Radikaler Vorschlag: Wird der Frankenschnellweg zur Flaniermeile?
1.4.2021, 05:55 UhrStadt ist sexy. Stadt hat Charme. Und: Stadt hat ein Verkehrsproblem. Immer mehr Menschen zieht es in die Metropolen, seit einigen Jahren lebt die knappe Mehrheit der Bevölkerung unseres Planeten auf urbanem Raum. Nicht mehr auf dem Land.
Doch wie bewegen wir uns auf engem Terrain? Wie kommen wir künftig von A nach B? Was ist zu tun, damit wir nicht in Autokolonnen ersticken und uns eine attraktive Wohnumgebung schaffen?
Konzept heißt "Entschleunigung"
Mit diesen Zukunftsfragen beschäftigen sich Verkehrs- und Stadtplaner intensiv und sie bieten eine Reihe an Antworten an, die sich auch schon in überraschenden Maßnahmen in München, Augsburg und anderswo niedergeschlagen haben. Entschleunigung, Beruhigung, heißt das Konzept.
Paris hat sich gerade als Viertelstundenstadt ausgerufen: Innerhalb von 15 Minuten sollen die Bewohner zu ihrem Arbeitsplatz kommen, einkaufen oder Kultur genießen können. Schulhöfe werden für solche Zwecke umgerüstet, man will kurze Wege schaffen – und Autobewegungen abschaffen.
Kommentar: Der Frankenschnellweg ist eine Zumutung
In Nürnberg hat die hitzig geführte Debatte um den kreuzungsfreien Ausbau des Frankenschnellwegs, den Gegner als „Dinosaurierprojekt aus dem letzten Jahrhundert“ und Befürworter als „unumgänglich“ bezeichnen, verdrängt, dass es Alternativlösungen gibt, die auf eine Neuausrichtung urbanen Lebens abzielen. Hier sollen die Vorschläge für eine zukunftsgerichtete Großstadt skizziert werden.
Die Ziele
„Wir müssen Städte neu denken“, fordert Professorin Ingrid Burgstaller. Sie müssten künftig so umgebaut werden, „dass wir weniger Mobilität brauchen“. Die Diplom-Ingenieurin und Architektin lehrt Städtebau und Stadtplanung an der Technischen Hochschule Nürnberg.
Ein weiteres Anwachsen des motorisierten Verkehrs und die Einhaltung der Klimaziele seien schlicht nicht miteinander vereinbar, unterstreicht ihr Kollege Prof. Harald Kipke von der Fakultät Bauingenieurswesen, der auch intelligente Verkehrsplanung unterrichtet. Den vorgesehenen Ausbau des Frankenschnellwegs bezeichnen beide als einen „Schritt in die falsche Richtung“, denn er ziehe Fahrzeuge aller Art an. „Damit erwartet man eine Zukunft, die keiner will“, sagt Kipke.
Die Idee
Was also dann? Die Verkehrsachse kann so nicht bleiben, sie ist technisch renovierungsbedürftig, zudem warten die geprüften Anwohner seit Jahren vergeblich auf Lärmschutz.
Kipke und Burgstaller favorisieren einen „Rückbau zum Wohle der Bevölkerung“, wie ihn auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) propagiert. Der Verband setzt auf umwelt- und sozialverträgliche Mobilität. Die Experten raten zu einer Transformation des Frankenschnellwegs in eine städtische Hauptstraße, wie es etwa die Bayreuther Straße oder die Fürther Straße in Nürnberg oder die Ludwigsstraße in München sind.
Rückbau der Fahrspuren
Kann das gelingen? Stadtplanerin Burgstaller kontert: Durch das Dogma, der motorisierte Verkehr müsse stets fließen, werde „jegliches Denken über eine nachhaltige Stadtentwicklung untergraben“. Es gebe genügend Beispiele, sagt Verkehrsplaner Kipke, etwa in Augsburg, die belegen, dass der Rückbau von Fahrspuren nicht zur befürchteten Überlastung angrenzender Viertel führe.
