"Voll wie die Eimer": Trinkerszene wandert in die Altstadt

9.9.2017, 05:56 Uhr
Seitdem die Polizei die Trinkerszene vom Hauptbahnhof verdrängt hat, halten sich immer mehr Alkoholkranke in der Innenstadt und um die Lorenzkirche herum auf. Dadurch häufen sich auch die Klagen und Beschwerden.

© Stoll Seitdem die Polizei die Trinkerszene vom Hauptbahnhof verdrängt hat, halten sich immer mehr Alkoholkranke in der Innenstadt und um die Lorenzkirche herum auf. Dadurch häufen sich auch die Klagen und Beschwerden.

Man kann nicht sagen, dass die beiden Polizisten keine Geduld haben. Zigfach fordern sie die beiden Männer, die im U-Bahnuntergeschoss vor Karstadt auf dem Boden liegen, auf, endlich aufzustehen und die Passage zwischen Karolinen- und Kaiserstraße zu verlassen. Einer der beiden tastet sich schließlich unsicheren Schrittes an der Wand entlang. Der Zweite, ein Mann mit Krücken, bleibt liegen.

Am Ende kommt es zu einer unwürdigen Szene, die Passanten nicht unbeeindruckt lässt. Die Streife schleift den Mann an den Armen über den Steinboden nach draußen. Er lässt es über sich ergehen. "Legen Sie sich in die Grünanlage, aber nicht in die U-Bahn. Versprechen Sie mir, dass Sie versuchen aufzustehen", meint einer der Polizisten. "Ich kann ned", antwortet der Mann und bleibt in der Kaiserstraße liegen.

Die Männer gehören zur Trinkerszene. Ihre Gesichter sind bekannt. "Das dauert jetzt vielleicht eine halbe Stunde, dann sind sie wieder da", meint der Inhaber eines Geschäfts im U-Bahnuntergeschoss an der Lorenzkirche. Er klingt resigniert. "Die Trinker und Penner sind permanent da. Da langen keine 100 Mal", so oft habe er in den letzten Jahren schon die Polizei gerufen. "Viele Leute sagen, ich geh hier nicht mehr durch. Da wirst du bloß angebettelt."

Situation hat sich verschärft

Ein altes Problem oder ein neues? Die Wahrnehmungen gehen auseinander. Eine Frau, die ebenfalls in der Passage arbeitet, ihren Namen aber genauso wenig in der Zeitung lesen will, beobachtet, dass sich die Situation vor zwei, drei Wochen verschärft hat. "Eine Katastrophe", sagt sie. Das entspricht auch der Beobachtung des Straßenkreuzer-Verkäufers aus der Kaiserstraße. "Es war noch nie so extrem wie in den letzten zwei Wochen." Erst heute morgen habe wieder einer "vor die Rolltreppe hingebrunzt", vor den Augen von Kindern.

Auch oben, in der Karolinenstraße, stößt man auf Empörung. Die Mitarbeiterin eines Bratwurststands hält es für eine Zumutung, dass die Bank daneben neuerdings von Sandlern belagert wird. "Die hängen in der Einkaufsmeile schlechthin auf der Bank rum, voll wie die Eimer. Repräsentativ ist das nicht." Erst gestern habe einer dorthin "gespeit". "Im Grunde sind das ja arme Teufel. Aber da muss die Stadt reagieren", fährt sie fort. Johannes Krug betreibt ein paar Meter weiter einen Imbiss und stimmt seiner Kollegin zu. "Die brauchen irgendwo einen Treffpunkt, wo sie trinken können."

Andreas Bott kennt die Szene. Er bestätigt, dass sich vermehrt alkoholabhängige Menschen in der Innenstadt aufhalten. "Das ist das Ergebnis der Bahnhofsvertreibung", sagt der Sozialarbeiter aus der Wärmestube.

Polizei vor dem Eingang

Die Stadt hat die Zügel angezogen. Seit diesem Jahr herrscht rund um den Bahnhof und in der Königstorpassage nachts Alkoholverbot. Allein im Juli verteilte die Polizei in diesem Bereich rund 360 Platzverweise.

Die verdrängte Szene verlagerte sich schließlich vor den Hauptbahnhof. Doch seit Mittwoch ist es dort ganz generell verboten, sich aufzuhalten und Alkohol zu trinken. Der Grund: Wegen der Bauarbeiten geht es eng zu, Fluchtwege müssen frei bleiben. Innerhalb der ersten eineinhalb Tage hat die Polizei 60 Platzverweise ausgesprochen. Das Verbot zeigt Wirkung: Nur Polizisten stehen vor dem Eingang, Drogenabhängige und Sandler scheinen weitergezogen zu sein.

Wohin? "Wir werden es im Auge behalten, ob sich irgendwo verstärkt eine Szene bildet", sagt Polizeisprecherin Elke Schönwald. Fast wortgleich hört sich das bei Ordnungsamtschefin Katrin Kurr an. Sie hält es für viel zu früh, von einer Verlagerung in die Karolinenstraße und an die Lorenzkirche zu sprechen. "Eine Massierung wie in der Königstorpassage oder am Hauptbahnhof wurde noch nirgends festgestellt."

Der Bereich um die Lorenzkirche sei aber schon immer einer gewesen, an dem sich diverse Gruppen gerne niederließen, fährt Kurr fort. "Da wird man auch einmal angebettelt." Aber man habe dort noch keine Gruppen gesehen, die sich gegenseitig Drogen oder Geld in die Hand drückten.

Während es aufgrund des kategorischen Neins der bayerischen Staatsregierung keine Aussicht auf einen Drogenkonsumraum gibt, ist eine Trinkhalle für alkoholkranke Menschen, wie sie zuletzt von den Grünen gefordert wurde, realistischer. Die Stadt arbeitet an einem Konzept. Konkret ist noch nichts.

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