Zeichen gegen Rechts

Tausende mehr als erwartet: "In Nürnberg noch nie so eine große Demo gegen Nazis gesehen“

Isabel Pogner

Online-Redaktion

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20.1.2024, 17:39 Uhr
Roman Noori-Auernhammer, Christel Meßthaler, Andrea Heck und Katja Auernhammerstehen kurz vor der Bühne. Sie alle setzen sich dafür ein, alle Menschen gleichzubehandeln. 

© Isabel Pogner Roman Noori-Auernhammer, Christel Meßthaler, Andrea Heck und Katja Auernhammerstehen kurz vor der Bühne. Sie alle setzen sich dafür ein, alle Menschen gleichzubehandeln. 

Jubelnd haben die Demonstrantinnen und Demonstranten auf dem Willy-Brandt-Platz bei der Demo gegen Rechts am Samstag in Nürnberg den Holocaust-Überlebenden Ernst Grube empfangen. Bis in die hinteren Reihen, die sich bis zum Hauptbahnhof und zur Gleißbühlstraße erstreckten, hallten seine mahnenden Worte nicht. Dort skandierte die Menge lauthals: "Ganz Nürnberg hasst die AfD." Aber nicht alle Demonstranten waren in Kampfeslust. Besonders bei denen, die von den geheimen Plänen des Treffens in Potsdam persönlich betroffen sind, dominiert die Angst.

"Ich habe Albträume, dass sie zu mir auf die Arbeit kommen, mich wegreißen und deportieren", sagt Roman Noori-Auernhammer. Er ist 21 Jahre alt und lebt seit 2016 in Deutschland. "Vielen meiner Landsleute aus Afghanistan geht es ähnlich", erzählt er. Unter Betroffenen herrsche regelrechte Panik davor, was passieren könnte, wenn die rechten Kräfte in Deutschland mehr Macht erlangen.

15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Nürnberg

Personen aus dem rechten Kreis, darunter AfD-Mitglieder, Figuren aus der rechtsextremistischen Szene, Geschäftsleute und zwei CDU-Mitglieder, sollen laut Recherchen von "Correctiv" bei einem geheimen Treffen in Podsdam darüber gesprochen haben, wie man Menschen mit Wurzeln aus anderen Ländern und all jene, die sich für sie einsetzen, massenhaft ausweisen könne. "Damit wären dann ja auch wir betroffen", sagt Katja Auerhammer, die den 21-Jährigen adoptiert hat. "Ich bin stinkwütend", ruft sie. Sie ertrage es nicht zu sehen, wie immer mehr Menschen Minderheiten diskriminieren. Umso mehr freue sie sich über die vielen Menschen, die sich am Samstag in Nürnberg getroffen haben. Die Polizei spricht von 15.000 Demonstrationsteilnehmern, die Veranstalter von 25.000. Gerechnet hatten die Veranstalter ursprünglich mit 1.000 Personen.

Michael Konrad, Polizeisprecher des Polizeipräsidiums Mittelfranken, erklärt: Es seien deutlich mehr Personen gekommen, als eigentlich geplant. "Das war aber kein Problem, wir haben die Marienstraße komplett gesperrt und auch die Gleißbühlstraße in Richtung Norden." Und auch in die kleinen Seitenstraßen rund um den Willy-Brandt-Platz hätten sich die Demonstrantinnen und Demonstranten verteilt. Relevante Vorfälle habe es nicht gegeben. "Vertreten war heute ja auch eher die bürgerliche Mitte, keine extremistischen Gruppen."

In einer der Seitenstraßen stehen Tochter Zahra Agir und Mutter Mahasti Vahidi. Letztere hat Hund Maya im Arm. Maya ist erst ein paar Monate alt, deswegen hat Agir erst gezögert, ob sie kommen soll. Doch den Hund scheinen die vielen Menschen nicht zu stören. "Und ich bin sehr froh, dass wir da sind", sagt Vahidi. "Die vielen Menschen zu sehen, gibt mir Hoffnung." Sie ist vor 36 Jahren wegen politischer Gründe aus dem Iran geflohen. "Seitdem bin ich sehr dankbar, dass ich in einem demokratischen Land leben darf", sagt sie. Doch die aufgehetzte Stimmung in ganz Europa mache ihr große Sorgen. "Diese Stimmung ist giftig", sagt sie. "Wenn ich von den geheimen Plänen der rechten Kräfte höre, bekomme ich große Angst, dass sie uns nach Afrika abschieben", sagt Vahidi.

Mahasti Vahidi und Tochter Zarah Agir haben Angst um die Demokratie in Deutschland und Europa.

Mahasti Vahidi und Tochter Zarah Agir haben Angst um die Demokratie in Deutschland und Europa. © Isabel Pogner

Auch Eduarda Nascimento hat Angst. "Wovor? Ganz ehrlich? Abgeschoben zu werden", sagt sie. Im alltäglichen Leben mache sie häufig diskriminierende Erfahrungen, doch besonders die Stimmung in den sozialen Medien werde immer aggressiver, erzählt sie. "Leute schreiben Dinge im Internet, da wird mir schlecht." Hass und Hetze im Netz nähmen rasant zu, ist ihr Eindruck. "Die Leute fühlen sich viel freier, Dinge zu schreiben wie: 'Ich bin zwar nicht rechts, aber...'". Und Nascimento glaubt: "Der Weg in einen Zustand wie 1933 ist kürzer, als man glaubt." Umso mehr freue sie sich über die vielen Menschen, die bei Minusgraden zusammenkamen, um zu demonstrieren. "Das hier ist ein ganz anderes Bild als im Internet. Das zeigt mir, dass eben nicht alle rechts sind!"

Kilian Keller und Eduarda Nascimento haben das Gefühl, dass der Hass gegen Minderheiten besonders im Internet immer schlimmer wird.

Kilian Keller und Eduarda Nascimento haben das Gefühl, dass der Hass gegen Minderheiten besonders im Internet immer schlimmer wird. © Isabel Pogner

Genau diesen Eindruck hatte auch Ulli Schneeweiß vom Nürnberger Bündnis Nazistopp. Als Redner auf der Bühne zeigte er sich enorm beeindruckt: „Ich bin echt baff. Ich habe noch nie in Nürnberg so eine große Demo gegen Nazis gesehen wie heute.“ In seiner Ansprache wurde er dann mehr als deutlich. „Die AfD will die neue NSDAP werden“, sagte er – und rief in Erinnerung, dass die „Alternative“ im Osten Deutschlands schon Akzeptanzwerte in Größenordnung der Nazi-Partei 1932 erreiche. Die AfD müsse „nicht nur juristisch, sondern auf allen gesellschaftlichen Ebenen bekämpft werden“, forderte er.

Trotz der vielen Menschen berichtet die Polizei von keinen größeren Störungen während der Veranstaltung.

Trotz der vielen Menschen berichtet die Polizei von keinen größeren Störungen während der Veranstaltung. © Isabel Pogner

Die Besorgnis über eine rechte Dynamik im Land war allen Redebeiträgen anzumerken. Weshalb, das brachte vor allem der eine Mann zum Ausdruck, der als Hauptredner auftrat: Ernst Grube, der als Kind im Zuge des NS-Terrors ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Der Zeitzeuge schlug auf der Kundgebung einen besonders ernsten Ton an. „Als ich die Informationen über dieses Geheimtreffen in Potsdam gehört habe, war ich entsetzt“, sagte er. Die dort diskutierten Überlegungen zu massenhaften Ausweisungen träfen Menschen, die „nach willkürlichen rassistischen Kriterien nicht genügend assimiliert seien“.

Ernst Grube wurde als Kind in ein Konzentrationslager deportiert. Er hat am Samstag in Nürnberg eine Rede gehalten.

Ernst Grube wurde als Kind in ein Konzentrationslager deportiert. Er hat am Samstag in Nürnberg eine Rede gehalten. © Isabel Poigner

Grube erinnerte an seine eigene Familie, die unter den Nationalsozialisten, entrechtet, verfolgt und deportiert wurde. „Meine Tanten und Onkel hatten keine Chance.“

Das Ziel der Rechtsextremen sei die „Enthemmung für die gewaltvolle Tat und die Ablenkung von den tatsächlichen Aufgaben wie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit“, sagte Grube. Er rief die Zuhörerinnen und Zuhörer auf, mehr Druck auf die Politik auszuüben, „damit ein Verbot der AfD vorangetrieben wird“.

Die Menschenmassen haben sich über die komplette Marienstraße verteilt.

Die Menschenmassen haben sich über die komplette Marienstraße verteilt. © Isabel Pogner

Ein solches Verfahren forderten auch weitere Rednerinnen und Redner. Zudem wurde Kritik an anderen Parteien laut. „Die Pläne der Rechtsextremisten entstehen in einem Klima, in dem auch demokratische Parteien den Diskurs immer weiter nach rechts verschieben“, warnte Zeitzeuge Grube. In einem weiteren Redebeitrag wurden Politiker wie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz für polarisierende Aussagen rund um Zahnarzttermine für Migranten verurteilt. „Sie sollten sich fragen, was sie und ihre Politik beigetragen haben zu dieser Situation“, hieß es. Unterschiedliche politische Positionen ja, aber Zusammenhalt gegen den Faschismus – so der Konsens auf der Redebühne.