Nürnberger Dirigentin: Wie Corona die Arbeit von Joana Mallwitz umkrempelt
24.11.2020, 17:39 UhrWas war das für eine Aufbruchstimmung, die Joana Mallwitz mit nach Nürnberg brachte, als sie im Sommer 2018 ihr Amt als Generalmusikdirektorin antrat. Die erste Frau auf diesem Posten, zuvor die jüngste GMD Deutschlands in Erfurt! Seit Christian Thielemann im Jahr 1988 dieses Amt übernommen hatte, gab es keinen hoffnungsvolleren Jungdirigenten mehr in Nürnberg.
Und anders als bei Thielemann folgte nicht rasch Knatsch, sondern es flatterten Schmetterlinge im Bauch wie in den Flitterwochen. Gerade erst 32 Jahre alt, fand Joana Mallwitz den direkten Weg zu den Herzen der Nürnberger: Standing Ovations in der Meistersingerhalle gleich beim ersten Philharmonischen Konzert.
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Ähnliche Begeisterung löste ihr erstes Expeditionskonzert aus, bei dem sie im Opernhaus das Publikum tief in die Geheimnisse einer Komposition, Beethovens 7. Sinfonie, hineinführte. Sie selbst war Moderatorin und Erklärerin am Flügel.
Aus dem Orchester hörte man ebenfalls begeisterte Töne. Ihrem Beruf habe sich nun noch einmal eine ganz neue Sinndimension erschlossen, sagte zum Beispiel die Harfenistin Lilo Kraus. Großen Anklang lösten auch Mallwitz’ Operndirigate aus. Zum Einstand Prokofjews eher unbekanntes Mammutwerk "Krieg und Frieden" – erst recht Richard Wagners "Lohengrin".
Analytische Klarheit bei gleichzeitiger emotionaler Durchdringung der Musik – so lassen sich ihre Qualitäten als Dirigentin umschreiben. Kapellmeisterliche Genauigkeit kombiniert mit der Fähigkeit, während der Aufführung die Thermik des Moments zu spüren und den Klang abheben zu lassen.
Von dieser Thermik bekam rasch die überregionale Musikszene Wind, kurze Porträts im öffentlich-rechtlichen Fernsehen folgten, die Anfragen für Gastspiele der schon zu Erfurter Zeiten erste internationale Aktivitäten entfaltenden Mallwitz häuften sich. Dann folgte 2019 der Knaller: Von der Opernwelt, der führenden Fachzeitschrift im Opernbereich, wurde Joana Mallwitz zur "Dirigentin des Jahres" gekürt.
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So gab es noch mehr Jubel beim Philharmonischen Konzert am Tag nach der Verkündung des Preises. Spätestens da war klar: Mallwitz’ Nürnberger Jahre würden zu einem einzigen Höhenflug werden. Die Bekanntgabe der Salzburger Festspiele, sie als erste Frau im Sommer 2020 mit einer kompletten Opernserie von Mozarts "Zauberflöte" zu betrauen, schürte zugleich fränkische Ängste, dass man eine so erfolgreiche Dirigentin nicht über das Vertragsende im Jahr 2023 hinaus würde halten können.
Doch an so etwas wollte man eigentlich nicht denken, sondern schwelgte lieber in Träumen. Es war ein bisschen so, als würde der neue Nürnberger Konzertsaal, dessen Bau der Stadtrat Ende 2015 beschlossen hatte und dessen Planung bedächtig, aber zuverlässig voranzuschreiten schien, schon existieren, so herrlich klang die Staatsphilharmonie unter Mallwitz. Und als wäre das Opernhaus auch schon saniert, dieses unheimlich wirkende Mammutprojekt, bis zu dessen Vollendung wohl noch ein Jahrzehnt vergehen würde.
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In der Realität lassen sich diese unterschiedlichen Zeithorizonte nicht zur Deckung bringen, wohl aber in der Fantasie. Eindrucksvoll verdeutlicht das die Macht der Euphorie und das Ausmaß der gefühlten Veränderung, die Joana Mallwitz innerhalb eines Jahres in Nürnberg bewirkt hat. Doch dann kam Corona. Der erste von der Regierung verordnete Lockdown im März dieses Jahres, die Einstellung des Spielbetriebs am Staatstheater löste auch Mallwitz’ aktuelle Konzert- und Opernpläne binnen kürzester Zeit in Luft auf.
Wenn sie nun in ihrem GMD-Büro im fünften Stock des Opernhauses über ihre Arbeit der letzten neun Monate reflektiert, sagt sie, ihre Tätigkeit habe sich seit Corona grundlegend gewandelt. Vorwiegend Managerin sei sie jetzt, einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitszeit verwende sie nun für Planungen – und zwar doppelte und dreifache.
Da sich seit dem ersten Wiederaufleben der musikalischen Aktivitäten im Sommer und dem Beginn der neuen Spielzeit im September die Corona-Vorgaben ständig änderten, müssten unterschiedliche Szenarien entworfen werden. "Und das ist aufwändig, weil bei jeder Produktion Vorgaben wie Abstände oder Hygienekonzepte neu zu planen sind."
