Reizvoll und malerisch

Vom "Kaufhaus Gostenhof" bis zum "Schrägen Eck": Eine besondere Kreuzung in Nürnberg

Sebastian Gulden

21.3.2023, 15:00 Uhr
Ein typisches Straßenbild Gostenhofs um das Jahr 1921: die Kreuzung von Kern-, Eberhardshof- und Adam-Klein-Straße mit ihrer malerischen Mietshauslandschaft. Ansichtskarte: Verlag Johann Bärtlein. 

© Sammlung Sebastian Gulden, NNZ Ein typisches Straßenbild Gostenhofs um das Jahr 1921: die Kreuzung von Kern-, Eberhardshof- und Adam-Klein-Straße mit ihrer malerischen Mietshauslandschaft. Ansichtskarte: Verlag Johann Bärtlein. 

"Gostenhof" hat in Nürnberg einen besonderen Klang. Was man mit diesem Namen verbindet, könnte unterschiedlicher kaum sein: Für die einen ist es der unverfälschte Multikulti-Stadtteil, für andere der Inbegriff der Gentrifizierung (Stichwort: "GoHo"), wo sich Reingeschmeckte mit viel Geld und Altbauromantik, aber wenig Rücksicht auf die Alteingesessenen des Quartiers zu bemächtigen versuchen. Alle Parteien dürften aber darin übereinstimmen, dass der Stadtteil über einen großen und reizvollen Schatz an historischen Bauten, Straßen- und Platzbildern verfügt.

Die Zeit ist nicht spurlos an dem Ensemble vorübergegangen, doch sie hat das Wesentliche bewahrt. Neben der Unmenge an Autos ist immerhin etwas Grün hinzugekommen.   

Die Zeit ist nicht spurlos an dem Ensemble vorübergegangen, doch sie hat das Wesentliche bewahrt. Neben der Unmenge an Autos ist immerhin etwas Grün hinzugekommen.    © Boris Leuthold, NNZ

Ein besonders malerisches Eck bietet sich dem Betrachter an der Kreuzung von Kern-, Eberhardshof- und Adam-Klein-Straße dar. Unsere Ansichtskarte zeigt sie in der Zeit um 1921. Während die Eberhardshofstraße, der uralte Verbindungsweg zwischen Gostenhof und dem Gut Eberhardshof, schon seit reichsstädtischer Zeit existiert, sind die Kern- und die Adam-Klein-Straße Produkte der Stadtplanung des späten 19. Jahrhunderts. Beide tragen die Namen bedeutender Nürnberger Künstler, des Bildhauers Leonhard Kern (1588-1662) und des Malers, Zeichners und Radierers Adam Klein (1792-1875).

Klassisch trifft üppig

An dieser Ecke treffen zwei Ausbaustufen des westlichen Gostenhofs aufeinander, und das sieht man deutlich am Gepräge der Bauten: Das Haus im Mittelgrund links an der Kernstraße (Nr. 19), erbaut um 1878, ist noch dem späten Klassizismus verhaftet. Ein symmetrischer Fassadenaufriss, einfacher Bauschmuck und ein Mansarddach mit Giebelgauben bestimmen das Bild der keineswegs eintönigen, aber etwas schematischen Architektur aus der Feder des Maurermeisters Johannes Thain. Die "Restauration zum schrägen Eck" im Erdgeschoss gibt es noch heute. Ihr Name rührt – neben dem offensichtlichen Wortspiel – daher, dass die Eberhardshofstraße nicht ganz im rechten Winkel auf die Kernstraße trifft und das Haus daher eine gen Norden leicht abgeschrägte Fassade besitzt.

Etwas üppiger, schon eher dem Neubarock verwandt, kommt das Haus Adam-Klein-Straße 5 daher, dessen Erkerturm am rechten Bildrand zu erkennen ist. Es war dereinst Firmensitz des renommierten Kunstverlags Ritter & Kloeden. Seine Planung geht vermutlich auf den Maurermeister und Gastwirt Johann Georg Hendelmeier von 1892 zurück, der den Fassadenentwurf in nächster Nähe gleich dreimal (!) verwirklichte, nämlich ferner in der Eberhardshofstraße 17 (1886, Bildmitte das zweite Gebäude rechts vom "Schrägen Eck") und in der Adam-Klein-Straße 9 (1891).

