Erstes Konzert nach dem Lockdown

Fünf Gründe, die Live-Auftritte von Joana Mallwitz so besonders machen

26.6.2021, 08:48 Uhr
Musikalische Energie, die sich auf der Basis von Präzision entfalten kann: Nürnbergs GMD Joana Mallwitz in Aktion.

© Lutz Edelhoff Musikalische Energie, die sich auf der Basis von Präzision entfalten kann: Nürnbergs GMD Joana Mallwitz in Aktion.

1. Charisma

Es ist dieses spezielle Charisma, das Spitzendirigenten haben: Wenn Joana Mallwitz wie jetzt am Freitag das Podium der Meistersingerhalle betritt, fokussiert sich sofort die Aufmerksamkeit auf sie. Nicht nur die der Musikerinnen und Musiker der Staatsphilharmonie Nürnberg, die endlich wieder in respektabler orchestraler Stärke auftraten, um Beethovens 6. und 7. Sinfonie zu spielen.

Auch im Publikum scheint sich sogleich eine konzentrierte Aufmerksamkeit einzustellen. Die beste Voraussetzung für ein herausragendes Musikereignis.

2. Alte Formen werden mit zeitgemäßen Emotionen gefüllt

Beethovens 6. Sinfonie ist fast 200 Jahre alt, das idyllisch-archaische Landleben, das der Komponist bei seinen Ausflügen in die Umgebung Wiens in Musik gegossen hat, gibt es in dieser Form nicht mehr. Aber das Gefühl, dass die Natur eine Zuflucht sein kann, wie es viele Menschen während des Lockdowns erlebt haben.


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Die Nürnberger Generalmusikdirektorin erwähnt genau das in einem kurzen Gruß ans Publikum während der Umbaupause zwischen den beiden Sinfonien.

Joana Mallwitz hat die Instrumentengruppen ihres Orchesters genau im Blick.

Joana Mallwitz hat die Instrumentengruppen ihres Orchesters genau im Blick. © Simon Pauly

Mallwitz und ihr Orchester schaffen es, die vielen musikalischen, auch idyllisch lautmalerischen Motive der Hirtenromantik, die der Sinfonie ihren Beinamen „Pastorale“ gegeben haben, mit emotionaler Energie aufzufüllen, die sich Menschen der Gegenwart erschließt.


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Ob das nun die sehnsuchtsvoll weichen Holzbläser im Kopfsatz sind, die Seufzermotive des Andante, in der Erschöpfung und Sehnsucht nach Entspannung mitschwingen. Oder die polternd-ausgelassene Fröhlichkeit des Scherzo. Und die donnernde Energie des Gewitters schlägt mühelos den Bogen zu überhitzten Sommern von heute.

3. Kluger Spannungsaufbau

In der 6. Sinfonie gestaltet Joana Mallwitz die zahlreichen Übergänge in den musikalischen Stimmungsbildern transparent und spannungsreich, balanciert den Klang zwischen den Instrumentengruppen wie zum Beispiel Holzbläsern und 1. Geigen gekonnt aus.

Joana  Mallwitz machte in der Meistersingerhalle Beethovens 7. Sinfonie zu einem Fest des Tanzes.

Joana  Mallwitz machte in der Meistersingerhalle Beethovens 7. Sinfonie zu einem Fest des Tanzes. © Simon Pauly

Genauso überzeugend gelingt es ihr in der 7. Sinfonie, die Kräfte, in denen sich die tänzerische Energie dieses Werks verbirgt, zu bündeln und dann mit Wucht und Verve zu entfesseln. Etwa im fröhlich befreiten, melodisch mitreißenden Motiv des Kopfsatzes. Umso kontrastreicher wirkt der feierliche, höfisch schreitende Charakter des Allegrettos.

4. Mitreißende Dynamik

Gerade im Presto und im abschließenden Allegro con brio der 7. Sinfonie lässt Mallwitz dem tänzerischen Übermut der Musik nicht nur freien Lauf, sondern befeuert ihr Orchester gewissermaßen noch. Sie gibt den Musikern den Raum und die nötige Energie, sich in einen wahren Temporausch hineinzusteigern.

Endlich wieder live vor Publikum: Nürnbergs GMD Joana Mallwitz.

Endlich wieder live vor Publikum: Nürnbergs GMD Joana Mallwitz.

5. Freiheit auf der Basis von Präzision

Beeindruckend dabei ist, dass solch ein Höchstmaß an musikalischer Leidenschaft und Dynamik bei diesem Auftritt nicht auf Kosten der Präzision geht.

Damit beherrscht Mallwitz die Kunst vieler Spitzendirigentinnen und -dirigenten: Auf der Basis handwerklicher Genauigkeit und klar geformter Strukturen kann sich im Moment des Konzerts spielerischer Freiraum entfalten.

Beethoven klang hier befreit und freudig. Diese scheinbare Leichtigkeit ist schwer herzustellen und der eigentliche Kern dirigentischer Kunst.

Am Ende gab es viel Applaus. Auch Joana Mallwitz bedankte sich bei den Musikerinnen und Musikern der Staatsphilharmonie Nürnberg.

Am Ende gab es viel Applaus. Auch Joana Mallwitz bedankte sich bei den Musikerinnen und Musikern der Staatsphilharmonie Nürnberg. © G?nter Distler

Diese verfehlt ihre Wirkung aufs Publikum nicht. Begeisterter Beifall und Ovationen für Joana Mallwitz und ihr Orchester.


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Auch das ist ein angenehmer Kontrast zu Joana Mallwitz' beliebten, in den letzten Monaten für den Stream gestalteten Expeditionskonzerten dieser beiden Sinfonien: Dirigentin und Musikerinnen und Musiker bekommen endlich wieder den Applaus, den sie verdienen. So kann es weitergehen, so geht es hoffentlich auch weiter.

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