Wiederaufbau
Kaviar im Gaststätten-Palast
12.5.2021, 10:27 UhrDas 19. Jahrhundert war die große Zeit der Parks und Gärten, die nun nicht mehr allein dem Adel, sondern allen offenstanden. In jenen Zeiten, da das Gros der Bevölkerung tagein, tagaus malochte und keine Mittel für ausgedehnte Landpartien hatte, stellten sie für die meisten Städter die einzige Möglichkeit dar, um wenigstens an den Sonntagen mit den Lieben ein wenig Freizeit in der (gezähmten) Natur zu verbringen.
Der alte Nürnberger Stadtpark in historischen Bildern
Fantasieloser Name
In Nürnberg machte 1882 die erste Bayerische Landesausstellung, auf der das Königreich die neuesten Errungenschaften aus Technik und Kunstgewerbe präsentierte, den Weg frei für den bis dato größten öffentlichen Park der Stadt: das Maxfeld, für das sich seit Ende des 19. Jahrhunderts die korrekte, aber fantasielose Bezeichnung „Stadtpark“ eingebürgert hat. 1884/1885 bekam der Bürgergarten seinen baulichen Mittelpunkt: die Stadtpark-Restauration.
Bei seinem Entwurf nahm sich der städtische Architekt Heinrich Hase, der sich in einem Wettbewerb gegen seinen Kollegen Eugen Bischoff und andere durchgesetzt hatte, formale Anleihen an den feinen Parkrestaurants und Palmenhäusern seiner Zeit: Das ausgedehnte Hauptgebäude mit drei Sälen, Gesellschaftszimmern, Küche und Nebenräumen kehrte dem großen Stadtparkteich eine Front mit hohen Arkaden und Balkon zu, die von zwei mächtigen Türmen gerahmt wurde und dadurch ein wenig an eine Kirche oder einen Großstadtbahnhof erinnerte.
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Dicht behängt und geschmückt
Gen Süden schloss sich eine erdgeschossige, teilweise offene Gartenhalle an, im Norden das Maschinenhaus mit Pächterwohnung. Neben dem Materialkontrast von Klinker, Sandstein und Sichtfachwerk belebten zahllose, oftmals kleinteilige An- und Ausbauten wie Pilaster, Arkaturen, Giebel, Balustraden, Gesimse, Säulchen und Tragwerke aus Gusseisen mit Dekor im Stil der Neorenaissance Fassaden und Dachlandschaft. Der für den späten Historismus so charakteristische „horror vacui“, die Furcht vor der ungeschmückten Fläche, brach sich hier ungebändigt Bahn. Die Architektur des Restaurationsgebäudes, sie war direkt am Puls ihrer Zeit – und so sollte es auch künftig sein.
Drinnen empfing die Besucherinnen und Besucher unter anderem ein großer Saal mit Orchesterloge, der dem verschwenderischen Außenbau in nichts nachstand. Der Prachtentfaltung entsprechend gesalzen waren die Preise, sodass den meisten Parkbummlern nur der sehnsüchtige Blick durch die großen Panoramafenster und den sonnenverwöhnten Biegarten blieb, wo die solventeren Mitbürgerinnen und Mitbürger Kaviar spachtelten und erlesenen Wein degustierten. Allerdings blieb den weniger Betuchten ja immer noch das „Tivoli“, die bodenständigere Bierhalle der Brauerei Reif, gleich nebenan, wo Gerstensaft und Schäufele sicher genauso gut schmeckten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich die Stadt, Ersatz für das Kleinod zu schaffen, das britische Fliegerbomben 1945 völlig zerstört hatten. Architekt Friedrich Seegy schuf 1957 einen leichtfüßigen Neubau, dessen große Glasfronten, die mit Sichtklinkerfassaden kontrastierten, den Optimismus und die Zukunftsgewandtheit der Wirtschaftswunderzeit zum Ausdruck brachten. Ein Jahr später bannte Michael Mathias Prechtl den Neubau auf ein Gemälde, in trauter Gemeinschaft mit der im Wiederaufbau befindlichen Reformations-Gedächtniskirche.
Neues Zuhause für den Industrie- und Kulturverein
Sein heutiges Erscheinungsbild verdankt das Restaurationsgebäude einem Tauschgeschäft zwischen der Stadt Nürnberg und dem Industrie- und Kulturverein: Der hatte 1967 schweren Herzens seinen kriegsgebeutelten Jugendstilpalast am Frauentorgraben gegen den heimeligen Bungalow-Charme im Stadtpark eintauschen müssen. Mit einem großzügigen Um- und Ausbau 1968–1970 – auf Anraten von Stadtbaurat Heinz Schmeißner wieder nach Seegys Plänen – war dann endlich genug Platz vorhanden, damit sich das Vereinsleben nach Jahren des Provisoriums wieder voll entfalten konnte: Ein großer Saal mit Bühne, einem noblen Foyer und Nebenräumen mit modischer Ausstattung von York W. Richter und N. Riedhammer hatten den Saaltrakt von 1957 abgelöst.
Neben einer Wohnung für den Gaststättenpächter, Konferenzräumen und Büros durfte sich der vereinseigene Kegelclub „Kokosnüssla“ über eine hochmoderne Bahn im Untergeschoss freuen. Obschon der Umbau letztlich viel teurer wurde als geplant – das kennt man –, wuchs das neue Clubhaus den Vereinsmitgliedern ans Herz. Zuletzt gestaltete der Nürnberger Architekt Rolf Bickel die Räume des Lokals 2013 mit Rücksicht auf Seegys Werk um.
Auch der Nachfolger hat seine Reize
Dennoch: Die alte Stadtpark-Restauration von 1885, sie fehlt. Vielleicht, weil sie idealtypisch etwas verkörperte, was Nürnberg und viele seiner Bewohnerinnen und Bewohner heute schmerzlich vermissen: jene heute gerne verklärte gründerzeitliche Urbanität, die dem stolzen Städter die Gewissheit kosmopolitischer Bedeutung verleiht. Man vergesse jedoch nicht, die Zeit geht weiter, und mit ihr entsteht Neues, Wertvolles, Liebenswertes – so wie das neue Stadtparkrestaurant, ein Denkmal der Architektur der Wirtschaftswunderzeit und der 1970er Jahre und eines der bedeutenden Vereine unserer Stadt. Es verdient eine Chance, geschätzt zu werden.
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