"Kein rechtsfreier Raum"
Rechte Hetze nach AfD-Parodie: Hass im Minutentakt - Nürnberger Politiker wehrt sich
28.01.2025, 14:00 UhrKommentare im Netz sind schnell verfasst: Während Absenderinnen und Absender wie wild kommentieren können - und das teils mit gleich mehreren Accounts - und dann einfach weiter scrollen, hält sich der Eindruck bei Empfängerinnen und Empfängern länger. Besonders wenn der Hass minütlich in die Inbox hereinprasselt, muss viel Durchhaltevermögen her. Und die Konsequenz gezogen werden.
"Unfassbar", schreibt Nasser Ahmed auf Instagram. Seit Tagen sollen bei ihm im Minutentakt neue Kommentare hereinkommen, "der Hass und die Beleidigungen nehmen kein Ende". Die Kommentare sollen sich vor allem unter seinem "Nagellack-Video" sammeln: In diesem hatte Ahmed, "aus einer Sektlaune heraus", ein virales Video von Maximilian Krah parodiert. "Echte Männer sind rechts", hatte der vorherige AfD-Spitzenkandidat damals erklärt. Zudem ein paar wirre "Datingtipps" gegeben - ein rechtes Fangnetz für junge, männliche TikTok-User.
"Echte Männer haben keine Angst vor Nagellack", entgegnete Stadtrat Ahmed im Juli in seinem Video. Weiter erklärt er, wie echte Männer seiner Meinung nach sind, nämlich: dass sie lieben können und sich nicht "von irgendwelchen Rechtsextremen" einreden lassen, wie sie zu sein haben und wen sie zu hassen haben. Das Video von dem SPD-Politiker ist inzwischen ebenfalls viral gegangen. Seit Juli wurde es nach Angaben der Plattform "Instagram" über 800.000 Mal gesehen, hat über 10.000 Likes - aber auch 8.000 Kommentare. Viele von diesen sind homophob, hasserfüllt.
Ahmed erklärt im Januar, dass er inzwischen in 40 Fällen Strafanzeige erstattet hat. Wieso Monate später wieder Hasskommentare hereinkommen, das könne nur der Algorithmus erklären. Der Stadtrat wolle nur Liebe, keinen Hass säen - dennoch mahnt er: "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein".
Ahmed: "Im Internet fallen alle Hemmungen"
Bei Stadtrat Ahmed finden sich in den Kommentarspalten unzählige hasserfüllte Botschaften. "Es macht mich zutiefst betroffen, wie tief der Hass und die Ablehnung schon in die Gesellschaft vorgedrungen sind", erklärt der SPD-Politiker, der sich dabei in zwei Aspekten sicher ist: Zum Einen, dass "in der persönlichen Begegnung viele sicher nicht so reden würden" und im Internet schlichtweg "alle Hemmungen fallen". Zudem hat Ahmed das "Gefühl, viele Menschen machen sich gar nicht bewusst, was sie da schreiben und wie verletzend das sein kann". Zum Anderen, dass bei den meisten dieser "sehr verletzenden" und "sehr persönlichen" Kommentare nicht er als Person gemeint ist, sondern er bloß eine Projektionsfläche darstellt. Denn: "Die allermeisten, die so etwas schreiben, kennen mich gar nicht."
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Die Menschen hinter den Profilen stören sich laut Ahmed, der als Sohn eritreischer Einwanderer in Nürnberg geboren wurde, an seinem Aussehen und seiner politischen Einstellung. Grundsätzlich hält er Rechtsextremismus für "die größte Gefahr für unsere Demokratie zurzeit". Zugleich stellt der SPD-Politiker aber fest, "dass sich inzwischen auch Menschen aus der ‚Mitte der Gesellschaft‘ mitreißen lassen".
