Kolumne

Nicht selbstverständlich! Ein Dankeschön an den besten Schaffner der Welt

3.9.2021, 12:34 Uhr
Mützenträger unseres Vertrauens: In den Zügen sind die Schaffner das Gesicht der Bahn. 

© Foto: Carsten Koall/dpa; Grafik: Ralph Meidl; Montage: Sabine Schmid Mützenträger unseres Vertrauens: In den Zügen sind die Schaffner das Gesicht der Bahn. 

Lieber Herr Lieblingsschaffner,

mir fällt es immer noch schwer, Sie "Zugbegleiter" zu nennen oder gar "Kundenbetreuer im Nahverkehr". Wer denkt sich so was aus? Wissen Ihre Chefs bei der Bahn nur dann, was Sie arbeiten, wenn sich das in Ihrer Berufsbezeichnung ausdrückt?

In meiner Wahrnehmung ist ein Zugbegleiter ein oft passives Wesen, das sich zwischen zwei Stopps im Lokführerstand aufhält oder in der ersten Klasse hockt und in sein Handy starrt. Ich weiß, wovon ich spreche, ich beobachte das seit 20 Jahren. Ein nachvollziehbarer Grund für dieses Verhalten mag sein, dass sich Angriffe auf Bahnbedienstete häufen. 2020 wurden über 2000 solcher Fälle registriert. Dennoch gibt es sie noch, die echten Schaffner, die von Abteil zu Abteil gehen und den Zug mit sympathischer Autorität fluten. Wie Sie.

Unsere Wege kreuzen sich leider nur ein paar Mal pro Jahr, in Homeoffice-Zeiten noch seltener. Sie fahren selbstverständlich auch noch andere Strecken als meine, und ich bin seit März 2020 fast gar nicht mehr gependelt. Neulich aber war sie wieder da, Ihre Stimme! Eindeutig bayerisch, ein bühnentauglicher Bariton, darin eingebettet etwas gänzlich Unbeamtisches, das fast allen Passagieren ein Lächeln ins Gesicht zaubert. "Na, foar mer heit alle widder schwarz? Die Farkarten bitteee!" Man hört Sie immer, bevor man Sie sieht.
Und dann, lieber Lieblingsschaffner, stehen Sie vor einem, raumhoch, respekteinflößend und dabei über dem gezwirbelten Schnurrbart so unverbraucht freundlich dreinblickend, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie Sie selbst mit dem übelsten Fahrgast Stress haben könnten. Echt beeindruckend! Ich habe Sie tatsächlich noch nie mürrisch erlebt.

Dienstleistungen sind der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig in Deutschland. Zwei Drittel aller Beschäftigten bei uns arbeiten mehr oder weniger direkt am Kunden: Paketboten, Friseure, Fußpfleger, Taxi-Fahrer, Feuerwehrmänner ... Ich will heute für die Lichtgestalten unter ihnen eine Lanze brechen: für die Bäckereifachverkäuferin, die für 1800 Euro brutto im Monat auch dem tausendsten Kunden noch glaubwürdig einen schönen Tag wünscht; für die Supermarktkassiererin, die locker bleibt, obwohl der Laden brummt; für den Eisverkäufer, der von seinen Stammkunden die Lieblingssorte kennt.

Lieber Herr Schaffner, ich habe früher selbst an der Tankstelle gejobbt und in einer Kneipe bedient, ich habe Touristen betreut und immer wieder merkwürdigstes Verhalten erduldet. Mir ist daher sehr bewusst, was Sie und viele andere dienstbare Geister oft leisten. Wenn ich könnte, würde ich Sie zum Ritter schlagen. Was ich aber zumindest tun kann, ist: zurücklächeln.

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