Wie eine Nürnbergerin versucht, Corona unschädlich zu machen
9.7.2020, 05:45 UhrDie Dachgeschosswohnung in zentraler Lage bietet zu zwei Seiten einen Blick über Nürnberg. Auf dem Balkon viel Grün. In den zahlreichen Bücherregalen Rollenspielregelwerke neben wissenschaftlichen Fachbüchern. Spätestens beim Blick auf den großen Esstisch wird klar: Hier leben Nerds.
Neben einer 3 D-Brille für die Playstation liegt ein N7-Aufnäher der Computerspielreihe "Mass Effect". Die N7 sind eine verschworene Spezialeinheit. Andrea Thorn würde gut zu dieser Truppe passen. Sie sagt Sätze wie: "Der Unterschied am Stachel des SARS-Virus und des neuen Coronavirus sind weniger als 50 Atome an der Spitze des Stachels, die aber die Infektion des neuen Virus ganz anders machen als die bekannte Infektion."
Thorn entwickelt Methoden für Strukturbiologie. Und ist damit eine von rund 1000 Personen auf der ganzen Welt, die nicht nur das chemische Know-how haben, eine Molekülstruktur zu isolieren. Sondern, die auch in Informatik so fit sind, die komplexen Berechnungen dazu in den Griff zu bekommen. "Der Coronavirus besteht, wie Zellen auch, aus Molekülen, die wiederum aus Atomen aufgebaut sind", erklärt Thorn. "Aber der Virus ist ziemlich klein und seine Moleküle sind zum größten Teil Proteine, also Eiweiße." SARSCoV-2 hat 28 solche Proteine. In den Virusdarstellungen, die man häufig sieht, sind das etwa die "Spikes", die Stacheln, die aus der Hülle herausragen.
All diesen Molekülen liegt eine Struktur zu Grunde
All diese Moleküle haben eine charakteristische, dreidimensionale Struktur. Erst, wenn die Wissenschaftler sie kennen, können sie ein Arzneimittel entwickeln, das die Funktion der Moleküle stört und das Virus damit unschädlich macht. "Wenn wir uns vorstellen, dass wir den Stachel blockieren können, dann könnte er nicht mehr an andere Wirtszellen andocken", sagt Thorn. Wenn der Virus aber erfolgreich in eine Zelle eindringt, kann er sich vervielfältigen und so noch mehr Zellen befallen. "Noch wissen wird allerdings erst bei 16 der Proteine wie sie strukturell aussehen."
Die 37-Jährige mit den langen braunen Haaren und den schalkhaft blitzenden braunen Augen weiß genau, dass es ein äußerst komplexer Stoff ist, den sie hier serviert. Wenn sie spricht, hört man ein klein wenig, dass sie es in ihrem Arbeitsalltag gewohnt ist, Sätze in Englisch zu formulieren.
Warum es so wichtig ist, die Form der Bausteine genau zu kennen? Thorn holt weit aus: "Nur so können wir den Virus verstehen. Arzneimittel binden im Optimalfall so passgenau wie ein Schlüssel in ein Schloss an den Virus – aber dafür müssen wir die Molekülstruktur auch sehr genau kennen."
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Die Bausteine sind aber so klein, dass sie die Wissenschaftler unter dem Mikroskop nicht sehen können. "Wir können die Strukturen also nur messen – und dann in einem zweiten Schritt ein molekulares Modell bauen, das zu den Daten passt", sagt die Expertin. "Wir müssen etwas nachempfinden, was wir nicht sehen können – da gibt es viel Raum für Fehler."Die sogenannte Daten-Modell- Passung für die großen Moleküle liege derzeit bei etwa 75 Prozent, schätzt Thorn. Selbst eine Steigerung der Genauigkeit um nur fünf Prozent macht bei 170 000 bekannten Molekülstrukturen einen großen Unterschied aus. Die "Schlüssel" passen dann präziser ins "Schloss".
Thorns Job als Strukturbiologin ist es deswegen auch eigentlich, die Messmethoden zu verbessern und vor allem auch eine Software zu schreiben, mit der die dreidimensionalen Modelle an die Daten angepasst werden können. Hier kommt die 3 D-Brille vom Esstisch wieder ins Spiel: Mit ihr versucht Thorn, die dreidimensionale Darstellung der komplizierten Strukturen am Computer zu verbessern.