Kästner neu verfilmt
"Fabian oder der Gang vor die Hunde": Eine Liebe in unheilvoller Zeit
5.8.2021, 09:41 UhrDass Erich Kästners 1931 unter dem Titel "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" erschienener Roman vor allem auch von einer großen Liebe handelt, mag in der Erinnerung fast in den Hintergrund gerückt sein. Vielmehr gilt das Buch, vom nationalsozialistischen "Völkischen Beobachter" damals als "gedruckter Dreck" diffamiert, als Kästners Warnung an die Zeitgenossen vor dem drohenden Abgrund und als Sittengemälde einer Welt, "die kein Talent zur Anständigkeit hat", so Fabian.
Dominik Graf erzählt in seiner Kästner-Verfilmung auch davon – vom moralischen Verfall der Gesellschaft –, rückt aber die Liebesgeschichte ins Zentrum. Sie ist der Fixpunkt für ein Zeitporträt, das sich oft ungeheuer aktuell anfühlt. Die Verzahnung von Vergangenheit und Gegenwart deutet Graf schon mit der fantastischen Eröffnungsszene an, wenn die Kamera im heutigen Berlin den Menschen in der U-Bahn-Station Heidelberger Platz folgt, die Stufen zum Ausgang hinaufgleitet und oben angelangt in die Welt vor 90 Jahren eintaucht. Ein Mann – Fabian – ringt nach Luft. Sein grausam entstelltes Gegenüber stammelt etwas von "diesem verdammten Krieg".
Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, Inflation, Arbeitslosigkeit und der heraufziehende braune Terror prägen 1931 den Alltag im "Irrenhaus" Berlin. Wer noch ein bisschen Geld hat, flüchtet sich nachts in die verruchten Etablissements, die bei Graf meilenweit entfernt sind von allem "Babylon Berlin"-Glamour.
Auch für Akademiker sind die Zeiten prekär: Der Germanist Fabian (perfekt besetzt: Tom Schilling zwischen Lässigkeit und Ernst), der sich als Werbetexter durchschlägt, verliert seinen Job just in dem Moment, in dem er sich verliebt. Cornelia (toll: Saskia Rosendahl), die über Filmrecht promoviert hat, arbeitet in einer Bar und träumt von einer Filmkarriere. Hinreißend zärtlich ist ihre Liebe, über der ein Hauch von Ewigkeit weht. Doch Cornelia will sich nicht von Gefühlen abhängig machen. Später macht sie sich doch abhängig – von einem Filmmogul, der ihr Geld und Ruhm verspricht.
"Im großen Buch der Liebe steht links geschrieben, wer wen zuerst verlässt", sagt Fabians Freund Stefan Labude (ebenfalls großartig: Albrecht Schuch) einmal. Der aus reichem Haus stammende Labude hat fünf Jahre an seiner Habilitation über Lessing gearbeitet. Anders als Fabian, der den Verfall der Moral als passiver Beobachter mit Ironie quittiert, will sein idealistischer Freund den Glauben an eine bessere Welt nicht aufgeben – und verzweifelt am Ende doppelt: An einer unglücklichen Liebe und am miesen "Scherz" eines Uni-Assistenten, der ihm aus Bosheit per Brief mitteilt, seine Habilitationsschrift sei abgelehnt worden. Das Gegenteil ist der Fall.
Für alle drei ist im Buch des Lebens ein tragisches Schicksal eingeschrieben. Doch Dominik Graf macht keine Tragödie aus seinem "Fabian". Immer wieder streut er ganz und gar zauberhafte Momente ein – zwischen dem Paar, zwischen den drei Protagonisten oder zwischen Fabian und seiner geliebten Mutter. Zugleich lotet er alle Möglichkeiten cineastischen Erzählens aus. Hellsichtige Off-Kommentare und Kästner-Zitate verbinden sich bruchlos mit den erfundenen Dialogen. Furiose Bildmontagen, der Wechsel der Filmformate, die Mischung von digitaler und grobkörniger Super-8-Ästhetik machen den Film zu einem fast rauschhaften Erlebnis.
Mit "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" ist Dominik Graf, zuletzt vor allem als "Tatort"- und "Polizeiruf"- Regisseur tätig, nach "Die geliebten Schwestern" wieder ganz großes Kino gelungen. (176 Min.)
In diesen Kinos läuft der Film.
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