Nürnberger Oper: Hitler ließ einstigen Prunkbau verschandeln
4.7.2018, 10:14 Uhr"If it ain’t broke, don’t fix it" (sinngemäß: Wenn’s läuft, fummel nicht dran rum), sagt eine englische Redewendung. Ähnliches werden sich die Mitarbeiter des Opernhauses gedacht haben, als 1935 die Bauarbeiter anrückten, um die gerade 30 Jahre alte Spielstätte grundlegend neu zu gestalten. Sie sollten recht behalten: Was Architekt Paul Schultze-Naumburg durch den Umbau anrichtete, daran haben die Theaterleute und ihre Gäste noch heute zu knabbern.
Im Gegensatz zu Heinrich Seeling, nach dessen Plänen das Opernhaus 1901 bis 1905 entstanden war, verstand Schultze-Naumburg herzlich wenig vom Theaterbau: Die neuen Flachdecken im Zuschauerhaus, dessen Stuckdekor komplett abgeschlagen wurde, verschlechterten Akustik und Einsehbarkeit der Bühne massiv.
Im Foyer (dem heutigen Glucksaal) brach man die seitlichen Emporen ab, um zwei martialische Bildwerke an den Wänden aufhängen zu können. Dass man die beiden Emporenräume an der Ostfassade danach nur noch von außen durch die Fenster oder mit einer Leiter erreichen konnte, empfand man offenbar als lässlichen Kollateralschaden.
Wenig Prunk und graue Wände
Verantwortlich für diese Radikalkur waren Reichskanzler Adolf Hitler und sein willfähriger Helfer, der Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel. Als passionierter Opernkenner und Anhänger Richard Wagners ließ Hitler die Aufführung der "Meistersinger von Nürnberg" im Opernhaus als festen Programmpunkt der Reichsparteitage verankern.
Der überbordende Bauschmuck im prallen, lebensbejahenden Jugendstil aber war ihm spinnefeind. Er musste weg, und zwar binnen sechs Monaten. Die Zeit und Hitlers Wankelmut arbeiteten gegen den Architekten, und so wurde Paul Schultze-Naumburg kurz vor der Fertigstellung geschasst.
Auch Gerdy Troost und Leonhard Gall, die nun retten sollten, was zu retten war, betrieben nur noch Schadensbegrenzung. Am Ende hatten die Planer aus den Prunkräumen von einst Raumfluchten in spröden, an den Klassizismus angelehnten Formen gemacht, deren grau abgetönte Wände die Wärme eines Kühlschranks versprühten.
"Führerloge" für die Selbstinszenierung
Wurde die Bühne nicht bespielt, sorgten im Zuschauerhaus lediglich das neue Proszeniums-Relief von Emil Hipp und kostbare Seidendamast-Bespannungen an den Wänden, die man sich offenbar von der Opéra Garnier in Paris abgeschaut hatte, für Reizerneuerung. Das war selbst Hitler zu steril: Schon 1936 ließ er den Zuschauerraum farbig ausmalen, der Bildhauer Hans Panzer schmückte die Brüstungen der Ränge mit Reliefs.
An der Ostseite des Zuschauerhauses hatte man die sogenannte Führerloge, die bewusst an die Herrscherlogen in den Theatern und Opernhäusern des Barock erinnerte, mit Salon und privater Toilette eingerichtet. Von hier aus verfolgten Hitler, Oberbürgermeister Liebel und Gauleiter Julius Streicher fortan die Aufführungen der "Meistersinger".
Der Umbau, die "Führerloge", der Opernbesuch und selbst der kurze Weg von seinem "Standquartier", dem Hotel Deutscher Hof, zum Opernhaus, standen im Dienste von Hitlers Selbstinszenierung. Der Geheimgang, den es zwischen Deutschem Hof und Oper gegeben haben soll, ist wohl nur eine urbane Legende, denn der "Führer" und seine Entourage sollten und wollten gesehen werden.
Möbel in Sicherheit gebracht
Die Hast, mit der der Umbau durchgeführt wurde, hatte aber auch ihre guten Seiten: Die sprichwörtliche "deutsche Gründlichkeit", mit der die Nationalsozialisten sonst ästhetisch Missliebiges beseitigten, drang aus Zeitgründen nicht in jeden Winkel des riesigen Opernhauses vor.
Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erbarmten sich der Jugendstilmöbel und brachten sie in Sicherheit. Ein Schreibtisch und ein Kaffeetisch, die von einer Nürnberger Kunstschreinerei entworfen und gefertigt wurden, sind in der Ausstellung "Hitler.Macht.Oper", die derzeit im Dokumentationszentrum Reichsparteitage stattfindet, zu bewundern.
Und auch am Außenbau des Opernhauses änderte sich nichts, wohl auch wegen der Ikonografie der dort angebrachten Reliefs mit Figuren aus den Opern Richard Wagners und dem riesigen Mosaik an der Ostfassade, das die drei Nornen unter der Weltenesche zeigt.
1945 kam dann das bittere Ende für Hitler und das NS-Regime, nicht aber für das arg geschundene Nürnberger Opernhaus. Doch dazu in der nächsten Folge mehr.
Liebe NZ-Leser, haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Zeitung, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: nz-leseraktion@pressenetz.de.
Noch mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" finden Sie im Internet unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel.
6 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen