Neue Mode
Frei von Barrieren: Coole Mode für Menschen im Rollstuhl
17.12.2021, 10:40 UhrAllein in Deutschland leben 7,9 Millionen Menschen mit Behinderung; weltweit sind es rund eine Milliarde – die einzige Minderheit, zu der jede und jeder potenziell irgendwann einmal dazugehören könnte. Nach wie vor müssen sich aber Behinderte entweder mit Kleidung abfinden, die nicht richtig sitzt, oder viel Geld für Maßanfertigungen ausgeben, weil sich die Modefirmen mit ihren Kollektionen am "Norm-Menschen" orientieren.
Doch auch dank eines österreichischen Labels namens "MOB" tut sich was in Sachen modischer Barrierefreiheit. Die Kleidung, die Josefine Thom zusammen mit drei Designern entwirft, eignet sich sowohl für behinderte als auch für nicht behinderte Menschen. Dafür braucht es einen eigenen Schnitt. Denn die Probleme, die Kleider von der Stange mit sich bringen, kennt die 33-Jährige aus ihrer Zeit in Pflegeberufen: Aus einer Kleinstadt nahe Halle an der Saale kommend, begann sie 2006 eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin an der Uni-Klinik Erlangen, studierte ein Jahr später Soziale Arbeit an der Evangelischen Fachhochschule in Nürnberg und zog für den Masterstudiengang nach Wien um. Was sie noch mehr geprägt hat: Sie hat eine mehrfach gehandicapte ältere Schwester – Nadja.
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Daher weiß Thom, dass gängig geschnittene Hosen und Oberteile im Sitzen verrutschen und dass Smartphone oder Portemonnaie aus den seitlichen Hosentaschen allzu leicht herausgleiten, wenn man im Rollstuhl sitzt. Auch seien die Hosen hinten zu kurz und die Oberteile vorne zu lang. Eine ausgeprägte oder falsch platzierte Hosennaht beispielsweise verursacht bei einem Rollstuhlfahrer leicht Druckstellen speziell am Gesäß, die zu offenen Wunden führen können – mit fatalen Folgen. In gelähmten Körperregionen heilen selbst kleine Verletzungen nur schwer. Betroffene müssen dann unter Umständen während des Heilungsprozesses über Monate auf dem Bauch liegen.
Hosentaschen auf den Oberschenkeln
Auf der Suche nach adaptiver Mode, die ihr gefällt, habe Nadja feststellen müssen, dass nur wenige große Firmen wie Nike und Tommy Hilfiger diese im Angebot haben. "Das ist eine viel zu geringe Auswahl und einfach ungerecht", ärgert sich Josephine Thom. Aus diesem Frust heraus wechselte sie in die Modebranche und gründete ihr eigenes Unternehmen. Dort entsteht Mode, die jungen Leuten Spaß macht, weil sie gut aussieht und ihren individuellen Einschränkungen diskret gerecht wird: MOB – Mode ohne Barrieren.
Beispiele: Damit die Hose im Sitzen nicht verrutscht, ist sie im Rücken länger geschnitten. Die Hosentaschen befinden sich auf den Oberschenkeln. So lässt sich einfach hineinfassen, und es kann nichts mehr herausfallen. Das weite Hosenbein macht es leicht, mit Fußprothese einzusteigen. Und das Beste: Die Hosen sehen auch an Leuten ohne Handicap gut aus. Die Oberteile wiederum sind vorne kürzer und hinten länger, damit sie sich weder vorne bauschen noch hinten hochrutschen.
Nicht nur an die Passform denkt man bei MOB, sondern auch an die Funktion. Die Modelle haben medizinisch unbedenklich zu sein und sollen den behinderten Trägerinnen und Trägern selbst sowie der Assistenz ein schnelles und gesundheitsschonendes An- und Auskleiden ermöglichen. Dazu dienen dehnbare Stoffe, Magnetknöpfe, Klettverschlüsse, besondere Reißverschlüsse, spezielle Öffnungsmöglichkeiten und weitere kleine Details.
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Thom ist der direkte Austausch mit behinderten Menschen wichtig. "Woher sollen die Designer sonst wissen, worum es wirklich geht?", sagt sie. Models mit unterschiedlichen Einschränkungen testen die Entwürfe und geben ihr Urteil ab. So lernen die Designer stets dazu.
Mode sei stets auch politisch, findet Thom. Daher appelliert sie: "Kauft Slow Fashion statt Fast Fashion, unterstützt lokale Geschäfte statt Marktriesen, achtet auf faire Produktion." Die von MOB für behinderte und nicht behinderte Menschen kreierte junge Mode wird in Österreich hergestellt. "Umweltschonend und unter fairen Bedingungen", betont die Firmenchefin.
Gefördert wurde das im Jahr 2019 gegründete Start-up durch die Stadt Wien. Seit Kurzem ist die neue Kollektion im Online-Shop erhältlich. Die Kunden können sich ein Muster bestellen, das dann individuell an ihre Bedürfnisse angepasst wird. Die Kosten für Fuß- und Schlupfsäcke übernehmen im Allgemeinen die Krankenkassen.
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