Zwangssexualisierung? Scharfe Kritik an Gender-Plänen des Dudens

24.1.2021, 05:55 Uhr
Der Duden ändert 2021 online alle 12.000 Personenbeschreibungen im Zuge der geschlechtergerechten Sprache. In der gedruckten Ausgabe bleibt vorerst noch alles beim Alten.

© Frank May, NN Der Duden ändert 2021 online alle 12.000 Personenbeschreibungen im Zuge der geschlechtergerechten Sprache. In der gedruckten Ausgabe bleibt vorerst noch alles beim Alten.

Ein Gespenst geht um in der deutschen Sprache und das heißt "Zwangssexualisierung". Ein schwieriges, unmögliches Wort, eines, das missverstanden werden kann, das auch ein wenig übertrieben klingt vielleicht. Gemeint ist hier natürlich nicht, dass der Mensch zur Liebe verdonnert werden soll oder sein natürliches, von Geburt an bestimmtes Geschlecht verändern muss.


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Es geht um weitaus weniger und doch, glaubt man den Kritikern, um Grundsätzliches. Der Streit ist ausgebrochen um drei kleine Wörtchen: "der" und "die" und "das" stehen im Mittelpunkt, und seit die Duden-Redaktion angekündigt hat, in der neuen Online-Ausgabe des Wörterbuchs bis Ende 2021 alle Berufs- und Personenbezeichnungen zu "gendern", wird der Schrei der Gegner dieser Entscheidung lauter: "Der Duden setzt so seinen Status als ‚Standardwerk‘ aufs Spiel", sagt etwa Professor Walter Krämer, Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache (VDS).

Und damit steht er nicht allein: Einen Aufruf gegen die Veränderungen haben bislang weit über 50 Autoren, Prominente, Wissenschaftler und Publizisten unterschrieben – von Gloria von Thurn und Taxis bis Wolfgang Thierse, von Monika Maron bis Doktor Dietrich Grönemeyer.

Kein Bäcker ohne Bäckerin

Sie alle eint die Furcht davor, dass nun auch offiziell festgeschrieben wird, was sich im Umgangssprachlichen langsam durchsetzt: wer "der Bäcker" sagt, darf auch "die Bäckerin" nicht vergessen. Rundfunksprecher legen eine kurze Atempause ein, wenn sie vom "Mitarbeiter" sprechen und dann ein "innen" nachschieben; die hochgestellten Sternchen und das "Binnen-I" im neuen Schriftgebrauch lassen sich zwar schlecht artikulieren, müssen aber zumindest irgendwie dazu gedacht werden; das "dritte Geschlecht" bekommt nicht nur eigene Toiletten-Signets, es verlangt auch quasi nach "Mitsprache" und seinen/ihren Platz neben Frauen und Männern.


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"Der Kunde", so argumentiert der Duden, sei ausschließlich ein Mann. Und auch mit dem Plural "die Kunden" würden die Frauen nicht gemeint sein und ausgegrenzt werden. Alles Quatsch, kontert der VDS: "Mit seiner Aussage, das sogenannte generische Maskulinum sei nie geschlechtsneutral gewesen, ignoriert der Duden wissentlich die gewachsene Grammatik und die amtlichen Regeln der deutschen Sprache," so Krämer. "Dass ausgerechnet der Duden sich dafür hergibt, einer Ideologie zu folgen, statt die Feinheiten der deutschen Sprache sensibel zu behandeln, ist nicht nachvollziehbar." Hier werde "eine falsche Realität vorgegaukelt".

Das ganze Problem kann man sich im wahren Wortsinn auf der Zunge zergehen lassen – und bemerkt beim Schlucken der neuen Regeln möglicherweise einen bitteren Nachgeschmack. Dass das "Gendern" – laut Duden der "geschlechtsgerechte Sprachgebrauch" – in Mode ist, lässt sich kaum mehr überhören. Stellenausschreibungen kommen längst nicht mehr ohne die zumindest schriftlich sichtbare Gleichberechtigung aus; besonders in künstlerischen Genres wird oft mehr Wert auf die Beachtung aller Geschlechter gelegt als auf die Kompetenz, die für einen Beruf mitzubringen ist; wer heute das "die" nach dem "der" vergisst, gilt als diskriminierend und emanzipationsfeindlich.

Die Gegner dieser manchmal spitzfindigen Unterscheidungen sind jedoch der Meinung, dass sich in einer Gesellschaft augenscheinliche Benachteiligungen kaum ändern werden, nur weil neben "dem Metzgereifachverkäufer" auch "die Metzgereifachverkäuferin" miterwähnt werden muss. "Der Pfleger" und "die Pflegerin" werden auch weiterhin mit zu niedrigen Löhnen geschlechtsneutral abgespeist.