Die Anstrengungen lohnten sich, die Spielzeit lief an – im kleiner dimensionierten Rahmen mit 200 Zuschauern im Opernhaus und 500 in der Meistersingerhalle. Die Beschränkung der Besucherzahl auf 50 bei einer Inzidenz von über 100 und kurz darauf den zweiten Lockdown habe man am Staatstheater als umso schwereren Rückschlag empfunden, weil man bereits viele Ideen und Konzepte entwickelt hatte, um mit der Corona-Situation umzugehen. Wobei Mallwitz betont: "Wir können uns nicht anmaßen zu beurteilen, ob die neuen Schutzmaßnahmen sinnvoll sind oder nicht. Das müssen andere bestimmen."
Doch ein Faktum bleibt, es ist die gleiche Erfahrung, die Mallwitz schon im ersten Lockdown gemacht hat: "Als Dirigentin bin ich seitdem stumm. Ein Dirigent hat keinen anderen Kanal, sich auszudrücken, als das Dirigieren." Und sie unterstreicht das Paradoxe der Situation: "Das, was ich eigentlich tue, wofür ich stehe und worin ich gut bin, das kann ich gerade nur sehr eingeschränkt tun."
Eine Art Phantomschmerz spürt Mallwitz trotzdem nicht, sinniert nicht über entgangene Gastspiele. Zumal sie die rare Chance hatte, im aus heutiger Perspektive sehr glücklich gewählten Zeitfenster der Salzburger Festspiele im August dort eine zwar Corona-verschlankte, aber immer noch veritable Opernproduktion dirigieren zu dürfen: Mozarts "Così fan tutte".
Anderen Gelegenheiten trauert sie nicht nach: "In einer solchen Krise gilt meine ausschließliche Energie und mein gesamter Einsatz erst recht dem Staatstheater Nürnberg." Es gehe darum, die Staatsphilharmonie Nürnberg zusammenzuhalten. Das ist nicht so einfach, wie es klingt, denn die über 100 Musikerinnen und Musiker durften sich seit März nicht mehr im Kollektiv begegnen. Also gilt es, oft per Mail, per Stream oder per Videobotschaften zu kommunizieren, um alle im Orchester auf dem gleichen Informationsstand zu halten, um Perspektiven zu geben.
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Das ist ein Stück Sisyphosarbeit, davon fühlt sich Mallwitz gestresst, weil sie diese Dinge nicht so gut könne, wie ihr Kerngeschäft, das Dirigieren. "Aber alle müssen gerade Dinge lösen, mit denen sie vorher keine Erfahrung hatten, und Mehrarbeit leisten."
Selbst in den Probensaal dürfe momentan nicht einmal die Hälfte des Orchesters. Und wenn Mallwitz ab Dezember verstärkt große sinfonische Werke proben will, um die Musiker im Training zu halten, könne sie das nur mit getrennten Streichern oder Bläsern tun. Sie betont: "Wenn bei Mahler die Pauke 30 Meter weit weg sitzen muss, dann lässt sich so eine Sinfonie nicht mehr koordinieren." Sie ist illusionslos: "Sinfoniekonzert und Oper bedeuten: viele Menschen auf engstem Raum. Das funktioniert nur so." Und das werde erst wieder nach einer Pandemie möglich sein.
Doch an ein "Weiter so" nach Corona glaubt Mallwitz nicht. "Wir sehen schon jetzt, dass viele Projekte im Kulturbetrieb bis weit in die Zukunft verschoben werden müssen oder ganz wegfallen, weil Veranstalter und Künstler an dieser Durststrecke kapitulieren. Deshalb dürfen wir nicht vergessen, wie überproportional hart die Soloselbständigen von dieser Situation getroffen sind. Viele haben seit dem 21. März kein Einkommen generieren dürfen. Nichts."
Wichtig wäre es, außer konkreter Förderung für die Betroffenen, die Diskussion über Kultur in Deutschland zu ändern. "Kultur wird oft als ein Anhängsel der Freizeit betrachtet. Doch das ist sie nicht. Ein erster Schritt ist immerhin, dass dies im neusten Beschluss zum Infektionsschutzgesetz geändert wurde. Kultur ist auch Bildung, keine Dekoration."
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Sobald die Pandemieregeln es wieder erlauben, will sie deshalb die musikalischen Angebote für Kinder und Jugendliche weit in den Vordergrund rücken: "Wir verlieren sonst eine ganze Generation." Angesichts solcher Gefahren am Horizont ist Mallwitz mehr als irritiert, ja verärgert über die jüngsten Signale der Nürnberger Kulturpolitik.
Nach dem Scheitern der Kulturhauptstadtbewerbung nun das Aus für den seit langem geplanten Konzertsaalneubau zu verkünden, hält sie für einen schweren Fehler. Selbst als GMD sei sie von OB Marcus König nur kurz vorher über diese "erschreckend schnell" getroffene Entscheidung informiert worden. Nun befürchtet sie eine Abwärtsspirale für die Nürnberger Kultur, wenn nicht rasch aktiv andere Großprojekte wie die Opernhaussanierung vorangetrieben werden.
Ob sie aus einem von der Kulturpolitik gerissenen Loch den Stein ebenfalls mit hochrollen würde, lässt Mallwitz im Moment offen. Über eine Vertragsverlängerung habe sie noch nicht entschieden, da könnten solche Aspekte eine Rolle spielen. Von der Thermik der musikalischen Euphorie, die Joana Mallwitz mit nach Nürnberg gebracht hat, ist in diesem kalten Corona-Winter gerade nicht mehr viel zu spüren.
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