Tatort Nürnberg: Tödliche Schüsse im "Twenty Five"

30.12.2018, 05:42 Uhr
Dreifacher Mord: Am 26. Juni 1982 schoss der Rechtsextremist Helmut O. gezielt auf Ausländer. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei richtete der Täter schließlich die Waffe gegen sich selbst und erlag später seinen Verletzungen.

© Polizei Dreifacher Mord: Am 26. Juni 1982 schoss der Rechtsextremist Helmut O. gezielt auf Ausländer. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei richtete der Täter schließlich die Waffe gegen sich selbst und erlag später seinen Verletzungen.

Der 26-Jährige steigt in seinen Wagen, den er vor dem Anwesen seiner Eltern in Nürnberg-Röthenbach abgestellt hat. Es ist der 26. Juni 1982 um 21.45 Uhr. Sein Ziel ist die Innenstadt. Es ist ein lauer Donnerstagabend. Durch die City schlendern viele Nachtschwärmer. Helmut O. parkt sein Auto in der Kartäusergasse - gut elf Jahre später wird hier die Straße der Menschenrechte eröffnet.

Um die Schultern trägt der Dachdecker, den Nachbarn im Stadtteil später als "immer freundlichen, höflichen jungen Mann" beschreiben werden, eine Umhängetasche. Der Inhalt: Ein großkalibriger Revolver der Marke Smith & Wesson Magnum 357, eine Walther PPK und eine Pistole Luger 0.8, eine Waffe, die Soldaten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg trugen. Außerdem liegen in der Tasche rund 200 Schuss Munition und ein Stapel Aufkleber von der in den USA beheimateten "NSDAP-AO" (AO = Auslands- und Aufbauorganisation), die der Neonazi Gary Rex Lauck aus Lincoln/Nebraska anführt.

Auf den Stickern mit Hakenkreuz ist zu lesen: "Wir sind wieder da" und "Kampf den Judenparteien KPD SPD CDU CSU FDP". Die Polizei wird am Ende 64 diese Aufkleber sicherstellen und ermitteln, dass O. das rechtsradikale Propagandamaterial von einem 17-jährigen Schüler aus Ansbach erworben hatte.

Gut eineinhalb Stunden nachdem der 26-Jährige an diesem Abend im Stadtteil Röthenbach gestartet war, geht er jetzt zu Fuß in die Königstraße und nähert sich dem Eingang der Diskothek "Twenty Five", die hauptsächlich von Afroamerikanern besucht wird. Die Polizei rekonstruierte die folgenden Minuten so: An der Türe fordert ihn ein Mitarbeiter auf, zwölf Mark für den Eintritt zu zahlen.

O. zögert. Der Mann fragt: "Was ist nun, zahlen oder gehen Sie?" In diesem Moment zieht der Neonazi aus seiner Schultertasche den großkalibrigen Revolver und feuert sofort. Der erste Schuss trifft den neben dem Kassierer stehenden 23-jährigen Amerikaner William S., der tot zusammensackt. Zwei weitere Schüsse verfehlen ihr Ziel, da der Kassierer sich geistesgegenwärtig auf den Boden wirft.

Täter feuert auf Afroamerikaner

O. geht die Stufen hinab in das Tanzlokal, in dem sich rund 20 vorwiegend afroamerikanische Gäste, eine Mitarbeiterin an der Theke und ein türkischstämmiger Kellner aufhalten. Der Schütze feuert zunächst mehrere Schüsse in Richtung Tanzfläche ab. Dann richtet er den Revolver auf den 27-jährigen US-Soldaten Rufus S. und eine 28-jährige Koreanerin und schießt.

Der Amerikaner wird tödlich, seine Begleiterin schwer verletzt. Aus Polizeiakten geht hervor, dass in diesem Moment Ali K., der Kellner, auf O. zugeht. Der Schütze richtet die Smith & Wesson auf den Ober, drückt ab - doch es löst sich kein Schuss. Es kommt zu einem Handgemenge, K. kann dem Angreifer den Revolver entreißen. O. aber greift in seine Tasche, holt die Walther PPK heraus. K. rennt Richtung Garderobe, die folgenden Schüsse treffen ihn. Der mutige Türke geht schwer verletzt zu Boden - er überlebt den Angriff. Der Täter verlässt die Disco "seelenruhig", wie Zeugen später berichten werden.

"Ich schieße nur auf Türken"

Mittlerweile hat O. nachgerüstet und auch die Luger 0.8 aus der Tasche gezogen. Mit beiden Waffen in den Händen steuert er in Richtung Klaragasse. Auf dem Weg fragt er Passanten, ob sie Türken seien. Sie verneinen, er geht weiter. Drei junge Bereitschaftspolizisten, in Zivil und unbewaffnet, sitzen auf einer Bank und nehmen Reißaus, als sie den bewaffneten Mann sehen. Laut Polizeibericht ruft er den Flüchtenden noch hinterher: "Ich schieße nur auf Türken."

Kurz darauf feuert der Täter beidhändig auf ausländische Passanten: Der Libyer Sultan A. wird am Unterkiefer getroffen und schwer verletzt, der Ägypter Mohamed E., der sich zur Schulung in Deutschland aufhält, stirbt auf der Stelle.

