Der Auftakt zum Holocaust

Hetze und Hass: Die Pogromnacht 1938 in Roth und Schwabach

9.11.2021, 06:04 Uhr
Die Synagoge in Roth wurde beim von den Nazis „Reichskristallnacht“ genannten Pogrom schwer demoliert.  

© Yad Vashem Archives Die Synagoge in Roth wurde beim von den Nazis „Reichskristallnacht“ genannten Pogrom schwer demoliert.  

Am 7. November 1938 löste das Attentat von Herschel Grynszpan auf den NS-Diplomaten Ernst vom Rath in Paris eine Welle der antisemitischen Gewalt aus. In einer Rede vom 9. November propagierte Joseph Goebbels, dass der Tod des Diplomaten das Ergebnis einer Verschwörung des Weltjudentums sei und man mit einer „Entfesselung des Volkszorns“ reagieren müsse.

Schäden an der bereits leerstehende Rother Synagoge nach den Novemberprogromen von 1938.

Schäden an der bereits leerstehende Rother Synagoge nach den Novemberprogromen von 1938. © Yad Vashem Archives

Der nationalsozialistischen Führung kam ein solches Ereignis gelegen, um gegen jüdischen Besitz vorzugehen. So plünderten und zerstörten örtliche Verbände und SA-Gruppierungen jüdische Geschäfte und Privateigentum. Die Beteiligung von weiteren Personen ist schwer zu beantworten und auch in der Forschung umstritten. Institutionen wie Polizei und Feuerwehr blieben tatenlos und Privatleute wurden häufig selbst zu Gaffern oder Marodeuren. Beispiele hierfür sind der Brand der Nürnberger Synagoge und das aktive Handeln der Erlanger Polizei gegen die jüdische Zivilbevölkerung.

Die nationalsozialistische Rhetorik wandelte den Begriff der zeitgenössischen „Rath-Woche“ zur „Reichskristallnacht“. Der beschönigende Propagandabegriff ist aus dem Sprachgebrauch der meisten Menschen verschwunden. Dennoch tauchen Überreste der nationalsozialistischen Rhetorik in der Öffentlichkeit auf und bedürfen einer kritischen Betrachtung. In der Forschung setzt sich zunehmend der Begriff der „Novemberpogrome“ durch, um alle Opfer der Gewaltexzesse zu würdigen. Doch nicht nur in Nürnberg oder Fürth kam es zu antisemitischer Gewalt, sondern auch in Schwabach, Roth und Umgebung.

Vom Schutzbrief zum Pogrom

Der früheste Beleg einer jüdischen Gemeinde in Roth ist ein Schutzbrief für den Juden Nathan aus dem Jahr 1542. Darin garantiere der Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg Schutz für die kleine jüdische Gemeinde. Diese siedelte in der ehemaligen Judengasse, die man späterin Kugelbühlstraße umbenannte. Die Synagoge der jüdischen Gemeinde wurde 1737 in der heutigen Kugelbühlstraße 44 erbaut. Des Weiteren bestand eine jüdische Mikwe in der Kugelbühlstraße 4.

Dieses Foto zeigt die Folgen der Gewalt in der Rother Synagoge. Heute erinnern Veranstaltungen in Roth und Schwabach an die Pogromnacht am 9. November 1938.  

Dieses Foto zeigt die Folgen der Gewalt in der Rother Synagoge. Heute erinnern Veranstaltungen in Roth und Schwabach an die Pogromnacht am 9. November 1938.   © Yad Vashem Archives

Doch bereits 1935 verließen die letzten Angehörigen der jüdischen Gemeinde die Kreisstadt. Die Posten von Angehörigen der Hitlerjugend und der Boykott jüdischer Geschäfte, trieben die Geschäftsleute in den wirtschaftlichen Ruin. Im Jahr 1935 verkaufte die letzte jüdische Familie ihren Besitz in Roth. Die Rother Volkszeitung und die Fränkische Tageszeitung berichteten in den Ausgaben vom 6. und 8. Januar 1936, dass die Stadt Roth „völlig judenfrei“ wäre. Am darauffolgenden Tag demolierten Unbekannte die Synagoge.

In Roth kam es somit schon vor den Novemberpogromen 1938 zu Gewalt gegen Juden. Überall in Mittelfranken habe die „Bevölkerung ihrer Erregung endlich Luft gemacht, nachdem sie bis dahin geschwiegen und vorbildliche Disziplin gezeigt hatte" - so war es in der Ausgabe der Rother Volkszeitung vom 11. November 1938 zu lesen.

Die seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten als Mittel der Propaganda gleichgeschalteten Lokalzeitungen sollten ihre Leser ideologisch beeinflussen. So schwelgt das Blatt im damaligen NS-Jargon förmlich von dem „hellhörig gewordenen Volk von Franken“, das nun eine „handgreifliche Warnung an das Judentum“ gegeben habe.

