Handball-Trainer Gerner: WM zwischen Arbeit und Genuss

Michael Fischer

Nürnberger Nachrichten

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21.1.2021, 11:48 Uhr
Handball-Trainer Gerner: WM zwischen Arbeit und Genuss

© Foto: Sascha Klahn/dpa

Den Dienstagabend hat Sebastian Gerner weitgehend im Stehen verbracht. Zu spannend war das Spiel der deutschen Handball-Nationalmannschaft, die bei der WM in Ägypten 28:29 gegen Ungarn verlor. "Die Nachbarn haben sich kurz vor Schluss sicher gefragt, warum ich so rumschreie", sagt der Trainer der Bayernliga-Handballerinnen des HBC Nürnberg einen Tag später. Doch auch die lautstarke Unterstützung aus einem Nürnberger Wohnzimmer half nichts, die Vorrunde beendete Deutschland hinter Ungarn auf dem zweiten Platz.

Über die Weltmeisterschaft wurde in den vergangenen Wochen viel gesprochen, geschrieben und oft auch gestritten. Die Frage, wie sinnvoll ein weltweites Turnier in Zeiten einer Pandemie ist, beschäftigte auch viele Nationalspieler. Einige wollten sich der Gefahr nicht aussetzen, nach Patrick Wiencek meldeten sich auch dessen Kieler Kollegen Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold sowie Finn Lemke aus Melsungen ab.

"Sehr gut verkauft"

Das Durcheinander setzte sich in Ägypten fort, unter anderem wurde das zweite Gruppenspiel Deutschlands gegen Kap Verde aufgrund zu vieler Coronafälle beim WM-Neuling abgesagt. Der Vergleich mit den Ungarn war nach dem lockeren Auftaktsieg gegen Uruguay also der erste Härtetest – den Deutschland verlor.

In Anbetracht der vielen Absagen von wichtigen Spielern habe sich Deutschland dennoch "sehr gut verkauft", findet Gerner, "gerade in der Abwehr haben sie aber aufgezeigt bekommen, wo sie noch Defizite haben". Mit Pekeler und Wiencek habe dem Innenblock die gewohnte Größe gefehlt, die Ungarn hingegen hatten mit Mate Lekai "einen überragenden Mittelmann". Sebastian Firnhaber vom HC Erlangen, der mit Johannes Golla den neuen Innenblock bildet, wurde außerdem "oft isoliert, sodass er schnell zweimal zwei Strafminuten bekam".

Mehr Druck in den Angriffen

Insgesamt seien die Ungarn einfach cleverer gewesen, so Gerner. "Ich war überrascht von ihnen, sie haben sehr gut gespielt." Als Trainer blickt er natürlich ganz anders auf die Spiele als viele andere Fernsehzuschauer, unter anderem ist ihm aufgefallen, dass Deutschland inzwischen anders spielt als noch unter Christian Prokop. "Bei Alfred Gislason ist das Spiel zielgerichteter mit mehr Druck in die Tiefe", sagt Gerner, "unter Prokop gab es oft viele, auch weitläufige Kreuzungen, teilweise zwei oder drei in Folge."

Es sind die Feinheiten des Spiels, auf die Gerner achtet – und über die er sich auch mit anderen Trainerkollegen immer wieder austauscht. Manche Spiele nimmt er sich auf, seziert einzelne Szenen, spult vor und zurück, um alle Details zu erkennen. Klingt anstrengend, ein ruhiger Fernsehabend wird es selten bei Gerner. "Ich genieße die Spiele schon", sagt er, "aber ich gehe eben mit einem anderen Blick ran."

Nicht alles kann er so einfach auf die Arbeit mit dem HBC übertragen, vor allem nicht dieser Tage, in denen seine Spielerinnen alleine zuhause sitzen. In den Videokonferenzen mit seiner Mannschaft zeigt er aber trotzdem immer wieder einzelne Sequenzen, "wenn wir sonst zusammensitzen und die Spiele anschauen, sprechen wir ja auch über taktische Feinheiten oder andere Dinge, die uns auffallen."

Wichtiges Spiel gegen Spanien

Der Blick auf den Bildschirm ist für viele, nicht nur beim HBC, momentan aber auch ein neidvoller. Handball spielen dürfen sie seit Monaten nicht – wann sie es wieder tun dürfen, ist ebenfalls offen. Gerner hat seinen Spielerinnen Trainingspläne geschrieben, doch so viel sie auch laufen gehen, so oft sie daheim mit dem eigenen Körpergewicht trainieren, "als Prävention für echtes Handballspiel ist das alles nicht ausreichend", so Gerner, der als Physiotherapeut bereits jetzt sorgenvoll auf eine mögliche Saisonfortsetzung blickt.


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Die vom Verband angedachte Einfachrunde wird mit jeder weiteren Lockdown-Verlängerung immer unwahrscheinlicher – und die notwendige Vorbereitungszeit für intensive Spiele mit jedem Tag Pause länger. Keine schönen Aussichten also für alle Amateurhandballer, die sich noch länger gedulden müssen. Deshalb wird Sebastian Gerner heute Abend um 20.30 Uhr wieder vor dem Fernseher sitzen (oder stehen), wenn Deutschland Spanien empfängt. "Ich freue mich auf das Spiel", sagt er. "Wenn sie das gewinnen, ist vieles möglich, weil sie dann schon eine gute Ausgangsposition haben."

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