Schmuckstück und Sorgenkind: Der Treuchtlinger Weinbergshof
5.3.2021, 06:04 UhrGemütlich im schnuckeligen Biergarten des historischen Weinbergshofs aus Treuchtlingen sitzen, Bierchen und Vesper genießen – und das rund 85 Kilometer von Treuchtlingen entfernt. Geht nicht? Geht doch. Im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim.
Aktuell ist dieses Szenario aber aus mehreren Gründen nicht möglich: Gaststätten und auch Biergärten müssen pandemiebedingt geschlossen bleiben, das Freilichtmuseum ebenso, und die ursprünglich 1586 erbaute "Schank- und Zapfenwirtschaft Weinbergshof" ist aufgrund von "kolossalen Schäden" wegen Schädlingen eine Großbaustelle.
Die mehr als 100 Gebäude und das 45 Hektar große Areal des Freilandmuseums des Bezirks Mittelfranken nimmt seine Besucher mit auf eine Zeitreise durch 700 Jahre fränkische Alltagsgeschichte. Der Weinbergshof, einst Bauernhaus mit Wirtschaft, ist eines von drei Wirtshäusern des Museums.
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Wie dessen Leiter Dr. Herbert May erzählt, wurde das Gebäude mit einer Grundfläche von 13 mal 13 Metern vor allem im 19. Jahrhundert umgebaut. Über der Tür stehen "Wirtschaft v. L. Gagsteiger" und die Jahreszahl 1898, die einen Besitzerwechsel markiert. Annähernd 400 Jahre nach der Erbauung wurde es im Freilandmuseum wiederaufgebaut und ist jetzt eines der Sorgenkinder.
Seit einem Jahr wird gewerkelt
Ernst Baßler zeigt auf einen Holzbalken unterhalb des Dachs des Weinbergshofs. "Vor allem der Hausbock hat dem Holz zugesetzt, wir mussten eine Begasung machen lassen und alles austauschen, was wir nicht mehr erhalten konnten – und das war leider sehr viel", erklärt der 55-jährige Leiter des Museums-Bauhofs. Seit gut einem Jahr wird an dem Haus nun schon gewerkelt. "Am Anfang denkt man, die Schäden sind überschaubar. Schaut man aber genauer hin, zeigen sich kolossale Schädlingsprobleme", erklärt Herbert May.
Fast alle Deckenbalken mussten erneuert werden, "Gott sei Dank gibt es kaum Schäden am Rofendach. Das wäre ein Supergau gewesen." So wurde das circa 50 Tonnen schwere Dach an unterschiedlichen Stellen angehoben, zerstörte Balken abgesägt, neue eingebaut und verschraubt, wie Baßler erklärt. Auch ein Statiker sei hinzugezogen worden, berichtet May. Das Gebäude sei laut dem früheren Museumsleiter Dr. Konrad Bedal zudem der "bisher älteste Beleg für das Legschieferdach im Treuchtlinger Raum".
Neben dem Weinbergshof gibt es aktuell eine weitere Restaurierung großen Ausmaßes im Bad Windsheimer Freilandmuseum: das Amtshaus aus Obernbreit. "Da steht das Gerüst schon seit 2019", sagt May. Insgesamt seien an rund einem Dutzend Häuser schwerwiegende Schadensbilder zu verzeichnen. Vor allem betroffen sei "die erste Aufbaugeneration".
"Unfassbar viel zu tun"
Zur Eröffnung 1982 standen auf dem Museumsgelände 14 Gebäude, wie May erklärt. Das Obernbreiter Haus, erbaut um 1554, soll sich aber bis Sommer wieder "mit seiner prallen Schönheit präsentieren können". Der Bauunterhalt insgesamt hat eine extrem hohe Bedeutung für das Freilichtmuseum. Mit der Synagoge aus Allersheim und dem Badhaus aus Wendelstein werden zwar auch zwei Gebäude gerade neu aufgebaut, man habe mit Restaurierungen aber "unfassbar viel zu tun", so May.
Doch das Museum lebt natürlich von den Gästen. Selbst 2020 kamen trotz zeitweiser Schließung und Einschränkungen noch rund 96 500 Besucher, in den Vorjahren waren es meist doppelt so viele. Wann Herbert May heuer die Tore wieder aufschließen darf, dazu hat er noch keinerlei Signal erhalten. "Wir stehen in den Startlöchern", sagt er. Am 6. März hätte Saisonbeginn sein sollen.
"Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass die Häuser noch zu bleiben und nur das Gelände offen wäre", meint Herbert May. "Wo ist der Unterschied, ob jemand über den Windsheimer Marktplatz spaziert oder über unser wunderbares, weitläufiges Gelände des Freilandmuseums?"
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