Wallenfels-Prozess: Grauenhafte Details zu Babyleichen
14.7.2016, 17:07 Uhr"Individuum Nummer 1" sagt Professor Stephan Seidl, habe mit der blauen Mülltüte, in der es verpackt war, 812 Gramm gewogen. Der Rechtsmediziner vom Erlanger Institut spricht von "Faulleichenkonservierung" : Dazu sei es gekommen, weil die kleinen Körper in Handtücher und Plastiktüten luft- und wasserdicht verpackt worden waren. Eine bakterielle Zersetzung der Leichname, schon allein aufgrund köpereigener Bakterien, erfolge trotzdem. Ein Vorgang, der jedoch zum Stillstand komme, weil die Bakterien am eigenen Stoffwechsel zugrunde gehen. Seidl spricht von "beißendem Ammoniakgeruch". Aufgrund der massiven bakteriellen Zersetzungsprozesse seien die Leichen in einem ähnlichen Zustand, es könne daher nichts über die unterschiedlichen Todeszeitpunkte gesagt werden.
In die nüchternen Worte der Wissenschaft gefasst, klingt der entsetzliche Fund dann so: An einem vollständig skelettierten Leichnam habe man beispielsweise noch Reste von Kopfbehaarung gefunden, ein "männliches Individuum" erklärt Seidl, die Länge der Oberarmknochen habe 5,8 Zentimeter betragen, die Länge des Oberschenkelknochens 6,4 Zentimeter. Daten, aus denen die Mediziner eine Körpergröße von 46 Zentimeter errechneten, das Neugeborene sei in der 35. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen. Ein weiteres Baby, ein "weibliches Individuum", wäre 49 Zentimeter groß gewesen; ebenfalls eine Größe, die den Rückschluss zulässt, dass das Neugeborene lebensfähig gewesen wäre.
Mit DNA-Untersuchungen wurde geklärt, ob es sich bei den Kindern um Mädchen oder Jungen gehandelt habe, dazu wurde mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent festgestellt, dass Andrea und Johann G. die Eltern der acht Babys waren.
Andrea G. ist angeklagt wegen vierfachen Mordes. Bei drei Säuglingen konnten die Rechtsmediziner nicht mehr feststellen, ob sie nach der Geburt tatsächlich gelebt haben und lebensfähig waren. Und eines der Kinder kam tot zur Welt.
Babyleichen, Zigarettenkippe, ein kariertes Hemd
Als die Polizei am 13. November 2015 die stillgelegte Sauna im Dachgeschoss des Hauses in Wallenfels durchsuchte, mussten die Beamten ihre Angaben über gefundene tote Kinder ständig nach oben korrigieren. Erst war von einem, dann von zweien die Rede, schließlich wurde eine weitere Kiste mit fünf Babyleichen entdeckt, am Ende holte die Spurensicherung acht Leichname aus dem Haus.
Verpackt waren die Körper, so Professor Seidl, in Handtüchern und Plastiktüten, zusammen mit Kosmetiktüchern und Damenbinden, dazwischen fand sich ein gekautes Kaugummi, einmal eine Zigarettenkippe, ein Damenslip und ein kariertes Hemd.
Aus den Mülltüten, der Zigarettenkippe und all dem anderen Zeug wurden damals Polizeispuren, und die Rechtsmedizin suchte all dies nach DNA-Spuren ab. Nicht immer wurden sie fündig, doch Andrea G. hatte ihren genetischen Fingerabdruck an den Mülltüten hinterlassen - doch keine einzige Spur belegt, dass Johann G. Kontakt mit den Leichen hatte.
"Sie hatte einen Kinderwunsch"
Am Sitzungstag am Donnerstag kamen der forensische Psychiater sowie eine Psychologin zu Wort. Andrea G. hat nach Aussage eines Psychiaters noch weitere Kinder haben wollen. "Sie hatte einen Kinderwunsch", sagte der Münchner Experte Cornelis Stadtland am Donnerstag im Prozess vor dem Landgericht Coburg. Ihr Mann aber wollte – so habe die Angeklagte es ihm erzählt – keine Kinder mehr. Das Verfahren gegen die Eltern der acht in Wallenfels gefundenen Babyleichen hatte am Dienstag begonnen. Die 45-Jährige hat vor Gericht eingeräumt, mehrere Säuglinge getötet zu haben.
Nach Angaben von Stadtland leidet die Mutter nicht an psychischen Krankheiten, auch sei sie nicht alkoholabhängig. Sie habe aber schwierige Beziehungen gehabt, wie der Psychiater sagte. "Das kann dazu führen, dass ein Mensch gestörter wirkt, als er ist." Nach den drei Kindern, die sie mit ihrem Noch-Ehemann bekommen habe und die am Leben sind, habe sie nicht verhütet und wurde wieder schwanger. "Ich wollte es ja eigentlich", sagte sie dem Sachverständigen zufolge. Sie habe auch ihrem Mann von den ersten drei und von der letzten ihrer acht weiteren Schwangerschaften erzählt. Er sei entweder laut geworden oder habe nicht reagiert. Sie habe gewusst, dass sie schwanger ist – habe die Schwangerschaften dann aber verdrängt.
Fahrlässige Tötung oder Beihilfe zum Mord?
Das Gericht hält es unterdessen für möglich, dass sich der Vater nur der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat. Darauf wies der Vorsitzende Richter Christoph Gillot am Donnerstag hin. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann Beihilfe zum Mord vor, die Mutter ist wegen vierfachen Mordes angeklagt. Der Psychologin Karoline Pöhlmann sagte, die Angeklagte habe sich nicht trennen wollen von den Babys und deshalb die Leichen im Wohnhaus versteckt. Die Expertin beschrieb die 45-Jährige als durchschnittlich intelligent, selbstbewusst und als Frau, die sich selbst als emotional stabil, belastbar und tatkräftig sehe. "Es gibt einen gewissen Widerspruch."
Denn zugleich sei sie wenig bereit, sich mit Problemen oder kritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. "Ich habe keine wirklichen Schuldgefühle wahrgenommen", sagte dazu Psychiater Stadtland, "aber auch keine Verharmlosung." Es gebe nicht einen Typ der Kindstötung schlechthin und auch nicht die Täterin schlechthin, sagte Pöhlmann. Es gebe aber Persönlichkeitszüge, die öfter vorkommen bei Frauen, die ihre Kinder töten: etwa eher introvertiert und passiv. Diese Eigenschaften nahm die Expertin auch bei der 45-Jährigen wahr. "Sie sagte, sie sei kein Mensch, der über Probleme rede", sagte Pöhlmann.
In ihrer Erklärung – via Anwalt – hatte die Mutter der acht Säuglinge von Wallenfels beschrieben, dass ihr Mann von ihr bei der ersten Schwangerschaft nach drei gemeinsamen Kindern eine Abtreibung verlangt habe. Das habe sie entsetzt – und sie habe nicht abgetrieben. Stattdessen habe sie die Schwangerschaft verdrängt und das Kind, überrascht von der Geburt, in ein Handtuch gewickelt und versteckt. Wie in den folgenden sieben Fällen auch.
Dieser Artikel wurde am 14. Juli um 17 Uhr aktualisiert