Soziologin aus Schwanstetten erklärt Phänomen "Verschwörung"
16.5.2020, 06:00 Uhr"Gelesen, gestaunt, geliked" heißt der Netz-Dreiklang, dem zurzeit gerne nachgespürt wird: Da teilt die beste Freundin ein "kritisches" Statement auf Facebook und der Kneipen-Kumpel schickt ein YouTube-Video, um vor den Machenschaften der Regierung zu warnen. Es ist abenteuerlich, was da gerade auf vielen Kanälen und in den Straßen die Runde macht. Aber wie entstehen Verschwörungstheorien überhaupt? Und wie haben wir das Phänomen einzuordnen? Die Soziologin Dr. Claudia Globisch aus Schwanstetten weiß Antworten.
Frau Globisch, jetzt helfen Sie uns doch bitte mal auf die Sprünge: Ist die Corona-Pandemie ein von Eliten geplanter Schritt Richtung Diktatur, haben wir es mit der jüdischen Weltverschwörung zu tun oder ist Bill Gates an allem schuld?
Das sind natürlich Verschwörungsideologien, die sich zurzeit vor allem in den Sozialen Medien Ausdruck verschaffen. Im Netz, aber auch auf Demonstrationen sammeln sich seit einigen Wochen Menschen diffuser gesellschaftlicher Spektren – Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Holocaustleugner oder Mitglieder der AfD - die die Corona-Pandemie bösen Mächten zuschreiben und sich selber als deren Opfer begreifen. Ihre Leitfiguren – Leute wie Medienmacher Ken Jebsen oder Sänger Xavier Naidoo – sind ja nicht erst seit gestern für antisemitische und verschwörungstheoretische Aussagen bekannt ...
Und trotzdem scheint so manche Theorie in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein . . .
Rechtsextreme, autoritäre Einstellungen finden sich in den unterschiedlichsten Milieus wieder. Die "Mitte der Gesellschaft" bildet da keine Ausnahme. Durch Positionierung bestimmter Themen in den Sozialen Medien – nehmen wir mal das Beispiel "Corona und Impfen" – kommen jetzt auch Menschen, die nicht aus dem rechten Spektrum stammen, mit solchen Plattformen und den dort verbreiteten Thesen in Kontakt.
Was kennzeichnet denn überhaupt eine Verschwörungstheorie?
Ich würde lieber von Verschwörungsideologie oder -glauben sprechen. Im Zentrum steht die Vorstellung, dass die vorherrschende Realität eine Täuschung ist. Bloß wer besonders "wachsam" ist, durchschaut das und avanciert damit zum Träger von "Geheimwissen". Aber in Wahrheit wird die Wirklichkeit auf diese Weise nur in ihrer Komplexität reduziert. Sie ist von einem stereotypen Freund-Feind-Denken geprägt, soziale Prozesse werden subjektivisch statt funktional-relational gedeutet.
Das müssen Sie erklären...
Es bedeutet konkret, dass hinter allen gesellschaftlichen Entwicklungen mächtige Gruppen oder Einzelpersonen vermutet werden, die die Ereignisse steuern. Politische Verhältnisse werden nicht als Ergebnis sozioökonomischer Prozesse, sondern aus schicksalhaften und biologischen Zusammenhängen abgeleitet, mögliche Gegenbeweise kategorisch ausgeblendet. Trotzdem zeichnen sich Verschwörungsideologen gerne dadurch aus, dass sie irgendwelche, nicht weiter verifizierten oder aus dem Zusammenhang gerissenen Quellen zitieren, um ihrem Weltbild den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu geben.
Ganz naiv gefragt: Was bringt einem dieses Denken?
Wie gesagt: Durch die Benennung von "Sündenböcken", die für gesellschaftliche Prozesse verantwortlich gemacht werden, weil sie im Verborgenen angeblich die Fäden in der Hand halten, macht man sich die Sache einfacher: Komplizierte Sachverhalte erhalten eine schwarz-weiß-malerische Deutung und die Welt kann wieder ganz leicht in Gut und Böse eingeteilt werden.
Lassen Sie uns das Ganze mal auf Corona ummünzen ...
Krisen wie die aktuelle befördern das Verschwörungsdenken, weil Situationen der Angst und Unsicherheit gerne mit solchen Sündenbockzuschreibungen bewältigt werden. Das gilt vor allem für Menschen, die sich nach einem widerspruchsfreien Selbst und gemeinschaftlicher Identität sehnen. Verschwörungsideologien existieren aber auch außerhalb von Krisen. Juden mussten ja bekanntlich schon oft herhalten, wenn es darum ging, jemanden verantwortlich zu machen – für Brunnenvergiftungen, den Kommunismus, den Kapitalismus, die Französische Revolution …
Mal anders draufgeschaut: Ist es nicht auch begrüßenswert, wenn sich eine mündige Bürgerschaft skeptisch gegenüber dem Staat zeigt?
Klar, ist eine mündige, emanzipierte Bürgerschaft begrüßenswert! Verschwörungsideologien folgen aber mitnichten den Prinzipien der Aufklärung. Sie haben rein gar nichts mit Kritik im Sinne von Emanzipation zu tun. Im Gegenteil: Die Entgegensetzung von Elite und "Volk" oder die Verklärung kleinräumiger, vorstaatlicher Kollektive ist Teil populistischer und antisemitischer Weltbilder.
Was passiert da also gerade, wenn Protestanten auf "Hygiene-Demos" die Ausgangsbeschränkungen mit einem "sozialen Holocaust" gleichsetzen, wenn Davidsterne mit der Aufschrift "Ungeimpft" getragen werden, wenn Journalisten die "Wut des Widerstands" zu spüren kriegen?
Erstens sind solche historischen Vergleiche holocaustrelativierend, weil sie die Judenvernichtung mit den Ausgangsbeschränkungen gleichsetzen. Zweitens haben diese Proteste auch etwas mit einem regressiv-rebellischen Verhalten zu tun: Wer während einer Pandemie auf Demonstrationen geht, ohne Mundschutz zu tragen und die Abstandsregeln einzuhalten, gefährdet andere – vor allem weniger gesunde, also schwächere Menschen. Das ist sozialdarwinistisch-autoritäres Verhalten!
Trotzdem: Mehrheitlich scheint das Vertrauen ins Krisenmanagement der Regierung und in die Wissenschaft gestärkt worden zu sein. Wir warten noch auf aktuelle empirische Zahlen aus der derzeitigen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
In diesem Sinne: Sollte ich einem Verschwörungstheoretiker begegnen, wie setze ich dessen Thesen am besten außer Kraft? Tipp?
Der überzeugte Verschwörungsideologe ist relativ resistent gegenüber wissenschaftlichen Daten und ihrem Zustandekommen. Informationen, die seiner Wirklichkeit widersprechen, werden weggedrückt. Es geht ihm nicht um Reflexion und eine differenzierte Debatte, die – um bei Corona zu bleiben – Infektionsschutz, freiheitliche Grundrechte, soziale und ökonomische Folgen in Beziehung setzt. Dennoch ist es wichtig, sich mit der Entstehung von Verschwörungstheorien auseinanderzusetzen.
Für die Begegnung mit solchen Leuten im Netz rate ich dazu, auf die Widersprüchlichkeit der Argumentationen aufmerksam zu machen, die Qualität der angeführten Studien zu entkräften, die Expertisen der zitierten "Experten" infrage zu stellen, falsche Schlüsse aufzuzeigen und auf die antidemokratische Agenda hinzuweisen, um zumindest in den Diskurs einzugreifen.
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