Wenn die To-Do-Liste abends länger ist als morgens

17.1.2021, 17:44 Uhr
Mit Osterkerze und Sitzsäcken: Schwester Magdalena Winghofer in ihrem Erker-Büro im Haus der Katholischen Stadtkirche.   

© Roland Fengler Mit Osterkerze und Sitzsäcken: Schwester Magdalena Winghofer in ihrem Erker-Büro im Haus der Katholischen Stadtkirche.   

Manches erlaubt tiefe Einblicke in das Gemütsleben eines Menschen: Freunde, Handtaschen, Wohnungen. Und Schreibtische. Wir werfen gemeinsam mit bekannten Nürnbergern einen Blick auf dieses Möbelstück, das mehr ist als ein Einrichtungsgegenstand. Zu den vielen Klischees, die man über Ordensleute haben kann, zählt die Annahme, sie arbeiteten im Morgengrauen in totaler geistiger Aufgeräumtheit. Und wenn die Fokussierung einmal nachlässt, helfen sie mit einem Stundengebet nach.

Haufen abtragen

Magdalena Winghofer ist Ordensfrau – aber Ordnung sieht sie nicht päpstlicher als der Papst. Auf ihrem Schreibtisch gehe es eher wellenförmig zu, und das auch nicht vor neun Uhr morgens, erzählt sie fröhlich an einem Vormittag zwischen Papierkram und einer Videokonferenz. Es bauten sich da oft Berge auf. Bis die Haufen irgendwann nerven und sie sie abtrage. "Ich bin jemand, der immer 25 Sachen gleichzeitig macht und das eigentlich auch gut hinkriegt." So sei das halt, wenn ein "grundsätzlich strukturierter Mensch" Abwechslung und Tempo liebe. Das führe dann zum Problem der To-Do-Listen. Man schreibt sie, um den Kopf zu entlasten. "Aber meine Liste ist am Abend irgendwie länger als morgens. Und gerne führe ich parallel mehrere Zettel."


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Die 38-Jährige arbeitet seit 2016 als Stadtjugendseelsorgerin im Haus der Katholischen Stadtkirche beim Sterntor. Weit über die Hälfte ihrer Stelle besteht daraus, Gremien zu treffen, weltliche und kirchliche, und sich mit Menschen zu vernetzen. Regelmäßigkeit gibt es da nicht, dafür viele Termine am Abend und Wochenende und auch mal daheim am Laptop. Solche Kommunikation erfordert Telefonate, E-Mails, Protokollieren, Nachlesen. "Ein bis zwei Tage pro Woche sollte ich in Summe hier sein, um hinterherzukommen."

Erinnerungen an viele Osternächte

Das Büro der Maria-Ward-Schwester, die mit einer Mitschwester und Gästen in einer Mini-Ordensgemeinschaft am Keßlerplatz lebt, ist ein halbes Wohnzimmer. Mit Erker, Orchideen auf den Fensterbrettern (vom Amtsvorgänger), einem kleinen Sofa und knallroten Sitzsäcken (von Jugendlichen geordert). An der Wand hängen Plakate: Erinnerungen an Jugendosternächte, Firmtage und Spezialgottesdienste. Und ein Bild: eine weiße Leinwand mit Stempel-Abdrücken, die ein buntes Kreuz ergeben, ein Geschenk aus ihrem Begrüßungsgottesdienst in der Hochschulgemeinde.

Das Kreuz ist ebenfalls Dekoration. Gebet und innere Einkehr bekommen keine spezielle Ecke in Schwester Magdalenas Zimmer. "Spiritualität drückt sich bei mir nicht durch feste Zeiten und Orte aus", sagt sie. "Sondern in meiner Grundhaltung, wie ich lebe und arbeite."

Viel Wasser und Mittagessen am Platz

Dazu zählt körperliche Versorgung: Ein Krug Leitungswasser steht immer da, Schokolade oder Gummibärchen auch, in Sichtweite hängt eine Pizzabestelldienst-Karte. "Ich weiß, dass man das nicht machen soll, aber ich esse auch am Schreibtisch und sehe dabei die Mailbox oder die Post durch", gesteht die Jugendarbeiterin. Ihre Arbeitsstätte ist umringt von Mitnahme-Imbisslokalen.

Zwei an den Computerbildschirm geheftete Textbotschaften erzählen davon, dass dieser Mensch sein Tun reflektieren will. "Wie groß sind die Erfolgsaussichten? Wie wichtig ist mir die Sache?" steht da auf einem Zettel. Das sei einmal als Selbstermahnung aus einer Supervisionssitzung hervorgegangen, sagt die katholische Theologin. "Ich kann nicht alles mit derselben kompletten Energie betreiben. Was Energie frisst und gibt, sollte sich die Waage halten."

Tägliches Scheitern am Ideal

Der längere Text stammt aus ihren Exerzitien, den Besinnungstagen des vergangenen Sommers, verfasst von einem ehemaligen Oberen des Jesuitenordens, der viel mit der Prüfung des eigenen Gewissens arbeitet. Der Appell: Finde einen Ort der Stille in deinem Herzen, wo Gott dich erreichen kann. Übertragen auf die Arbeit heißt das: erst nachspüren, dann entscheiden. Hellhörig zu sein für diesen "Anruf Gottes in einer Situation" – man müsse sich das als Ideal vorstellen, an dem man täglich nur scheitern könne, sagt sie lachend. "Ich versuche, offen zu bleiben, mich unterbrechen zu lassen und, wenn es angesagt ist, einen Plan über den Haufen zu werfen. Oder zum Beispiel eine bestimmte Mail doch nicht zu versenden."

Zumindest räumlich gelingt ihr das. Schwester Magdalenas Bürotür steht immer offen, außer bei persönlichen Gesprächen.

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