Sie rettet Lebensmittel: Sozialarbeiterin erhält Ehrenwertpreis
31.12.2019, 14:26 UhrEs war ein Novum in der bald elfjährigen Geschichte der Aktion EhrenWert, aber erstmals konnte der Preis nicht persönlich übergeben werden. Der Grund: Johanna Wiglinghoff ist seit Oktober mit ihrer Freundin Pia auf dem Rad unterwegs. Zuerst in Italien, jetzt in Tunesien macht sie das, was sie seit sechs Jahren mit Leidenschaft tut: Lebensmittel retten.
Das Telefonat mit der 31-Jährigen fand an dem Abend statt, an dem sie am Fuß des Vesuvs Station machte. Die Leitung wurde mehrfach unterbrochen, aber es hat geklappt. Ebenso wie die Sprachbotschaft an die Anwesenden beim Tag des Ehrenamtes im Historischen Rathaussaal.
Foodsharing in Nürnberg: Lebensmittel retten auf Facebook
Geboren und aufgewachsen ist Johanna Wiglinghoff im westfälischen Lippstadt, wo sie auch das Abitur gemacht hat. Danach ging sie ein Jahr als Aupair nach Sao Paulo und begann anschließend 2009 Soziale Arbeit zu studieren – an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg.
Dass sie dort genommen wurde, hatte damit zu tun, dass sie sich bei der kirchlichen Landjugend-Bewegung ehrenamtlich engagiert hatte, deren Vorsitzende sie war. Praktika in Kinderheimen und ein Aufenthalt in Brasilien kamen dazu. Ihren ersten Job hatte sie als Betreuerin in einer Mädchen-WG in Fürth. Sie kündigte ihn nach zweieinhalb Jahren, um 15 Monate mit dem Fahrrad auf Reisen durch Skandinavien, Spanien und Marokko gehen zu können.
"Teilen statt wegschmeißen"
Ende 2013 kam Wiglinghoff erstmals mit Foodsharing in Berührung. Mit Gleichgesinnten baute sie erste Kooperationen auf. Was macht man mit 200 Broten, die nicht verkauft wurden, weggeworfen werden sollten und gerettet wurden? Solche Fragen tauchten auf. Die Antwort hieß: "Teilen statt wegschmeißen", was die Frage des Verteilens nach sich zog.
Nicht nur an Bedürftige (wie bei der Tafel), sondern an alle wollen sich die Foodsharer wenden, um die Wegwerfmentalität zu entlarven. Dafür braucht es persönliche Netzwerke, aber auch Vereine wie Bluepingu oder Einrichtungen wie das Mehrgenerationenhaus in Schweinau. Dort findet jeden dritten Mittwoch im Monat ein Foodsharing-Dinner statt, wo ab 18 Uhr gerettete Lebensmittel gemeinsam geschnippelt, gekocht und gegessen werden – und das gratis. Das einzige, was vonnöten sei, sagt Johanna Wiglinghoff, "ist ’ne leere Dose für eventuelle Reste".
Ihr geht es um das große Ganze: Um Umwelt- und soziales Bewusstsein, um Schritte gegen die alltägliche Verschwendung von Essbarem. Taten sind Wiglinghoff wichtig. Deshalb geht sie auf Einzelhändler, Bäcker oder Supermarktbetreiber zu. In den letzten Wochen in Rom, Neapel und Tunis. Da erlebte sie auch komische Situationen: Ein irritierter italienischer Händler wollte ihr die geretteten Tomaten wieder wegnehmen und ihr dafür welche aus dem Laden schenken, was sie ablehnte.
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Erstaunlich gelassen und humorvoll erzählt sie davon. Man spürt: Sie hat einen langen Atem, eine Engelsgeduld, viel Kraft und die Ausdauer einer Ganzjahresradlerin. Man spürt: Diese junge Powerfrau will etwas von unten verändern, weshalb sie ihre Zukunft nicht in einer politischen Partei sieht.
Aktiv beim "Kulturhauptstädtla"
Seit gut einem Jahr lebt Wiglinghoff in einem Bauwagen in der Sebaldus-Siedlung in Erlangen, wo beim Foodsharing ebenfalls aktiv ist. In Nürnberg gehört zum N.ORT-Kollektiv, das mobile Cafés und Imbissküchen mit geretteten Lebensmitteln in öffentlichen Projekten integriert. Das Highlight 2019 war das einmonatige "Kulturhauptstädtla" vor dem Schauspielhaus, wo im Sommer ein Monat ein Markt der alternativen Zukunftsideen blühte – und Johanna Wiglinghoff täglich anzutreffen war.
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Als freiberufliche Bildungs- und Sozialarbeiterin vermittelt sie ihr Wissen bei Vorträgen und Workshops – ob in Kindergärten, Schulen oder im Stadtgarten. "Das Lebensmittelretten gehört zu meinem Leben dazu", sagt sie und gesteht: "Manchmal muss ich mich bremsen."
Eine Tüte mit original Nürnberger Lebkuchen am Straßenrand von Siena gehörte im November zu den unverhofften Schätzen ihrer aktuellen Foodsharing-Tour. Anfang 2020 will Johanna Wiglinghoff zurück sein – und sich bis dahin überlegen, was sie mit den 1000 Euro Preisgeld macht. Könnte gut sein, dass sie es in ein E-Lastenrad investiert, um Lebensmittel noch schneller retten und verteilen zu können.
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