Die Autofahrer würden sich umorientieren, auch öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder die Tour ganz unterlassen, zeigten Untersuchungen. Verschiebe man die verkehrlichen Angebote, „dann verschieben sich auch die Verhaltensweisen der Menschen“, sagt Kipke. Zwar erziele man so keine Idylle, aber man werde den Durchgangsverkehr los.
Bernd Baudler vom VCD in Nürnberg ist der Meinung, dass wir unsere Wege und Abläufe neu organisieren werden. Stuttgart plane gerade, den innerstädtischen Verkehr in den nächsten Jahren um die Hälfte zu reduzieren.
Die Ausgangsbasis
Der Abschnitt des Frankenschnellwegs, der ab der Kreuzung Rothenburger Straße „mitten durch die Stadt läuft“, biete herausragende Entwicklungsmöglichkeiten, sagen die TH-Professoren. Derzeit finde man auf diesem riesigen Gelände ausschließlich Gettos: Eine stark segregierte, abgegrenzte Wohnbebauung, auf wertvollen Flächen Zäune, die signalisierten: „Ich muss mich schützen“. Und jede Menge Autohäuser, die andernorts an Stadträndern angesiedelt sind.
„Das ist nicht Stadt“, sagt Ingrid Burgstaller, „das ist Suburbia. Das sind die Banlieus.“ Graue Vorstädte also, in denen Menschen wohnen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Heruntergekommene Viertel, um die sich niemand so richtig kümmert. Dabei könne die Stadt durch geschicktes Flächenmanagement und neue Rahmenbedingungen hier wertvolles Land für Wohnungen gewinnen, die Automobilhändler könnten an die Peripherie umziehen. In räumlicher Nähe wohnen und arbeiten zu können, sei das Gebot der Stunde, sagt Burgstaller.
Wohin wollen die Lkw?
Kipke kritisiert, dass immer noch eine Untersuchung darüber fehle, welche Ziele der Schwerlastverkehr ansteuere, der sich täglich über den Frankenschnellweg quält. Man wisse aber, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Verkehrsteilnehmer die Route nutze, weil sie die kürzeste ist.
Die Varianten
Wie also könnte eine rückgebaute Verkehrsachse aussehen? Burgstaller und Kipke betreuten eine Gruppe von Studenten, die sich ein Semester lang den Straßenraum für ihre Ideen eroberten. Sie schufen anstelle der Stadtautobahn einen Boulevard, ließen neue Stadtviertel entstehen und griffen den Vorschlag des Künstlers Theobald Fuchs auf, den Alten Kanal auf seiner ursprünglichen Trasse weiterzubauen. Mehr ÖPNV, mehr Radwege: „Super Gehirnanregungen“ seien entstanden, lobt die Professorin.
Neues Quartier
Radikale Betrachtungen wie die von Victoria Konuk und Sven Jessel sind dabei, die den Frankenschnellweg nur als abkürzende Tangente zum Ring sehen und ihn deshalb komplett aus dem Netz nahmen. Stattdessen lenken sie den Verkehr über die Hans-Bunte auf die Fuggerstraße um.
Einerseits erzielten sie damit eine wirksame Verkehrsberuhigung, urteilt Prof. Burgstaller, andererseits eine Analogie zum lebendigen Gostenhof zwischen Fürther Straße und Bahn. Dieses neu entstehende Quartier könnte zudem weitgehend autofrei sein.
Die Aufgabe
Dem Ziel vorausgehen müsste ein integrierter städtebaulicher Wettbewerb, der Architekten, Stadt- und Verkehrsplaner sowie Landschaftsarchitekten an einen Tisch bringt. „Der Verkehr, der nötig ist, soll fließen können“, sagt Bernd Baudler vom VCD. Das sei die Aufgabe.
Und man müsse bewusst eine Umgebung schaffen, die daran erinnere, dass man sich in der Stadt befinde. Cafés und Läden, Grünflächen, Fußgänger und Radler sollen ihren Platz finden.
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