Traumatische Erlebnisse

Notfallseelsorge bei Unfällen und Todesnachrichten: Wie hilft man Menschen im Schock?

Alicia Kohl

Redakteurin

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16.1.2025, 04:55 Uhr
Wolfgang Janus (links) und Andreas Stahl sind seit Jahren als kirchliche Notfallseelsorger im Einsatz.

© E. Pilkenroth, kath. Stadtkirche Wolfgang Janus (links) und Andreas Stahl sind seit Jahren als kirchliche Notfallseelsorger im Einsatz.

Wenn schwere Unfälle passieren, werden Menschen nicht nur körperlich verletzt. Sie erleben, sehen, verursachen schlimme Dinge. Dinge, die sich nicht so leicht verarbeiten lassen. Die Rettungskräfte sind in solchen Situationen beschäftigt mit der Versorgung von Verletzten. Unfallstellen müssen abgesichert werden, Autos geborgen. Auch in anderen Extremsituationen - wie beim Überbringen von Todesnachrichten oder im Erstkontakt mit traumatisierten Menschen nach Katastrophen wie Fluten oder auch bei Evakuierungen - können die Beamtinnen und Beamten nicht bleiben, um den Menschen beizustehen. Trotzdem müssen Betroffene nicht alleine sein.

Denn in solchen Fällen werden Menschen wie Andreas Stahl oder Wolfgang Janus hinzugerufen. Beide sind für die Notfallseelsorge in der Region zuständig, Stahl als Diakon bei der Evangelischen Kirche, Janus als Diözesanbeauftragter bei der katholischen Kirche. Sie sind als Notfallseelsorger ausgebildet und kümmern sich um Menschen, die Todesnachrichten bekommen oder beispielsweise bei einem Unfall schlimme Dinge gesehen haben.

Dieses kostenlose Angebot der Psychosozialen Notfallversorgung für Betroffene (abgekürzt PSNV-B) stellen aber nicht nur die Kirchen, sondern auch die Hilfsorganisationen ASB, Bayerisches Rotes Kreuz, Johanniter und Maltester. Das wird dann statt als Notfallseelsorge aber als Krisenintervention bezeichnet. Die Ausbildung der Helferinnen und Helfer ist seit 2013 aber die gleiche, berichten Stahl und Janus. Werden mehrere Kräfte der PSNV-B gebraucht, gehen Helferinnen und Helfer von Notfallseelsorge und Krisenintervention gemeinsam raus.

"Wir bleiben"

Weil es bei der Notfallseelsorge nicht um "Leib und Leben" geht, stehe die oft mal hinten an. So dürfen die Helferinnen und Helfer kein Blaulicht einschalten oder die Rettungsgasse benutzen. Wenn sie auf dem Weg zu einem Einsatz im Stau stehen, können sie nur von Polizistinnen und Polizisten abgeholt werden.

Die alarmieren die zuständigen Stellen, wenn sie bei einem Einsatz feststellen, dass sie Unterstützung von der PSNV-B brauchen. "Wenn zum Beispiel eine Todesnachricht überbracht werden muss, begleiten wir die Beamten. Wenn die dann nach etwa 20 Minuten wieder gehen müssen, weil sie noch andere Aufträge haben, bleiben wir", erklärt Janus. So lange, "bis wir die Personen wieder ins Handeln bringen können". Zeitlich gibt es keine Begrenzung, Einsätze dauern zwischen zwei bis sechs Stunden. "Gewöhnlich sind es aber eher zwei bis drei, in denen wir in der Akutphase vor Ort sind und die Leute begleiten", sagt Janus. Dauert es doch länger, sollte eine Einsatzkraft nach spätestens sechs Stunden abgelöst werden.

"Aber wir sind nicht die normale Gemeindeseelsorge, die am nächsten Tag wiederkommt", betont Stahl, "Wenn wir gehen, gehen wir." Die Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger betreuen nur einmalig in dieser Grenzsituation, haben aber entsprechende Kenntnisse und Kontakte, um die Betroffenen beispielsweise an Beratungsstellen zu vermitteln.

Das ist der fünfte Punkt der Fünf-Finger-Regel, nach der die Kräfte im Einsatz vorgehen. "Das Erste ist, dass wir Zeit mitbringen und versuchen, die Leute zu stabilisieren. Dann versuchen wir, soziale Ressourcen zu aktivieren, Angehörige, Freunde und so weiter. Das Dritte wäre die Verabschiedung vom Toten, die wir kirchlichen Kräfte auf Wunsch durchführen können", erklärt Janus, "Als Viertes weisen wir die Personen darauf hin, dass das Erlebte seelische und körperliche Reaktionen auslöst und dass das ganz normal ist."

Reaktionen in allen Facetten

Notfallseelsorge und Krisenintervention betreuen Menschen immer im Einzelgespräch, deswegen sind oft auch mehr Kräfte nötig. "Reaktionen sind sehr individuell. Da gibt es unterschiedliche Bedürfnisse, die einen wollen reden, die anderen wollen etwas anderes machen", sagt Stahl. Dementsprechend sei auch jeder Einsatz anders. "Betroffene können bei beispielsweise einer Todesnachricht schreien, sie können ohnmächtig werden, sie können still sein", so Janus, "Eine Frau hat bei der Todesnachricht gelacht und gesagt, sie suche sich einen Neuen. Eine halbe Stunde später ist sie in Tränen ausgebrochen." Die Spannbreite der Reaktionen reiche in alle Facetten, die man sich vorstellen kann, bekräftigt Stahl.

Finanziert wird die Notfallseelsorge ebenso wie die Krisenintervention durch Spenden. Bei den kirchlichen Ehrenamtlichen, die einen großen Teil des Teams bilden, stellt die jeweilige Kirche Ausrüstung und Fahrtkosten. Stahl und Janus sind zwei der wenigen Vollzeitkräfte in Bayern, die sich auf die Organisation der Notfallseelsorge konzentrieren können. Besonders in Punkten der Finanzierung und bei Sondergenehmigungen würden beide sich wünschen, dass die Stadt Nürnberg und der Freistaat noch einen Schritt auf sie zukommen würde.

Die Arbeit, die zum größten Teil von Ehrenamtlichen gemacht wird, ist auch für die Helferinnen und Helfer von Notfallseelsorge und Krisenintervention belastend. "Jeder geht anders damit um, die einen machen Sport, die anderen lesen ein Buch. Ich erzähle meiner Frau viel, damit kann ich mir das von der Seele reden", sagt Janus. Außerdem unterstütze man sich untereinander. Zusätzlich sei es ein Thema von Distanz, wie Stahl betont. "Einerseits ist man empathisch, andererseits soll man funktionieren und eine Stütze sein." Je mehr Einsätze man habe, desto mehr wachse die Resilienz. Trotzdem müssten die Kräfte von der PSNV-B neben den Betroffenen auch auf sich selbst Acht geben. Denn auch sie erleben und hören schlimme Dinge.

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