TV-Dokumentation

Angela Merkel: Die Frau hinter dem Staatsamt

20.2.2022, 10:55 Uhr
Angela Merkel bei einem ihrer letzten Interviews im Amt als Bundeskanzlerin.

© MDR/BROADVIEW TV, NN Angela Merkel bei einem ihrer letzten Interviews im Amt als Bundeskanzlerin.

Es war eine denkwürdige Mathestunde: Die kleine Angela ohrfeigte einen Mitschüler, der sie geärgert hatte – sehr zur Freude ihres Lehrers und ihrer Mutter: „Da wussten wir, jetzt schafft sie es, sich durchzusetzen“, sagt Herlind Kasner, für die es bis zu diesem Zeitpunkt „schon ein Problem war“, dass sich ihre kleine, friedvolle Angela so schlecht wehren konnte. Durchsetzungskraft bewies die spätere Bundeskanzlerin fortan auch ohne zuzuhauen.

Aber was trieb sie an? Was zeichnet ihre Persönlichkeit aus? Wie ist die Frau hinter dem Amt? In seinem Dokumentarfilm „Angela Merkel – im Lauf der Zeit“ lässt Torsten Körner („Die Unbeugsamen“) dazu nicht nur Freunde und Familie zu Wort kommen, sondern auch Politiker und Journalisten, Sozialwissenschaftlerinnen, Historiker oder Migrationsforscherinnen – und Angela Merkel selbst im letzten großen Interview ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin.

Da räumt die vermeintlich Kühle auch gleich mal mit einem Irrglauben auf: Immer wieder war ihr vorgeworfen worden, zu sachlich, zu emotionslos aufzutreten. Physikerin halt. Ganz anders am 18. März 2020. Für ihre Verhältnisse ausgesprochen leidenschaftlich wendet sie sich wegen der Corona-Pandemie in einer Fernsehansprache ans Volk. Eindringlich appelliert sie zu solidarischem Handeln. Kalkül oder ein Ausrutscher?

„Ach, wäre sie nur emotionaler!“

Verzweifelt, so erzählt sie jetzt, war sie damals, dass viele Menschen nicht wahrhaben wollten, was mit dem Virus auf uns zukommt: „Das hat mich dann zu diesem emotionalen Auftritt geführt.“ Für sie aber eindeutig keine Methode mit Zukunft: „Ich muss sagen, dass die Wirksamkeit nicht besser war, als wenn ich sehr kühl und emotionslos gesprochen hätte. Also das, was immer gesagt wird – ,ach, wäre sie doch ein bisschen emotionaler, schon würden ihr alle folgen’ –, ist überhaupt nicht richtig.“

Da ist sie wieder, diese reflektierte, analytische, distanzierte Ruhebewahrerin, die Freunde wie der Schauspieler Ulrich Matthes im Privatleben deutlich impulsiver, warmherziger, lustiger und mit einer großen Portion Selbstironie erleben. Manchmal blitzt ihr lakonischer Humor aber doch hervor in den Szenen, die Körner mit sicherer Hand ausgewählt hat.

Das Besondere an seinem wohlwollenden Film: Er ist kein pflichtschuldiges Herunterbeten von biografischen Stationen. Körner nimmt sich Zeit für den Menschen, der natürlich nicht zu trennen ist vom politischen Amt. Und für grundlegende Fragen: Welche Werte leiten Angela Merkel? Wie denkt sie heute über die Flüchtlingssituation von 2015? Wie über die Griechenlandkrise? War sie für das Land Stabilitätsgarantin oder verantwortlich für Stagnation, was Kritiker wie die Klimaschutzaktivistin Luise Neubauer so sehen.

Obama über die Freundin

Körner förderte aus den TV-Archiven Perlen wie Merkels Auftritte bei Friedrich Küppersbusch oder bei Joachim Gauck zutage, aus Zeiten, als der spätere Bundespräsident noch eine Talkshow moderierte. Erhellend schneidet Körner alte Aufnahmen aus Merkels Karriere gegen neue, lässt Theresa May, Ex-Premierministerin Großbritanniens, über Emotionen in der Politik ebenso zu Wort kommen wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde über „die Unbeirrte“ und Barack Obama über Merkels „Leitstern“.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münker erklärt, dass der Aufstieg einer Frau aus dem Osten in der deutschen Politik für viele Männer eine „narzisstische Kränkung“ war. Kränkungen hat auch Merkel gerade am Beginn ihrer Laufbahn erlebt.

Sie sei, so erinnert sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, von manchen Männern „mit unfassbarer Rücksichtslosigkeit und Verächtlichkeit“ angegangen worden: „Ich weiß, dass sie das innerlich natürlich tief betroffen gemacht hat. Aber sie wusste wahrscheinlich damals auch schon, wie wichtig es ist, da strategische Geduld zu haben.“ Heulen oder Kleinbeigeben? Keine Option für Merkel, wie sie in der Talkshow von Alfred Biolek sagt.

Körner unterteilt seinen Film in neun Kapitel wie „Kindheitsmuster“, „Sie kennen mich“ oder „Drei Tage im September“. Natürlich fehlt auch vieles in dieser Annäherung an Angela Merkel – ihre Leidenschaft für Musik zum Beispiel oder ihre Russland- und Chinapolitik. Aber es ist ein sehr sehenswertes, sehr persönliches Porträt der Altkanzlerin.

„Angela Merkel – im Lauf der Zeit“; am 22.2. um 20.15 Uhr auf Arte, am 27.2. um 21.45 Uhr im Ersten, jeweils zwei Tage vorab in den Mediatheken.

Keine Kommentare