"Wir werden weitermachen"

Zehn Tage Präventivhaft: Klima-Kleberin erklärt, warum Sie wieder ins Gefängnis gehen würde

Tobi Lang

Redakteur

E-Mail zur Autorenseite

24.12.2022, 05:57 Uhr
Maja Winkelmann war auch an den Protesten an der A9 beteiligt, als sich Aktivisten an Schilderbrücken befestigten. Die 24-Jährige hat in Nürnberg studiert und kam Ende Februar zur "Letzten Generation". "Seitdem bin ich viel auf der Straße", sagt sie. 

© Lukas Schulz Maja Winkelmann war auch an den Protesten an der A9 beteiligt, als sich Aktivisten an Schilderbrücken befestigten. Die 24-Jährige hat in Nürnberg studiert und kam Ende Februar zur "Letzten Generation". "Seitdem bin ich viel auf der Straße", sagt sie. 

Frau Winkelmann, Sie waren nach Klebe-Protesten in Bayern zehn Tage in Präventivhaft und sind mittlerweile entlassen. Wie froh sind Sie, Weihnachten nicht im Gefängnis verbringen zu müssen?

Maja Winkelmann: Uns war bewusst, dass 30 Tage Haft möglich sind und wir haben uns vorher überlegt, ob wir dieses Risiko eingehen wollen. Natürlich bin ich froh, wieder frei zu sein. Es ist nie angenehm, in der eigenen Freiheit eingeschränkt zu werden. Aber jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir noch handeln können.

Wie viele Tage waren Sie in Haft und wie haben Sie die Zeit dort erlebt?

Wegen Corona war ich die ersten fünf Tage in Quarantäne, das heißt: Einzelzelle. Dort ist man 23 Stunden alleine und hat eine Stunde Hofgang mit den Aktivsten zusammen, die mit mir ins Gefängnis gekommen sind. Dort konnten wir uns austauschen. Den Rest habe ich in meiner Zelle verbracht, Bücher gelesen, Briefe geschrieben, Sport und Yoga gemacht. Und viel geschlafen. Nach fünf Tagen bin ich in eine Gruppenzelle mit den beiden anderen Aktivistinnen gekommen. Als die Quarantäne vorbei war, hatten wir auch zwei Stunden am Tag Aufschluss. Wir haben alle viel nachgedacht, uns gegenseitig Zeitungsartikel vorgelesen. Mir wurde hier ganz deutlich bewusst, was der Regierung unsere Zukunft scheinbar bedeutet.

Warum sich die Aktivisten kriminalisiert fühlen

Das heißt?

Mit jedem Tag, den wir im Gefängnis sitzen, eskaliert die eigentliche Gefahr - die Klimakrise - weiter. Wir demonstrieren für das Überleben der menschlichen Zivilisation, dafür, dass die Demokratie weiter bestehen kann. Gleichzeitig werden wir kriminalisiert und weggesperrt.

Trotz der Präventivhaft wollen Sie weiterdemonstrieren, auf die Gefahr hin, womöglich irgendwann dauerhaft ins Gefängnis zu gehen.

Die Wissenschaft sagt, dass das Zeitfenster, in dem wir handeln können, immer kleiner wird. Wir spüren die Auswirkungen nicht als Erste auf der Welt, in anderen Regionen tötet unser Kurs bereits jetzt. Aber auch hier hatten wir Extremwetterereignisse dieses Jahr. Wenn wir nicht alles tun, um irreversible Kipppunkte zu verhindern, ist es zu spät. Wir müssen jetzt die Regierung dazu bringen, den Klimanotfall als solchen anzuerkennen.

"Wir werden weitermachen"

Wie sind Äußerungen der Münchner Polizei zu bewerten, Klima-Kleber sollten die Einsätze künftig selbst bezahlen - schreckt das ab?

Das schreckt vielleicht wie alle anderen Maßnahmen erst einmal ab. Es ist unangenehm, das zu wissen. Das wird mich aber nicht davon abhalten, Protest zu leisten, mir geht es nicht um ein eigennütziges Ziel. Wir werden weitermachen. Die Konsequenzen und die Angst vor den Auswirkungen der Klimakrise, die wir erleben werden, ist weitaus größer als alle Repressalien des Staates.

Die Proteste werden seit Monaten unbequemer, radikaler, größer. Wirklich bewegt hat sich beim Klimaschutz aber nichts. Was machen Sie falsch?

Es hat sich schon einiges bewegt, gerade in der ersten Protestwelle, als die ersten Menschen ins Gefängnis gehen mussten. Viele Gruppen und Menschen haben sich solidarisiert. Und es gibt Gespräche mit verschiedenen Politikern, beispielsweise mit dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann. Ihnen wird bewusst, dass wir bereit sind, ins Gefängnis zu gehen - und schalten vielleicht in den Notfallmodus. Auch, wenn die konkreten Handlungen noch fehlen, sind wir auf einem guten Weg.