"Sprachlich nicht eindeutig"

Und nun soll das, was Sprachbewahrer gerne als "Augenwischerei" abtun, auch noch offiziell Einzug ins Standardwerk, in die Sprachbibel der Deutschen, halten? Der Duden steht nämlich neuerdings auf dem Standpunkt, dass "bei Bezeichnungen wie die Angestellten; alle Schüler; Kollegen" es sprachlich nicht eindeutig ist, "ob nur auf Männer referiert wird oder ob auch andere Personen gemeint sind. Das Deutsche bietet eine Fülle von Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren."

Das mag sein, sagt Walter Krämer, aber nicht alles, was möglich ist, ist auch gleich richtig. Mit der Ankündigung, mehr als 12 000 Personen- und Berufsbezeichnungen mit weiblicher und männlicher Form in die Netz-Version des Werkes aufzunehmen, betreibe der Duden "eine problematische Zwangssexualisierung", die in der deutschen Sprache so nicht vorgesehen sei. Denn: Das biologische Geschlecht (Sexus) dürfe man keinesfalls mit dem grammatikalischen Geschlecht (Genus) gleichsetzen.


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"Der Engel" etwa ist, obwohl noch niemand ihn gesehen hat, mit Sicherheit geschlechtslos; "der Scherzkeks" kann auch eine Frau sein, man muss sie nicht "Keksin" nennen. Noch irrwitziger, finden die Verteidiger der "alten" Sprache, werde das Vorgehen des Dudens beim Plural: "die Ärztekammer" vertritt Ärztinnen und Ärzte gleichermaßen, ebenso wie das Finanzamt Geld vom "Steuerzahler" einzieht – unabhängig vom Geschlecht. Walter Krämer macht nur ein auch für ihn längst unabdingbares Zugeständnis: "Wenn wir konkrete Personen ansprechen, sagen wir selbstverständlich ‚Ärztin‘ oder ‚Lehrerin‘."

Die Linguistik-Professorin Helga Kotthoff findet, dass mit derartiger Kritik "über das Ziel hinausgeschossen wird." Es sei nun einmal nachgewiesen, dass ein Text, der sich von oben bis unten um "den Lehrer" drehe, das Maskuline verstärke: "Es kann uns doch niemand erzählen, dass dann vor dem inneren Auge eine Lehrerin auftaucht." Ihr pflichtet der Wissenschaftler Anatol Stefanowitsch bei, wenn er sagt, die Bewahrer wollten "mit Vollgas zurück in die Vergangenheit", den ganzen VDS als "reaktionär" einstuft und ihm gar "Anschluss an rechtspopulistische Diskussionen" vorwirft. Verdiente sprachsensible Stilisten vom alten Schlag wie Wolf Schneider ("Deutsch für Kenner") dagegen halten alle gendergerechten Anstrengungen schlichtweg für eine "Verhohnepiepelung der deutschen Sprache."

"Frau Doktor Friedrich Müller"

Diese Sprache hat es in den letzten Jahrhunderten weit gebracht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich eine (auch nicht promovierte) Gattin darüber mokierte, wenn man sie nicht mit dem Namen ihres Mannes ansprach: "Frau Doktor Friedrich Müller" etwa, und auf dem Türschild meiner Eltern stand noch im vergangenen Jahrhundert "Fam. Hermann Noack". Vieles änderte sich stillschweigend, automatisch, weil es augenscheinlich nicht unbedingt ans Diskriminierende, gehörig jedoch ans Absurde grenzte.

Sprache ist flexibel, passt sich neuen Verhältnissen an. Als Alltagsmittel reagiert sie von sich aus, ohne dass man ihr Vorschriften macht. Sie kann ausgleichend und entrümpelnd wirken – "Fräulein" kommt heute nur noch literarisch vor. Sie neigt aber auch dazu, sich selber zu verleugnen, zu verstümmeln: Die fragmentarischen Sätze mit ihren Geheimausdrücken, die Jugendliche heute verwenden, sind der stotternden SMS-"Kultur" geschuldet. Goethe hatte wohl Recht: "Nicht die Sprache an und für sich ist richtig, tüchtig, zierlich, sondern der Geist ist es, der sich darin verkörpert."

Abschaffen aber lässt sie sich nun einmal nie. Also wird um sie gerungen, wenn auch nur der Verdacht aufkommt, ihr könnte etwas zuleide getan werden. Bis hinauf in die obersten Justizetagen. "Mieter: Substantiv, maskulin – männliche Person, die etwas gemietet hat." So steht es im Duden – Frauen könnten demnach keine Mieter sein. Damit widerspreche das Regelwerk aber nicht nur den Regeln der deutschen Grammatik, meint der VDS, sondern auch dem Bundesgerichtshof, der im März 2018 letztinstanzlich festgehalten hätte, dass mit der Bezeichnung "der Kunde" Menschen jeglichen Geschlechts angesprochen seien. Die Beschwerde der Klägerin, die von ihrer Sparkasse mit "Kundin" angeredet werden wollte, wurde vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.

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