Nach vier Monaten Prozess
Mord mit besonderer Schwere der Schuld: Das Urteil im Fall Alexandra R. ist gefallen
24.7.2024, 14:51 UhrIm Dezember 2022 verschwand sie spurlos, bis heute fehlt trotz intensiver Suche im In- und Ausland jede Spur der damals 39-jährigen Hochschwangeren. Das Schicksal der Frau und ihres ungeborenen Kindes hatte viele Menschen über Monate beschäftigt – dementsprechend riesig war der Andrang im Gerichtssaal zur Urteilsverkündung um 13 Uhr.
In den vergangenen Monaten seit dem Prozessauftakt am 9. April 2024 wurden über 140 Zeugen gehört, darunter Angehörige und Freunde von Alexandra R. sowie von den Angeklagten. Außerdem kamen viele Polizisten und Gutachter zu Wort, die in dem Fall ermittelt haben.
Angeklagt waren der frühere Lebensgefährte von Alexandra R. und dessen Geschäftspartner. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern vor, die Frau im Dezember 2022 wegen finanzieller Streitigkeiten entführt und ermordet zu haben. Danach sollen sie eine falsche Fährte gelegt haben, damit der Eindruck entsteht, die Frau sei freiwillig im Ausland untergetaucht.
Schuldig des Mordes - mit besonderer Schwere der Schuld
Schuldig des Mordes mit besonderer Schwere der Schuld – so lautet das Urteil von Richter Gregor Zaar am Landgericht Nürnberg-Fürth. Erkennbar seien Elemente von niedrigen Beweggründen, Verdeckung einer Straftat hinsichtlich des vorangegangenen Computerbetrugs der Angeklagten, Freiheitsberaubung mit Todesfolge, Nötigung und Schwangerschaftsabbruch. Aufgrund der Tatsache, dass R. zum Zeitpunkt ihres Verschwindens im achten Monat schwanger war, habe der Mord "Nähe zum Doppelmord", so der Richter.
Das Gericht ist überzeugt, dass Alexandra R. nicht einfach verschwunden, sondern von den beiden Angeklagten Dejan B. und Ugur T. entführt und ermordet wurde. Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilte sie zu lebenslanger Haft. Während Zaar die Worte sprach, fährt ein Raunen durch den bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal. Tränen fließen, Schluchzer sind zu hören.
"Viele und dichte Indizien"
Als Begründung nennen die Richter die parallel laufende Beziehung von Dejan B. zu einer weiteren Frau und die Verwicklung in diverse teils betrügerische Immobiliengeschäfte mithilfe von Strohleuten. Weil das gemeinsame Geschäftsmodell von R. und B. nach deren Trennung zusammenbrach und Streitigkeiten folgten, hält das Gericht es für erwiesen, dass die beiden Angeklagten ein Motiv besaßen, um R. zu entführen und ermorden, um so an ihr Vermögen zu gelangen und ihren luxuriösen Lebensstil auf Kosten der Geschädigten weiterführen zu können.
Richter Zaar bringt weitere Indizien aus dem Prozess als ausreichend belastend an, um B. und T. des Mordes mit Folge eines Schwangerschaftsabbruchs und somit besonderer Schwere der Schuld zu verurteilen. Dazu gehören unter anderem die in Erfurt erworbenen Prepaid-Telefone, die unter falschen Personalien gekauft wurden oder das für die Tat geliehene Fahrzeug. Die angeblich von Alexandra R. am Tag ihres Verschwindens gesendeten Textnachrichten an Angehörige konnten laut Gericht zudem auf Computern von B. nachgewiesen werden.
Auch für die Mordbeteiligung von B.s Geschäftspartner Ugur T. gebe es laut dem Landgericht genügend Beweise. So ist durch zahlreiche Nachrichten ein "Intensives und wechselseitiges Zusammenwirken im Hinblick auf Betreibung der Zwangsvollstreckung" nachweisbar. T. hat demnach erwiesenermaßen er das Mobiltelefon von Alexandra R. nach der Tat nach Italien gebracht und auf einem Lkw entsorgt, um eine falsche Spur zu legen. "Die Indizienkette sei hier ausreichend dicht", so Zaar. Sein Prepaid-Telefon habe sich demnach im gleichen Fahrzeug mit dem Telefon von Alexandra R. befunden.
