Hintergrund: Putins Medien als Maß aller Dinge
28.1.2016, 16:58 Uhr"Russlanddeutsche demonstrieren gegen Ausländer-Gewalt“ - viele deutsche Medien titelten so oder so ähnlich ihre Berichterstattung über ein merkwürdiges Ereignis am Wochenende. In vielen Städten hierzulande versammelten sich vor Rathäusern und auf den Marktplätzen Menschen, um ihre Wut vor allem wegen der vielen Asylsuchenden in Deutschland kundzutun. Einen Anlass dazu sahen die Demonstranten in der angeblichen Vergewaltigung einer 13-Jährigen in Berlin. Dabei hat es die Vergewaltigung so nicht gegeben, wie die Berliner Polizei entschieden betont hat.
Wer ging da am Sonntag auf die Straße? Fakt ist, dass die Mehrheit von ihnen aus den GUS-Staaten stammt. "Russlanddeutsche", "Russen", "Russischstämmige", "Russischsprachige": Für viele Menschen machen diese Bezeichnungen keinen Unterschied. Aber den gibt es. Die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sind nicht homogen: Die Menschen unterscheiden sich in ihrer kulturellen Prägung, ihrem Selbstverständnis und in ihren Beweggründen, nach Deutschland auszuwandern.
Mehrere Tausend Russen in Nürnberg
Wohl die größte Gruppe unter ihnen – etwa vier Millionen (schätzungsweise bis zu 40.000 in Nürnberg) – bilden die Russlanddeutschen oder auch Deutsche aus Russland genannt. Ihre Vorfahren folgten der Einladung von Katharina der Großen, siedelten aus Deutschland ins russische Zarenreich und gründeten dort zahlreiche deutsche Kolonien. Dabei kommt nicht jeder Russlanddeutsche, der nun in Deutschland lebt, aus Russland, sondern kann aus jedem GUS-Land, der Ukraine oder den baltischen Staaten stammen.
Hierzulande gibt es auch eine große Gruppe an ethnischen Russen und Angehörigen anderer Volksgruppen der ehemaligen Sowjetunion (mehrere Tausend in Nürnberg), die ihrem Ehepartner nach Deutschland gefolgt oder wegen der Arbeit immigriert sind. Außerdem zogen in den vergangenen 25 Jahren etwa 220.000 jüdische Einwanderer (in Nürnberg mehrere Tausend) aus den Ländern der ehemaligen UdSSR hierher.
Auch wenn in den meisten Medien die Demonstrationen am vergangenen Sonntag vor allem aufs Konto der Russlanddeutschen verbucht wurden: Bei den Ressentiments der russischsprachigen gegenüber asylsuchenden Menschen in Deutschland handelt es sich keineswegs um ein rein "russlanddeutsches Phänomen". In allen der beschriebenen Gruppen gibt es Menschen, die Fremden mit Abneigung oder Angst begegnen. Manche haben ihre Vorurteile gegenüber Menschen, die nicht hellhäutig sind, noch aus ihrer alten Heimat mitgebracht.
Russische Medien schüren Angst
Bei den Teilnehmern der Demonstrationen hat sich unter anderem auch die Unzufriedenheit über die Politik im Lande entladen. Klar, bei Pegida-Veranstaltungen läuft es nicht anders ab. Deswegen durften nun die Parteien und Organisationen am ganz rechten Rand der Gesellschaft jubeln über die Verstärkung aus den Reihen der Einwanderer. Und doch ist der Vorfall von Sonntag anders. Eine große Rolle spielen hier die russischen Medien. Es gibt eine Menge Russischsprachige, die sich mit Vorliebe von russischen Medien berichten lassen, was bei ihnen vor der eigenen Haustür – in Deutschland – passiert. Und da wird viel Angst geschürt. Deutschland versinkt im Chaos, das Leben dort ist gefährlich – so der Grundtenor der Berichterstatter in Russland, denen einige mehr Vertrauen schenken als der Polizei, den Medien und den Politikern in Deutschland.
Wer in der Sowjetunion sozialisiert wurde, weiß, was die „Politik der harten Hand“ bedeutet. Während viele Horrorgeschichten dazu erzählen können, gibt es unter einem Teil der Russischsprachigen auch positive Mythen dazu. So gibt es auch einige Menschen, die eine Sehnsucht nach politischer Härte haben und viele Sympathien, wenn nicht gar Bewunderung, für Wladimir Putin hegen, weil er "für Ordnung im eigenen Land sorgt".
Bei diesem Typus von Menschen hat die Berichterstattung aus Russland über die angebliche Vergewaltigung eines russlanddeutschen Mädchens in Berlin ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Empörung in Teilen der russischsprachigen Community war groß. Steckt Russland dahinter? Jedenfalls könnten die jüngsten Ereignisse in Deutschland der russischen Regierung gut zupasskommen: Sie relativieren für die eigene Bevölkerung die massiven wirtschaftlichen Probleme im Lande.
Und sie zeigen Deutschland in einem merkwürdigen Licht: Hier gehen Menschen auf die Straße, um "Deutschland zu verteidigen" (wie es im Aufruf zu Demos auf Russisch hieß) – und halten dabei vielerorts die Reden auf Russisch, haben Mützen mit der kyrillischen Aufschrift "Russland" auf und tragen dabei die russischen Flaggen mit sich herum. Auch das unterscheidet die Aktion von Pegida-Demos.
Es gibt in Deutschland einige Möglichkeiten der Partizipation für Bürger. Ob diese Demonstranten etwa in Nürnberg zu demnächst anstehenden Wahlen des Integrationsrates gehen – oder überhaupt zu irgendeiner Wahl? Wohl kaum. Mit ihrer "letzten friedlichen Warnung", das stand ebenfalls im Aufruf, haben sie jedenfalls Unmut und Kopfschütteln ausgelöst – auch bei vielen russischsprachigen Bürgern dieses Landes, auch Russlanddeutschen, zu denen auch die Verfasserin dieser Zeilen gehört.
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