Im Umgang mit derartigen Hassnachrichten gilt es für Politiker laut Ahmed, "sich ein Stück weit innerlich distanzieren" zu können, "sonst ist man im falschen Beruf". Zudem schöpft der SPD-Stadtrat die nötige Kraft aus der Zustimmung und dem positiven Feedback, das er in seiner ehrenamtlichen politischen Arbeit erhält. "Wir Demokratinnen und Demokraten sind mehr! Nur manchmal zu leise", gibt sich der Nürnberger auf Instagram kämpferisch.
Sein Antrieb und eine "starke Motivation" für sein politisches Engagement ist dabei Ahmeds kleine Tochter: "Ich möchte mithelfen, dass sie eine bessere Welt vorfindet, in der alle die gleichen Chancen bekommen. Am besten eine Welt, in der solche Hass-Kommentare der Vergangenheit angehören, weil die Menschen respektvoller im Netz und im echten Leben geworden sind", schreibt der Stadtrat auf Instagram.
Hate Speech im Netz - eine rechte Strategie
"Jugendschutz.net", ein von Bund und Länder genutztes Kompetenzzentrum für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet, hatte im Berichtszeitraum Januar 2020 bis Juni 2021 insgesamt 1.136 registrierte Verstoßfälle rechtsextremer Propaganda gesichtet. Wie aus dem Bericht hervorgeht, wurden 90 Prozent der Fälle über Social-Media-Plattformen verbreitet. Äußern sich die rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Aussagen in Form von Kommentaren oder Nachrichten, spricht man auch von "Hate Speech".
Die Verfasser solcher Hassnachrichten und Fake-News berufen sich gerne auf das Recht auf freie Meinungsäußerung, doch auch dieses Recht kennt Grenzen. Zudem ist Hass keine Meinung, unterstreicht das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): "Hate Speech ist ein Angriff auf unsere Werte und auf unsere Demokratie – und damit auf uns alle." Seit Jahren verbreiten Rechtsextreme vermehrt ihre Hassbilder und Narrative. Um ihre rassistische, sexistischen oder antisemitischen Botschaften zu vermitteln, präsentieren Rechtsextreme sich als alternativen Lifestyle. Sie stellen eine Lebenswelt dar, die allein durch ihre Vielstimmigkeit eine "Plausibilität" und "Glaubhaftigkeit" haben soll. Diese strategische Verzerrung auf Online-Plattformen nimmt auch durch Hasskommentare Form an.
Es gibt mehrere juristische Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Organisationen wie "HateAid" setzen sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und dient allen Betroffenen als Beratungsstelle.
Studie: Über die Hälfte der politisch engagierten Menschen werden im Netz angefeindet
Eine neue Studie zeigt, dass die Mehrheit der befragten, politisch engagierten Menschen schon digitale Gewalt erlebt hat, berichtet "HateAid". Von den betroffenen politisch aktiven Frauen hat fast ein Viertel Androhungen sexueller Gewalt erhalten. Der Hälfte der betroffenen Männer wurde mit anderen Formen körperlicher Gewalt gedroht.
"Wir sehen es im aktuellen Wahlkampf: Durch den Hass und die Lügen, denen politisch aktive Menschen ausgesetzt sind, verändern viele die Art und Weise, wie sie Politik machen, handeln und kommunizieren", kommentiert, Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von "HateAid" diesbezüglich. "Es beeinflusst vor allem auch die Entscheidung darüber, ob und wie sie sich überhaupt noch engagieren. (...) Deshalb müssen jetzt Politik, Justiz, Parteien und Plattformen endlich alles dafür tun, Politiker*innen und andere Engagierte effektiv zu schützen."
Die Organisation appelliert deswegen an die Vorsitzenden der Parteien, Politikerinnen und Politiker nicht mit dem Hass allein zu lassen. Die Menschenrechtsorganisation fordert spezialisierte Anlaufstellen, sodass Anzeigen konsequent und zeitnah verfolgt werden und dass Betreiber von Social-Media-Plattformen den Digital Services Act (DSA) konsequent durchsetzen.