Die Männer stellten demnach laut diverser Gutachten nachweislich frei erfundene und völlig überhöhte Zahlungsaufforderungen und Mahnbescheide in Höhe von rund 800.000 Euro aus – als angebliche Provision für Immobilien. Die Mahn- und Vollstreckungsbescheide sendeten absichtlich an eine Adresse, bei welcher R. zwar Eigentümerin, aber nicht wohnhaft war, damit diese nicht zeitig auf die Forderungen reagieren konnte.
Die Bescheide sollen die Angeklagten selbst aus dem Briefkasten der Wohnung geholt haben, damit es so aussah, als seien diese erfolgreich zugestellt worden. Nachdem R. folglich der Zahlungsaufforderung nicht nachgekommen war, folgte im Juni 2022, der Vollstreckungsbescheid – auch dieser ging an die falsche Adresse – die Folge: die Pfändung all ihrer Konten. Als sie im Juli 2022 schließlich davon Wind bekam, zeigte sie die beiden Angeklagten wegen Betrugs an.
Nur wenige Tage nach ihrem Verschwinden am im Dezember 2022 sollte der Prozess starten. Am Tag ihrer Entführung haben die beiden Angeklagten R. gezwungen, ein Schriftstück aufzusetzen, in welchem sie ihre Anzeige zurückzog. Die Handschrift wurde von einem Experten Alexandra R. zugeordnet und eine "psychische Ausnahmesituation" im Schriftbild erkennbar ist.
Der Inhalt des Schreibens habe zudem gravierende Parallelen zum Inhalt des Textes an die Angehörigen gehabt, die Alexandra R. am Tag des Verschwindens an ihre Angehörigen versendet haben soll. Somit sieht das Gericht es als erwiesen, dass sowohl die Zurücknahme der Anzeige als auch die vermeintlichen Abschiedsbotschaften aus der Feder des Angeklagten B. stammen. Den dazugehörigen Stift habe man zudem bei B. finden können.
In Kombination mit den gefundenen Haaren, die mittels DNA-Analyse klar Alexandra R. zugeordnet werden konnten, Geruchsspuren, Tankbelegen, vielen weiteren Indizien sieht das Landgericht Nürnberg-Fürth es als erwiesen, dass Dejan B. und Ugur T. die Frau gemeinsam in einer Lagerhalle in Sindersdorf ermordeten. Dort wurden zahlreiche Beweise für intensive Reinigungs- und Renovierungsarbeiten am Tag nach dem Verschwinden der Schwangeren, sowie ihre Haare in einem Besen gefunden.
"Ein Indiz kann nie für sich genommen stehen, sondern immer nur im Zusammenhang mit anderen Indizien seine Wirkung entfalten kann. Es gibt viele und dichte Indizien." so Gregor Zaar. Die Verteidigung hatte in ihrem Plädoyer aufgrund mangelnder Indizien und allgemein schwacher Beweislage zuvor Freispruch gefordert.
"Nichts spricht für ein freiwilliges Verschwinden"
"Zusammenfassend ist die Kammer überzeugt, dass die Tötung so stattgefunden hat, wie beschrieben" leitet Richter Zaar den Abschluss seiner Urteilsbegründung ein.
Alternativszenarien für Alexandra R.s Verschwinden können ausgeschlossen werden. Sie freute sich auf ihr gemeinsames Kind und die Zukunft mit ihrem Lebensgefährten. Ihre Pflegetochter liebte sie von Herzen, psychische Probleme habe es laut den Ärzten der 39-Jährigen nicht gegeben. Weitere Personen aus ihrem haben kein Motiv und besitzen laut Gericht Alibis.
Auch die letzten Internetaktivitäten von Alexandra R. sprechen laut Zaar nicht für ein freiwilliges Abtauchen. R. bestellte eine Badeinrichtung, schaute ein Video über Schwangerschaftsyoga und meldete sich für einen Geburtsvorbereitungskurs an – "Nichts spricht für ein freiwilliges Verschwinden." Zudem habe sei auch nie ein Kind aufgetaucht, das nicht zugeordnet werden konnte. Kontobewegungen gab es nach dem 9. Dezember 2022 keine mehr.
Prozess könnte in die nächste Runde gehen
Es besteht die Möglichkeit, dass die Angeklagten Revision im Fall Alexandra R. eingelegt wird. Der Fall würde dann erneut angesehen und auf Rechtsfehler überprüft werden. Die Revision muss innerhalb einer Woche eingelegt werden.