Schusswechsel mit der Polizei

Indes rücken mehrere Streifen in der Innenstadt an. In der Klaragasse kommt es schließlich zum Schusswechsel mit Polizisten. Der 26-Jährige wird an der Hüfte getroffen. Dann richtet er eine Waffe gegen sich, drückt ab, trifft Herz und Lunge. Kurz nach Mitternacht erliegt er im Klinikum seinen Verletzungen.

Der blutige Angriff vor über 36 Jahren war kein Amoklauf. Er war das gezielte Töten von Menschen aus anderen Ländern durch einen Rechtsradikalen. Tatmotiv? Das Landeskriminalamt Bayern, das die Ermittlungen leitete, lieferte dazu keine klare Aussage. Nur zwei Wochen nach den 17 Schüssen, die O. in der Nürnberger Innenstadt abfeuerte, schloss die 20-köpfige Sonderkommission die Ermittlungen ab. Man ging von einem Einzeltäter aus.

Zahlreiche Gewalttaten

Dabei fügt sich die Tat in eine Reihe rechtsradikaler Gewalttaten Anfang der 80er Jahre ein. Alleine 1980 zählten Staatsschützer bundesweit mehr als 1500 Ausschreitungen rechtsextremer Terroristen. Rund 220 Neonazis, so warnte das Bundesamt für Verfassungsschutz, müssten als Täter eingestuft werden, die Gewalt aus "dem Stand heraus" ausübten und deshalb unberechenbar seien.

So wurden am 19. Dezember 1980 der Erlanger Verleger Shlomo Lewin, eines der prominentesten Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg-Erlangen, und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke getötet. Nach dem Doppelmord kam es nie zu einer Verurteilung, da der ermittelte mutmaßliche Täter Uwe Behrendt, Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann, sich das Leben genommen hatte.

Viele rechtsradikale Verbrechen

Höhepunkt der rechtsradikalen Verbrechen dieser Zeit war jedoch das Oktoberfest-Attentat im September 1980, das 13 Tote und 213 Verletzte forderte. Als Haupttäter gilt der Tübinger Geologie-Student Gundolf Köhler - ebenfalls ein Anhänger der Wehrsportgruppe. Auch in diesem Fall sind die Hintergründe bis heute nicht geklärt. In der Öffentlichkeit warf man den Sicherheitsbehörden und der regierenden CSU vor, auf dem rechten Auge blind zu sein.

Als Sympathisant der rechtsextremen Wehrsportgruppe galt auch der Nürnberger Helmut O. Er war ein Waffennarr und polizeibekannt. Laut Spiegel stießen Ermittler bereits Anfang 1981 bei einer Hausdurchsuchung bei ihm auf ein Waffenarsenal.

Drohungen am Telefon

An die dafür nötige Waffenbesitzkarte war O. leicht gekommen: Im September 1977 trat er in den Schützenverein "Rangierbahnhof" ein. Warum seine Zuverlässigkeit nie infrage gestellt wurde und die Behörde Karte und Waffen nicht einzog, zumal O. vor seiner Bluttat als Rechtsradikaler bekannt war und auch schon vor Gericht stand, ist nie abschließend geklärt worden. Der damalige Leiter des zuständigen Ordnungsamtes in Nürnberg erklärte, dass seine Sachbearbeiter keine Ahnung davon haben konnten, dass der Sportschütze Helmut O. dem rechtsradikalen Umfeld zugerechnet werden musste.

Klar aber ist: Nur einen Tag nach dem Mordfall Lewin im Dezember 1980 terrorisierten der Dachdecker und ein Komplize einen Nürnberger Juden am Telefon mit den Worten: "Morgen geht es dir wie dem Shlomo Lewin." Mit Hilfe einer Fangschaltung wurden die beiden aber identifiziert. Die Polizei brachte O. auch kurzzeitig mit dem Erlanger Mordfall in Verbindung, was sich später aber als haltlos herausstellte.

Anonyme Anrufe

Wie sich dann jedoch zeigte, war das nicht der einzige anonyme Anruf des Duos. Die beiden mussten sich schließlich eineinhalb Jahre später vor dem Schöffengericht verantworten, weil sie mehrfach Ausländer und Juden telefonisch mit den Worten "Ausländersau", "Kameltreiber", "Judensau" terrorisiert sowie Wände und Stadtmauern mit Hakenkreuzen beschmiert hatten. O.s Komplize wurde zu 15 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Gegen O., der sein Geständnis vor dem Richter widerrief, sollte im Herbst 1982 erneut verhandelt werden. Doch dazu kam es nicht mehr - einen Tag nach dem ersten Termin vor Gericht richtete er das Blutbad in der Innenstadt an.

Und das auch mit illegalen Waffen. Die Walther PPK und die Luger 0.8, mit denen er auf der Straße den Ägypter tötete, einen Libyer und den türkischen Kellner schwer verletzte und schließlich sich selbst erschoss, führte er illegal mit sich. Später klärte sich zumindest die Herkunft der Wehrmachtspistole 0.8: Sie stammte aus dem Arsenal eines Waffenlieferanten und Neonazis aus Nürnberg-Schniegling, den die Polizei auf dem Schirm hatte.

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