Mit.Menschen: Prof. Joachim Ficker - Arbeit an der Corona-Front

Isabella Fischer

Hochschule & Wissenschaft

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30.4.2021, 10:22 Uhr
Prof. Joachim Ficker ist ärztlicher Leiter der Klinik für Pneumologie am Klinikum Nürnberg und Universitätsprofessor der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität.

© Klinikum Nürnberg Prof. Joachim Ficker ist ärztlicher Leiter der Klinik für Pneumologie am Klinikum Nürnberg und Universitätsprofessor der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität.

Ob Joachim Ficker das vergangene Jahr mit einem Wort beschreiben kann? "Wir sind ziemlich müde", sagt der Leiter der Klinik für Pneumologie am Nürnberger Klinikum. Müde von einer Pandemie, die ihn und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit über einem Jahr pausenlos auf Trab hält.

Ficker und sein Team arbeiten zwölf bis 14 Stunden täglich, um die zahlreichen Patientinnen und Patienten zu versorgen. "In der ersten Welle konnte ich mich noch an jeden einzelnen Patienten erinnern. Inzwischen hatten wir über 2500", erzählt er im Podcast Mit.Menschen.

Zur momentanen Corona-Lage im Nürnberger Klinikum sagt der 57-jährige Chefarzt: "Es ist ernst und es wird wirklich langsam eng. Die Intensivstation ist sehr voll - wir waren nach der zweiten Welle auch nie wirklich leer. Die dritte Welle kam zu einem Zeitpunkt, da waren auf den Intensivstationen in ganz Deutschland schon mehr Patienten als im Maximum der ersten Welle", sagt er. Mittlerweile hat sich zwar so etwas wie ein Alltag auf der Corona-Station etabliert, dennoch ist jeder Tag ein erneuter Kraftakt: "Uns fehlt es nicht an Betten oder Beatmungsgeräten. Es fehlen auch nicht die persönliche Schutzausrüstung oder die Medikamente in der Schublade - uns fehlt es an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern", sagt Ficker.

Hat er das Gefühl, dass die Krankheit ihren Schrecken verloren hat? "Ja, man hat sich ein bisschen an die Situation gewöhnt. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde man uns aus den Krankenhäusern gar nicht mehr so richtig ernst nehmen. Manche Leute haben ein Problem, sich den Schrecken immer wieder vor Augen zu führen, und das verstehe ich auch. Man will ja nicht ein Jahr lang in Angst und eingeschränkt leben. Aber: Das Virus ist weiter da und es ist infektiöser geworden", berichtet er.


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Waren die Patientinnen und Patienten in der ersten Welle 70 Jahre oder älter, sind die meisten nun Mitte 50. "Wir haben auch unter 30-Jährige, die sterben. Das hatten wir in der ersten und zweiten Welle ganz ganz selten", erzählt er. Schuld daran ist die britische Mutation B 1.1.7, an der laut Schätzungen Fickers mittlerweile rund 95 Prozent seiner Patienten erkrankt sind. "Die Krankheitsverläufe sind schneller und schwerer", so Ficker. "Wir kriegen heute die Patienten quasi vom Sofa zuhause direkt auf die Intensivstation."

Der Lungenspezialist wird nicht müde zu betonen, wie ernst die Lage immer noch ist: "Das ist ein ganz klarer Appell an jeden Einzelnen: Man muss Corona erst nehmen. Die Idee, dass jeder einzelne selbst ansteckend sein kann, geht offenbar nicht richtig in die Köpfe rein. Genauso die Idee, dass ein lieber Verwandter, Nachbar oder Kollege ansteckend sein kann."

Für ihn und sein Team war das letzte Jahr eine enorme Belastung. Viele Angehörige konnten sich nicht von ihren Liebsten verabschieden, die Pflegekräfte waren somit die zentralen und oft auch letzten Kontaktpersonen der schwerkranken Patienten. "Da entsteht natürlich etwas wie Mit-Leiden. Ich begleite einen Menschen, der hier leidet und vielleicht auch stirbt. Und wenn das einfach ein gewisses Maß an Intensität, Häufigkeit und eine Dauer von 14 Monaten übersteigt, dann nimmt man da schon etwas mit nach Hause", erzählt er. Im Klinikum wurde deshalb ein "Detox-Café" eingerichtet, in dem die Pflegekräfte sich austauschen und über das Erlebte sprechen können. "Da wird auch viel gelacht. Aber trotzdem: So ewig lang kann diese pausenlose Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr weitergehen."

Ein Thema, bei dem der sonst ruhige und höfliche Arzt deutlich wird, sind die Demonstrationen und Verschwörungstheorien der Corona-Leugner. "Von denen bekomme ich wüste Mails und Anrufe nach Hause. Damit kann ich zunehmend schlechter umgehen. Am Anfang habe ich immer noch versucht, geduldig zu sein und zu erklären. Aber diese Geduld habe ich kaum noch. Man muss konsequent gegen solche Leute vorgehen. Man kann Corona nicht mehr leugnen", sagt er.

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