Kolumne

Sommermärchen: Wer will schon in den Ferien nachsitzen?

14.7.2021, 14:16 Uhr
"Ey Digga, gehst du Mathe?" Kultusminister Michael Piazolo.  

© SVEN HOPPE, NN "Ey Digga, gehst du Mathe?" Kultusminister Michael Piazolo.  

Lieber Michael Piazolo,

ich schreibe Ihnen als ehemals untermotivierter Schüler und zuletzt überforderter Aushilfslehrer, als Hamster im Laufrad des Lebens, als ganz normaler Bürger. Es geht natürlich um: Schule. Darum, wie wir jetzt weitermachen nach dem Home-Schooling-Kuddelmuddel der digitalen Supermacht Bayern.

Bislang lese und höre ich: Dass wir noch mehr interaktive Whiteboards brauchen –, um sie am Ende womöglich mit Filzstiften zu beschreiben. Dass wir noch mehr Lehrer einstellen –, von denen die besten früher oder später an der Schulbürokratie verzweifeln. Und dass Kinder, die ein Jahr lang besonders viel Stoff versäumt haben, in den Sommerferien zwei Wochen freiwillig (!) nachsitzen sollen –, anstatt im Freibad Arschbomben zu machen.

Herr Kultusminster, ich weiß natürlich nicht, wie cool Sie als Kind dieses Angebots gefunden hätten. Ich hätte mich als pubertierender Synapsenhaufen sicher für die Arschbomben entschieden. In diesen Nachhilfestunden, so mein Verdacht, werden die guten bis mittelmäßigen Schülern hocken, entsendet von Eltern, die noch erkennen, dass das Plusquamperfekt nicht hundertprozentig sitzt. Aber was ist mit denen, die gemeint sind? Ey Digga, gehst du Mathe?

Spannend finde ich auch Ihren Ansatz, den Zusatzunterricht für 20 Millionen Euro von Pensionisten und Seiteneinsteigern leisten zu lassen. Weil die etatmäßigen Lehrer kollektiv vom Home-Schooling zu geschlaucht sind. Wirklich alle?

Doch da Geld schon mal keine Rolle spielt und auch nicht wichtig ist, wann die Wissensvermittler ein Lehramtsstudium absolviert haben und ob überhaupt, sollten wir dann nicht gleich mehr hinterfragen? Müssen wir Kinder – Übertreibung macht anschaulich – weiter wie Stopflebern behandeln, damit der heilige Lehrplan eingehalten wird? Sollten Akademiker weiter hauptsächlich Akademiker*innen aufziehen und Arbeiter*innen weiter Arbeiter*innen? Müssen wir die mutmaßlich Guten von den mutmaßlich Schlechten grundsätzlich so früh separieren, dass sich beide später nur noch treffen, wenn ein Amazon-Paket geliefert wird? Alles sehr pauschal, ich weiß. Allerdings befürchte ich, dass die Komplexität von Bildung oft als Ausrede für die Verwaltung des Stillstands hergenommen wird.

Herr Kultusminister, ganz konkret: Ich will zum Beispiel, dass Grundschüler zwingend vor einer Hecke stehen, wenn sie das "Leben in der Hecke" durchnehmen. Und ich wünsche mir eine Ganztagesregelschule für alle, an der Lehrer die Zeit finden, Schüler*innen auch mal individuell etwas zu erklären, ohne dass das gleich Förderunterricht heißt. Vielleicht, Herr Piazolo, denken Sie in den Ferien darüber nach. Freiwillig natürlich.

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