Malerische Vorstadt

Die um 1900 errichteten Eckhäuser Kernstraße 21 und 24 mit Adam-Klein-Straße 3 (von der Bildmitte nach rechts) dagegen sprechen nochmals eine andere, lebendigere Sprache: Aufgelockert durch Zierrat der Spätgotik und Renaissance, durch Erker, Giebel, Turmgauben und Erkertürme zeichnen sie das malerische Bild einer Vorstadtlandschaft. Erbaut haben sie der Maurermeister Johann Brühler mit Zimmermeister Johann Schliermann (Nr. 21) sowie Baumeister Michael Riegler (Nr. 24) – ob nach eigenen Entwürfen oder denen eines Architekten, entzieht sich unserer Kenntnis.

Hier eine Aufnahme des auf der Ansichtskarte rechts angeschnittenen Hauses Adam-Klein-Straße 5 mit seinen Nachbarn Nr. 7 und 9 (von links). Leider wurde der Fassadenschmuck nach 1945 teilweise abgemeißelt.  

Hier eine Aufnahme des auf der Ansichtskarte rechts angeschnittenen Hauses Adam-Klein-Straße 5 mit seinen Nachbarn Nr. 7 und 9 (von links). Leider wurde der Fassadenschmuck nach 1945 teilweise abgemeißelt.   © Boris Leuthold, NNZ

Wer da an der Fassade die hochtrabende Beschriftung "Kaufhaus Gostenhof" erblickt, mag an ein frühes Quartierswarenhaus denken. Tatsächlich handelte es sich aber um ein reines Modegeschäft. Seine fantastischen Jugendstilschaufenster inklusive Ladentür sind bis heute erhalten. Im Haus Adam-Klein-Straße 3 sehen wir den Ort, an dem man unsere historische Ansichtskarte erwerben konnte: Im Jahr ihrer Eheschließung 1910 eröffnete Marie Magdalene und Johann Bärtlein im Erdgeschoss eine Buchhandlung, deren Angebot sie später um Schreib- und Tabakwaren erweiterten. Der Wald an Holz- und Emailleschildern an der Fassade gehörte damals zum Bild eines seriösen Geschäfts.

Kleines Trostpflaster

Freilich nagte auch hier der Zahn der Zeit an den Bauten und beraubte sich manch malerischen Details: Die Helme der Erkertürme und Zwerchhäuser fielen entweder den Luftdruckwellen während der Bomberangriffe des letzten Weltkriegs zum Opfer oder aber der mangelnden finanziellen Mittel (oder der Knauserigkeit) der Hausbesitzer, die sie durch etwas plump wirkende Kappen ersetzen ließen. Am "Schrägen Eck" hat man in den Nachkriegsjahren die klassizistische Sandsteingliederung abgemeißelt und die Fronten verputzt. Als kleines Trostpflaster hat man sie später in veränderter Form wieder aufgemalt.

Kein Fingerspitzengefühl

An den Häusern Kernstraße 24 und Adam-Klein-Straße 3 hat man ohne Rücksicht auf Verluste Schaufensteranlagen hineingezimmert, die nun wirklich jedes Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Von den kunstvollen Gittertoren zwischen den Häusern Adam-Klein-Straße 3 und 5 steht nur noch der Mittelpfosten, während die Flügel durch todlangweiligen Vierkantstahlschrott ersetzt oder ganz abgebaut wurden.

Was zunächst als Kleinigkeit erscheint, wirkt in der Menge und bei genauerer Betrachtung dann doch etwas ernüchternd und beweist, dass es für die Pflege eines alten Hauses und eines Straßenbildes neben Geld auch Feingefühl und Qualitätsempfinden braucht. Gostenhof hat’s verdient!

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de

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