Adressat ist nicht nur die Regierung. Ist es womöglich so, dass Sie nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen erreichen? Es scheint, als würden Sie als vorwiegend junge Akademiker auch nur ein gebildetes Publikum ansprechen.

Unsere Blockaden richten sich nicht an die Autofahrenden, die im Stau stehen. Das ist das Mittel der Wahl, weil es in Deutschland am besten funktioniert, eine Autobahn zu blockieren - so kann man nicht ignoriert werden. Die Menschen, die sich auf die Straße setzen, kommen aus verschiedenen Verhältnissen, das sind Studierende, Mütter und Arbeitende aus allen Schichten. Wir versuchen, alle zu erreichen.

"Werden nicht zu Gewalt greifen"

Wie radikal darf und muss der Protest noch werden?

Unser Protest wird weitergehen und kreativ bleiben. Was radikal ist, darüber wird viel debattiert. Der UN-Generalsekretär sagt, dass nicht die KlimaaktivistInnen die Radikalen sind, sondern die Staaten, die fossile Energien ausbauen. Aber der Protest wird immer gewaltlos und friedlich bleiben.

Und da liegt auch Ihre persönliche Grenze?

Ja. Wir setzen uns für Freiheit und das Überleben ein. Da werden wir nicht zu Gewalt greifen.

Wie kommen wir aus der Spirale aus immer radikaleren Protesten heraus?

Wenn wir spüren, dass eine Protestform nicht wirkt, passen wir sie an. Im Frühjahr haben wir Pipelines zugedreht, das hat bei manchen Gruppen die nötige Aufmerksamkeit gebracht. Aber nicht bei allen, weil das irgendwo im Nirgendwo stattgefunden hat. Die Proteste und Petitionen davor hatten nicht die Wirkung, nicht die Aufmerksamkeit.

Auch an Klebe-Protesten beteiligte sich Winkelmann. 

Auch an Klebe-Protesten beteiligte sich Winkelmann.  © Nele Fischer

Was würde passieren, wenn sich die Bundesregierung auf ein Tempolimit von 100 und die Einführung eines Neun-Euro-Ticket einließe, was ja Ihren Forderungen entspräche - würden die Proteste erst einmal enden?

Sobald das erfüllt wird, werden wir unsere Proteste sofort unterbrechen. Dann, wenn die Regierung wirklich Maßnahmen ergreift.

Würde die "Letzte Generation" sich dann auflösen?

Wir würden schauen, ob das wieder nur leere Worte sind. Allen ist klar, dass das nicht reicht, die Klimakrise zu bekämpfen. Aber nach diesem ersten Schritt unterbrechen wir die Proteste.

Radikale Corona-Gegner haben ebenfalls mehr oder weniger niederschwellige Rechtsbrüche für Ihre Sache in Kauf zu genommen, obwohl Sie in der Minderheit waren. Was ist bei Ihren Protesten anders?

Wir handeln auf Basis von wissenschaftlichen Daten. Es ist klar erwiesen, dass die Regierung ihre eigene Verfassung bricht, wenn sie nichts tut. Alle wissen Bescheid, aber niemand handelt. Das ist eine existenzielle Krise, vor der die Menschheit so noch nie stand. Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, ist es für alles andere zu spät.

Welche Rolle spielen die Medien?

Sie berichten über die Protestform und ob das alles legitim ist, aber weniger über das Thema selbst. Wir müssen darüber diskutieren, was wir effektiv an Klimaschutz leisten können, damit wir nicht auf den Abgrund zurasen. Es steht in der Verantwortung der Medien, die Regierung kritisch zu hinterfragen.

Wie sind Sie zur "Letzten Generation" gekommen?

Ich habe Ende letzten Jahres einen Vortrag in Nürnberg gehört, da habe ich noch studiert. Als ich Ende Februar fertig war, habe ich mich entschlossen, mitzumachen. Seitdem bin ich viel auf der Straße, halte selbst Vorträge und gebe Aktionstrainings.

Wie finanziert man das?

Ich habe meinen Nebenjob gekündigt und im Herbst die Wohnung in Nürnberg aufgegeben. Die Proteste nehmen den Großteil meiner Zeit ein, da bleibt kaum noch Raum. Aber ich habe mich bewusst dafür entschieden. Meine Lebenshaltungskosten sind nicht hoch und können zum Teil von der "Letzten Generation" übernommen werden. Auch bei den Rechtskosten helfen Spendenaktionen, bisher musste ich aber noch keine größeren Summen bezahlen, das steht noch an.