"Bundeskanzler/in": Sprachforscherin fordert gendergerechtes Grundgesetz

15.1.2021, 10:36 Uhr
Eine Studentin hält ein Grundgesetz in der Hand: Das Gesetzeswerk sichert Gleichberechtigung zu, benachteilige aber selbst mit seiner Sprache Frauen, findet Linguistin Luise F. Pusch, eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik in Deutschland.

© Friso Gentsch/dpa Eine Studentin hält ein Grundgesetz in der Hand: Das Gesetzeswerk sichert Gleichberechtigung zu, benachteilige aber selbst mit seiner Sprache Frauen, findet Linguistin Luise F. Pusch, eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik in Deutschland.

Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch fordert eine geschlechtergerechte Überarbeitung des Grundgesetzes. Mit der Verwendung ausschließlich männlicher Bezeichnungen wie "Bundeskanzler" und "Bundespräsident" verstoße die Verfassung gegen den in ihr selbst verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung, sagte Pusch dem "Evangelischen Pressedienst (epd)". "Damit wird sprachlich ganz deutlich suggeriert, dass die Person im Amt ein Mann sein soll, was Frauen klar benachteiligt", findet Pusch.

Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch fordert eine geschlechtergerechte Umformulierung des Grundgesetzes. Mit der Verwendung ausschließlich männlicher Bezeichnungen wie "Bundeskanzler" und "Bundespräsident" verstoße die Verfassung gegen den in ihr selbst verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung.

Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch fordert eine geschlechtergerechte Umformulierung des Grundgesetzes. Mit der Verwendung ausschließlich männlicher Bezeichnungen wie "Bundeskanzler" und "Bundespräsident" verstoße die Verfassung gegen den in ihr selbst verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung. © Sabine Wunderlin, epd

Mit der geplanten Streichung des Begriffs "Rasse" aus dem Grundgesetz könne dann auch gleich das sogenannte generische Maskulinum ersetzt werden. Das Bundesjustizministerium teilte jedoch auf epd-Anfrage mit, ein Gendern des Grundgesetzes sei nicht geplant.

Frauen müssen explizit erwähnt werden

Pusch erklärte, psycholinguistische Tests zeigten immer wieder, dass an Frauen nur gedacht werde, wenn sie auch explizit erwähnt würden. Somit sei das generische Maskulinum - anders als von konservativen Sprachforschern dargestellt - nicht geschlechtsneutral. Frauen hätten den Anspruch, "nicht nur mitgemeint zu sein, sondern auch tatsächlich erwähnt zu werden", sagte die Wissenschaftlerin, die als eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik in Deutschland gilt.

Die Hannoveranerin sprach sich dafür aus, im Grundgesetz entweder sowohl die männliche als auch die weibliche Form oder wo möglich neutrale oder abstrakte Begriffe zu verwenden. Im Sprachgebrauch setzten sich neutrale Ausdrücke wie "Studierende" oder "Geflüchtete" zunehmend durch, sagte die Linguistin. Als Beispiele für abstrakte Formulierungen nannte die Wissenschaftlerin etwa "Kamera" und "Regie" im Abspann von Filmen statt "Kameramann" und "Regisseur".

"Selbstverständlich alle Menschen"

Eine Sprecherin des Justizministeriums in Berlin betonte, dem Grundgesetz liege eine geschlechterdiskriminierende Intention fern. Das ergebe sich eindeutig aus Artikel 3 zur Gleichberechtigung. "Auch dort, wo das Grundgesetz grammatisch männliche Personenbezeichnungen verwendet, beziehen sich diese selbstverständlich auf alle Menschen", erklärte sie. Daher hätte eine Umformulierung des Grundgesetzes in rechtlicher Hinsicht keine Auswirkungen.


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Pusch begrüßte ferner die angekündigte Änderung des Online-Dudens in gendersensible Sprache. "Das ist ein wichtiger Schritt, Frauen nicht mehr als nur vom Mann abgeleitet, sondern mit einem eigenen Eintrag darzustellen", betonte sie. Der Duden-Verlag hatte angekündigt, künftig für alle Personen- und Berufsbezeichnungen im Online-Wörterbuch je einen Wortartikel für die männliche und die weibliche Form aufzuführen, wie beispielsweise für "Ärztin" und "Arzt".

Insgesamt seien bei der geschlechtergerechten Sprache zuletzt wichtige Fortschritte erzielt worden, resümierte die 77-jährige Expertin, die an den Universitäten in Hannover, Duisburg, Konstanz und Münster gelehrt hat. Sie verwies etwa auf den Knacklaut, eine Sprechpause zwischen einer männlichen Personenbezeichnung und einer weiblichen Endung, der zunehmend auch im Radio zu hören sei: "Dieser ,glottal stop' verdeutlicht, dass alle Geschlechter gemeint sind: weiblich, männlich, nicht-binär."

"Nicht immer bequem"

Solche Änderungen seien für sprach-konservative Menschen zwar nicht immer bequem, räumte Pusch ein. "Aber wir müssen uns fragen, was der höhere Wert ist: Gerechtigkeit oder Gewohnheit und Bequemlichkeit?", betonte sie.

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