Irgendwann reißen die Berichte ab. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, alle Zeugen wurden befragt, Spuren ausgewertet. Die Ermittlungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft und selbst der letzte Trumpf, eine Ausstrahlung in der TV-Fahndungssendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst", liefert den Ermittlern oft nicht die erhoffte heiße Spur. Der Fall gerät in den Hintergrund, neue Aufgaben warten auf die Polizisten, neue zu bearbeitende Straftaten. Zurück bleibt das ungute Gefühl, einen schweren Fall nicht ab schließen zu können.
So ist es wohl auch im Fall der Studentin Lusine M. gewesen. Die Leiche der Armenierin liegt am 30. Dezember 2002 im Reichswald in der Nähe des Tiergartens unter einem Laubhaufen. Ein Hund von Spaziergängern findet sie. Nach der Obduktion am Neujahrstag ist klar: Die zunächst unbekannte Frau wurde erwürgt. Fast täglich kommen neue Details ans Licht. Ein Foto wird veröffentlicht, die Frau wird identifiziert.
Bereits am 1. Dezember 2002 wurde sie als vermisst gemeldet. Zeugen sahen sie zuletzt in einer Innenstadt-Disco in Begleitung eines jungen Mannes. Die Fahndung geht weiter, die Polizei veröffentlicht ein Phantombild des Mannes, das schließlich zum Gesuchten führt. Ein Tat verdacht gegen ihn konnte aber nicht erhärtet werden.
Ende Januar stecken die Ermittlungen fest. Erst am 31. Oktober 2003 taucht der Fall wieder auf: In der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst". Aber auch nach der Ausstrahlung bleiben brauchbare Hinweise aus. Von diesem Zeitpunkt an gilt der Mord an der 33-Jährigen als ein klassischer Altfall, ein Cold Case, wie es in Fachkreisen heißt.
Bayernweit 189 ungelöste Fälle
Bayernweit gibt es — gezählt von 1986 bis Ende 2017 — insgesamt 189 ungelöste Mordfälle, wie aus einer Antwort des Innenministeriums hervorgeht. Wissen wollte das die SPD-Landtagsfraktion. Daraufhin forderte Fraktionschef Markus Rinderspacher die Gründung einer Spezialeinheit für ungelöste Mordfälle. Cold-Case-Teams gibt es bereits in Hamburg und Nordrhein-Westfalen.
Gut aufgestellt ist die Polizei in den Niederlanden, dort gibt es Altfall-Ermittler flächendeckend. Auch in Österreich ist so eine Einheit nach dem Fall Kampusch gegründet worden: Die Österreicherin ist 1998 im Alter von zehn Jahren entführt und acht Jahre lang in einem Verlies gefangen gehalten worden, ehe sie sich selbst befreien konnte.
Jetzt zieht das Polizeipräsidium Mittelfranken nach. Anfang Januar gab Polizeipräsident Roman Fertinger grünes Licht für eine neue Mordkommission 4 (MK 4), die Altfälle neu aufrollt. Es ist in Bayern das erste größere Team sein, das sich mit Fällen befasst, an denen sich andere Ermittler schon die Zähne ausgebissen hatten. Laut Thilo Bachmann, Leiter des Kriminalfachdezernats 1, soll das Team mindestens vier Beamte stellen. "Ein Kollege hat die Arbeit bereits aufgenommen, ein weiterer ist anvisiert", sagt er den Nürnberger Nachrichten. Bis Ende des Jahres stehe die Stammbesetzung.
Ältester Fall geht bis ins Jahr 1949 zurück
Nur ein überspannter Jagdeifer, wie ihn der Cold-Case-Leiter in Hamburg an den Tag gelegt haben soll, habe in so einer Einheit nichts verloren. Die Ermittlung in Altfällen verträgt sich offenbar nicht gut mit brennendem Erfolgsehrgeiz. In Hamburg soll der Chef der Cold-Case-Truppe im Fall eines versuchten Mordes aus dem Jahr 1980 Zeugen suggestiv befragt und getäuscht haben. Am Ende sprach das Landgericht Hamburg den vermeintlichen Täter frei.
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46 Nürnberger Fälle schlummern ungelöst im hiesigen Polizeiarchiv. Der älteste geht bis ins Jahr 1949 zurück. Damals erschoss ein Unbekannter in einem Uhrengeschäft in der Königstraße zwei Frauen und flüchtete. Darunter sind auch acht ungelöste Raubmorde, neun Prostituiertenmorde und die Fälle fünf getöteter Babys, deren Schicksal nie geklärt werden konnte. Doch die Kriminaltechnik entwickelt sich immer weiter, selbst aus winzigsten Partikeln, die mit bloßem Auge nicht zu sehen sind, kann eine heiße Spur werden.
Deshalb werden Beweismittel aus alten Fällen, an denen noch unentdeckte Spuren haften können, immer wichtiger. Etwa im Fall "Johanna", ein Pseudonym, mit dem Gabriela N. als Prostituierte in einem Apartment an der Forsthofstraße ihre Dienste an bot. Am 11. Juli 1992 öffnete sie ihrem Mörder die Türe. Bis heute ist der Fall ungelöst. Mittlerweile haben Kriminalisten aber den genetischen Fingerabdruck des mutmaßlichen Täters sichern können. "Wir haben die DNA eingelagert. Bisher hat es bei Abgleichen noch keinen Treffer gegeben", sagt Bachmann.
Welcher Altfall ihm am meisten am Herzen liegt? Das ungeklärte Schicksal der seit November 2013 vermissten Postbotin Heidi D. aus Fischbach.