Wirbel um neues Gesetz in Bayern: Jetzt spricht die Polizei

25.4.2018, 15:18 Uhr
Rainer Nachtigall ist der bayerische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft.

© Foto: DPolG Rainer Nachtigall ist der bayerische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Herr Nachtigall, Sie haben die Debatte um das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz als "Wahlkampfgetöse" bezeichnet. Warum?

Rainer Nachtigall: Vor allem stellen die Kritiker des neuen Polizeiaufgabengesetzes die "drohende Gefahr" in den Vordergrund. Die "drohende Gefahr" ist aber schon im PAG enthalten, das seit 1. August 2017 gilt.

Die Kritiker haben also geschlafen und sind erst jetzt aufgewacht?

Nachtigall: Das müssen die bewerten. Wenn man meint, der Freistaat gerate durch die Einführung der Kategorie "drohende Gefahr" aus den Fugen, hätte man das schon im Sommer 2017 angehen müssen. Wenn man es erst heute macht, dann hat das für mich mit Wahlkampf zu tun.

Betreibt nicht auch die regierende CSU Wahlkampfgetöse, weil sie ein halbes Jahr vor der Landtagswahl mit dem PAG ihr sicherheitspolitisches Profil schärfen will?

Nachtigall: Die EU-Datenschutz-Grundverordnung muss bis Mai umgesetzt werden. Daher ergibt sich dieses Zeitfenster. Man hätte das PAG aber sicher auch losgelöst von der EU-Datenschutz-Grundverordnung mit ein paar Kompetenzerweiterungen novellieren können.

Von den Befürwortern des Gesetzes, auch von Ihnen, wird hervorgehoben, dass das Bundesverfassungsgericht das Institut der "drohenden Gefahr" bereits erfunden und damit sozusagen abgesegnet hätte. Allerdings ist beim Bundesverfassungsgericht ausschließlich in Zusammenhang mit Terrorismus von "drohender Gefahr" die Rede. Ist es okay, wenn Bayern keinen Unterschied mehr zwischen normaler Kriminalität und Terrorismus macht?

Nachtigall: Das Bundesverfassungsgericht hatte die Rechtmäßigkeit des Gesetzes über das Bundeskriminalamt zu würdigen. Bisher konnte die Polizei nur bei "konkreter Gefahr" tätig werden. Wir brauchen als Polizei auch die Möglichkeit, schon im Vorfeld der "konkreten Gefahr" wirken zu können. Da sind wir schon der Ansicht, dass es gut wäre, wenn wir dieses Instrumentarium hätten. Wir können dann Maßnahmen bei Leuten anwenden, die einen Gefährderstatus haben.

Und bei weniger gefährlichen Leuten?

Nachtigall: Zu behaupten, die "drohende Gefahr" würde jetzt auf alles ausgeweitet, so dass jeder Bürger Sorge haben müsste, geht zu weit. Seit August vergangenen Jahres kann schon bei "drohender Gefahr" gehandelt werden, und es ist nichts bekannt geworden, was die Freiheit der Bürger oder die Grundfesten des Staates in Frage gestellt hätte. Außerdem muss ja einem Richter vorgetragen werden, worin die "drohende Gefahr" besteht. Ich kann ja nicht jeden willkürlich von der Straße einsammeln.

Sie sprechen den Richtervorbehalt an. Aber haben Sie erlebt, dass ein Richter eine von der Polizei mit Fakten unterlegte beantragte Maßnahme ablehnt?

Nachtigall: Die Kollegen schildern mir immer wieder, dass entweder der Staatsanwalt oder der Richter dem nicht folgen. Es wird nicht alles durchgewunken.

Sie beklagen, die Diskussion werde auf dem Rücken der Polizeibeamten ausgetragen. Was heißt das konkret?

Nachtigall: Die Kollegen müssen sich durch Berichterstattung, Demonstrationen und die dadurch ausgelösten öffentlichen Wahrnehmungen oft von Bürgern anreden lassen. Normale Fragen beantworten die Kollegen gerne. Aber leider haben wir auch mit einer Klientel zu tun, die Kritik in einer entsprechenden Situation auch sehr provokativ herüberbringt. Wenn Parteien davon reden, dass die Polizei die Leute bespitzelt und der Überwachungsstaat droht, kriegen die Kollegen draußen das vorgehalten. Da kann es Probleme im Verhältnis Polizei und Bürger geben. Deshalb meine ich, dass gerade die Parteien etwas sachlicher agieren sollten.

Die Polizei darf nun schon bevor eine "konkrete Gefahr" besteht eingreifen.

Die Polizei darf nun schon bevor eine "konkrete Gefahr" besteht eingreifen. © Norbert Försterling/Archiv (dpa)

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