend wird. Aber was ich da alles erleben darf, empfinde ich als Bereicherung." Das Nürnberger Christkind sei vor allem bei den Alten- und Krankenbesuchen "ein Hoffnungsbringer". Sie nehme sich vor, bei jedem Termin "mit meiner kompletten Energie da reinzugehen, damit die Leute sich über den Moment freuen können". Bei ihren Mitschülern sei sie gefürchtet, erzählt sie selbstironisch: als "oft sehr, sehr, sehr gut gelaunt an einem Montagmorgen", als jemand, der andere positiv aufladen will.
Der Stab der Christkind-Helfer steht beratend zur Seite. Allen voran die Vorgängerinnen. Mit Rebecca Ammon, die jetzt für zwei Jahre die Auslandsauftritte übernimmt, ging Benigna Munsi die Skiunterwäsche einkaufen, die sie unterm Engelsgewand tragen wird. Rebecca schenkte ihrer Nachfolgerin, so will es die Tradition, einen Glitzerlidschatten und riet ihr, an den langen Tagen die Pausen nicht zu vergessen. Von anderen Ex-Christkindern kam Zuspruch in der WhatsApp-Gruppe und per Brief. "Ich hab mich so gefreut, das ist wie eine Familie."
Munsi bringt sogar Auslandserfahrung mit
Es mache ihr außerdem großen Spaß, mit dem Sprechtrainer Thomas Dietz den Prolog zur Markteröffnung einzustudieren. "Ich spreche das T am Wortende ziemlich undeutlich, und ich habe ,seliche Weihnachtszeit‘ gesagt", erzählt sie. Vor der Auswahljury war die 17-Jährige damit aufgefallen, dass sie dialektfrei und souverän rezitiert, dabei aber gern von einem Bein aufs andere tänzelt. Das wird auf dem Balkon der Frauenkirche nicht gehen.
Sie brauche halt Bewegung in ihrem Leben, sagt sie, sie singe, tanze und spiele am liebsten Theater. Coach "Tommy" ermutige sie dazu, auf ihre ganz eigene Art aufzutreten, als "Christkind Benigna". "Ich weiß nicht, wie meine Art wirkt. Ich glaube, das muss ich auch nicht wissen." Sie denke sich: "Ihr könnt die Art akzeptieren oder nicht – aber ihr müsst mich respektieren, weil ich halt so bin als Christkind."
Dieser Teenager aus der Weststadt zeigt Selbstvertrauen. "Ich bin zufrieden mit mir." Wahrscheinlich kommt das aus der großen Familie, überlegt Benigna. Als Zweitjüngste von drei Brüdern und zwei Schwestern ist sie Betriebsamkeit und Meinungsaustausch gewohnt. Die 10. Klasse verbrachte sie allein an einer Austauschschule in Brasilien. "Zufällig hatte ich in meiner Gastfamilie auch drei Brüder und eine Schwester. Ich habe es geliebt."
Die Bühne ist ihr nicht fremd
Auftritte vor Publikum sind nichts Neues für die junge Frau. Schon zur Grundschulzeit stand sie als Statistin im Nürnberger Opernhaus auf der Bühne, zum Beispiel als Kind der Hauptfigur in "Madame Butterfly". Die Ministrantin gab in ihrer Gemeinde St. Bonifaz gern die Erzählerin im Krippenspiel an Weihnachten, las im Seniorenheim Geschichten vor. Sie unterrichtet Geige in einem Kindergarten, und seit einem Jahr ist sie in Produktionen des Staatstheater-Jugendclubs zu sehen. Theaterschauspielerin, das wäre ihr Traumberuf. "Du kannst auf der Bühne 50 000 verschiedene Personen spielen. Und jeder Zuschauer kann, basierend auf seinen Ideen und Werten, eine ganz andere Geschichte aus dem Stück lesen."
Benigna Munsi mag: Schildkröten, Spaziergänge mit dem Familienhund, Second-Hand-Klamotten, das Schulfach Geologie, Fußballspielen, den FC Bayern und den 1. FCN. Sie mag nicht: "wenn Leute nicht gut miteinander umgehen". Das bezieht sie in dem Fall auf das Hauen und Stechen der Fotografen und Kameraleute bei ihrer Kostümprobe.
Das plötzlich enorme, teils distanzlose Interesse an ihrer Person bezeichnet sie freundlich als "ziemlich cool", aber "schon auch krass". Nur ein Beispiel: 1000 Abo-Anfragen erhielt Benigna Munsi in den vergangenen zwei Wochen auf der Fotoplattform Instagram. Alles Menschen, die von ihr gehört hatten und neugierig wurden. Viele schickten lange Nachrichten dazu. "Du bist ein Vorbild, du bist stark und so Sachen. Ich habe versucht, so gut es ging, allen zu antworten. Ich finde es wichtig, dass meine Supporter wissen, dass ich das zu schätzen weiß. Aber alles kann ich nicht durcharbeiten." Auf Facebook habe sie sich jetzt deshalb zurückgezogen, zum Schutz ihrer Privatsphäre und Freunde.
"Hör nicht drauf, was die Leute sagen"
An ihrem Christkind-Kindheitstraum hat Benigna Munsi dadurch keine Minute gezweifelt. "Dadurch, dass eigentlich nur positive Sachen kamen, bin ich komplett zufrieden", sagt sie. "Ich finde es toll, wie viele Leute es bewegt hat, mal allgemein über das Thema Christkind nachzudenken." Und: Die "negativen Sachen" habe sie einfach gar nicht genau gelesen. "Ich finde gar keine Zeit dafür." Wie bestellt zeigen die zufälligen Begegnungen zwischen Fototreffpunkt und Interview, dass man sich also um das Mädchen keine Sorgen machen muss. "Hallo, Frau Munsi!", traut sich einer der städtischen SÖR-Arbeiter zu rufen, die gerade die Holzbuden für den Christkindlesmarkt aufbauen. Als die Männer dann etwas verlegen für ein Gruppenfoto posieren, bleibt eine Passantin stehen und mustert mit anerkennendem Lächeln das neue Christkind.
Im Café Sandybel beim Augustinerhof wagt sich der Wirt am Schluss aus der Deckung. Auch er hat das Gesicht erkannt. Er schenkt Benigna einen Gutschein für 20 Kuchen-Lollis "im Christkind-Design". Er ist stolz, dass das neue Christkind bei ihm Kaffee getrunken hat. "Hör nicht drauf, was die Leute schreiben und sagen", rät er. Benigna Munsi lacht und freut sich. Ich will mit meiner kompletten Energie da reingehen, damit sich die Leute über den Christkind-Moment freuen.
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