Strafprozess am Landgericht
Halluzinationen: Nürnbergerin stößt kleine Tochter aus dem Fenster
2.2.2022, 14:20 Uhr"Mama, Mama, Mama" wimmerte das kleine Mädchen - gleichzeitig hallten die verzweifelten Rufe seiner Mutter durch den Hinterhof eines Mehrfamilienhauses in der Nürnberger Südstadt. Es war 6 Uhr morgens, Heidi L., damals 29 Jahre, stand schreiend am Fenster. Sie hielt ihre Tochter hinaus.
Eine Nachbarin lehnte sich ebenfalls aus dem Fenster, die Fenster ihrer Wohnung im zweiten Stockwerk grenzen unmittelbar an die Nachbarwohnung an. Sie versuchte, Heidi L. (Name geändert) gut zuzureden. Doch vergeblich. Sie musste zusehen, wie das kleine Mädchen an jenem Morgen des 26. April 2021 aus einer Höhe von 7,80 Meter in die Tiefe stürzte.
"Die Frau hat das Kind auf den Fenstersims gehoben und es dann einfach fallen lassen. Die Frau war ganz offensichtlich nicht mehr ansprechbar. Es war ganz klar, dass sie in Panik war", erinnert sich jene Nachbarin heute, etwa neun Monate später, vor der 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth.
Frau kletterte auf den Fenstersims
Auch ein Nachbar, er hatte gerade sein Fahrrad aus dem Keller geholt und wollte sich auf den Weg zur Arbeit machen, wurde Zeuge der Tragödie. Das Kind lag bereits seltsam verdreht im Hinterhof, schildert er, da sei Heidi L. nun plötzlich auch noch selbst auf den Fenstersims des geöffneten Fensters geklettert.
Im zweiten Stock konnte die Nachbarin die panische Heidi L. gerade noch davon abhalten, nun selbst aus dem Fenster zu springen, weitere Nachbarn alarmierten die Rettungskräfte. Das kleine Mädchen hatte schwere innere Verletzungen und eine Vielzahl an Brüchen erlitten, im Südklinikum konnten die Ärzte sein Leben retten - heute lebt das Kind bei einer Pflegefamilie.
Psychose, induziert durch Drogen
Sie liebe ihre Tochter über alles, sagt Heidi L. vor Gericht. Mit Hilfe ihres Rechtsanwalts Michael Löwe räumt sie den Vorwurf der Anklage ein, doch beklagt auch Erinnerungslücken. Seit der Tat ist sie in der Forensischen Klinik für Psychiatrie in Taufkirchen untergebracht, dort wolle sie, so sagt sie, ihre Sucht endlich in den Griff bekommen.
Es war ein verhängnisvoller Mix aus Drogen und Medikamenten, der bei der damals 29 Jahre alten Heidi L. eine Psychose auslöste. Drei Tage vor der Tragödie, am Freitag, hatte sie, so schildert sie es selbst, 100 Milligramm Tramal und 150 Milligramm Pregabalin geschluckt, ein Schmerzmittel und ein Antiepileptika. Auch 20 Milligramm Methamphetamin hatte sie konsumiert.
Einbrecher in der Wohnung als Wahnidee
An jenem Wochenende hatte sie ihre Eltern in der Nürnberger Südstadt besucht und ihnen verschwiegen, dass sie wieder rückfällig geworden war - doch dann kamen die Halluzinationen.
In der Nacht von Sonntag auf Montag geriet sie in Panik. Sie war überzeugt, dass mindestens ein bis drei Einbrecher, bewaffnet mit Messern und Pistolen, auf dem Weg in ihr Schlafzimmer seien. Sie wollte sich verbarrikadieren und schob eine Kommode vor die Zimmertüre, das Möbelstück sollte die vermeintlichen Angreifer aufhalten.
"Vollrausch" - ein Paragraf als Hilfskonstruktion
Heute sitzt Heidi L. zerknirscht vor Gericht. Sie kämpft mit den Tränen. Niemals habe sie ihrer Tochter Schmerzen zufügen wollen, sie liebe die Kleine, sie hoffe sehr auf eine Zukunft mit ihrem Kind. Das Amtsgericht hat Heidi L. das Sorgerecht für ihre Tochter aberkannt, das Mädchen lebt bei einer Pflegefamilie.
"Vollrausch" lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, eine Hilfskonstruktion im Strafgesetzbuch. „Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist“, heißt es in dem Paragrafen.
Psychiater als Gutachter gefragt
Und dies meint, dass Heidi L. nicht wegen ihrer Gewalttat bestraft werden kann, jedoch wegen des Vollrausches. Das Landgericht Nürnberg-Fürth wird zum Zustand von Heidi L. auch das Gutachten des Psychiaters Michael Wörthmüller hören, am 2. Februar 2022 soll das Urteil gesprochen werden.
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