Das Gebäude der ehemaligen Synagoge und die Gedenktafel an der Stelle der Mikwe sind heute die letzten Spuren der einstigen jüdischen Gemeinde in Roth und Orte der Erinnerung. Im Gedenkbuch der verfolgten Juden unter der NS-Gewaltherrschaft werden 23 gebürtige Rother als Opfer aufgeführt.

Demonstrationen mündeten in Gewalt

Für die Geschehnisse in Schwabach gibt es heute noch zwei wesentliche Quellen. Zum einen den Bericht im Schwabacher Tagblatt, zum anderen den „Lagebericht für den Monat November 1938“ der Schwabacher NSDAP-Führung unter Kreisleiter und Bürgermeister Wilhelm Engelhardt vom 5. Dezember an die Regierung von Mittelfranken. Einen sehr guten Überblick liefert der Aufsatz „Schwabach und seine Juden“ von Stadtarchivar Wolfgang Dippert im Buch „Vergessen und verdrängt“ über Schwabach von 1918 bis 1945.

So sah die Schwabacher Synagoge innen aus. Das Haus wurde noch vor der Pogromnacht an eine Brauerei verkauft und wohl deshalb nicht zerstört.  

So sah die Schwabacher Synagoge innen aus. Das Haus wurde noch vor der Pogromnacht an eine Brauerei verkauft und wohl deshalb nicht zerstört.   © Stadtarchiv Schwabach

„Die feige jüdische Mordtat in Paris hat auch in der Stadt Schwabach große Erbitterung der Bevölkerung gegen die Juden hervorgerufen“, heißt es im NS-Lagebericht, als sei dies eine Rechtfertigung. „In der Nacht vom 9. auf den 10. November demonstrierten erbitterte Einwohner vor Häusern, in denen Juden wohnten.“

Wolfgang Dippert schreibt: „Außerdem blieb es, wie Zeitzeugen bestätigen, nicht nur bei Demonstrationen, sondern es wurden auch Fensterscheiben eingeschlagen.“ Zwei Juden sind „in Schutzhaft“ — so nannte die NSDAP die schikanösen Verhaftungen — genommen und erst nach einigen Tagen wieder entlassen worden.

„Gedenken“der Nazis

Am selben Abend veranstaltete die NSDAP im damaligen Bärensaal eine „Gedenkstunde für die Blutzeugen der Bewegung am 9. November 1923“. Ortsgruppenleiter und Zweiter Bürgermeister Fritz Moezer hielt die Gedenkrede. Nach Dipperts Recherchen ist es deshalb „sehr wahrscheinlich“, dass auch bei den Schwabacher Übergriffen die NSDAP „im Hintergrund agierte“.

Während in vielen anderen Städten die Synagogen in Flammen aufgingen, blieb die Schwabacher unangetastet. „Dass die Synagoge nicht geschändet und angezündet wurde, lag wohl allein daran, dass sie bereits seit Monaten verkauft war und sich inzwischen in ,arischem‘ Besitz befand“, schreibt Dippert. Neuer Eigentümer war die Brauerei Weller.

Die Jüdische Gemeinde hatte sich 1937 zum letzten Mal versammelt. In diesem Jahr fand wohl auch der letzte Gottesdienst in der Synagoge statt. Schwabachs letzter Rabbiner Dr. Salomon Mannes war 1936 nach Frankfurt/Main und später nach London gezogen. Wahrscheinlich lebten bereits seit dem Mittelalter Juden in Schwabach. Der Bereich um die Synagogengasse zeugt noch heute von dieser langen Geschichte.

Doch bereits im 19. Jahrhundert war die Zahl der Juden stark rückläufig. Der Druck der Nazis hat diese Entwicklung verschärft. Dippert verweist auf Kaufboykotte, letztlich seien einige Geschäftsinhaber „in den Ruin getrieben“ worden. So lebten am 9. November 1938 nur noch 14 Juden in der Stadt. Laut Lagebericht der NSDAP sind auch sie noch im November weggezogen. Stolz wird der Regierung mitgeteilt: „Somit ist in Schwabach kein Jude mehr wohnhaft.“

Auch auf dem Land

In Thalmässing lebten 1933 noch 33 Juden. Schon kurz nach der Machtübernahme der Nazis wurden im März 1933 in mehreren jüdischen Geschäften die Fenster eingeschlagen. Im Juni oder Juli 1933 drangen Nazis in das israelitische Schulhaus ein, in dem die Familie Rachelsohn wohnte. Sie zerschlugen Fenster, Türen, Möbel und ein Klavier. Außerdem wurden sämtliche Schmucksachen und Bargeld gestohlen.

In der Pogromnacht 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge vernichtet, bei den jüdischen Geschäften wurden alle Fenster eingeschlagen. Auch der Friedhof wurde geschändet. Die Juden selbst wurden verhaftet und ins Gefängnis nach Hilpoltstein gebracht. Die jüdischen Kaufleute wurden gezwungen, ihre Geschäfte zu verkaufen.

Else Geiershoefer, die Witwe von Otto Geiershoefer, und ihr Sohn Erik, die den Betrieb der leonischen Drahtzugsindustrie im Allersberger Gilardihaus gemeinsam führten, wurden am 10. November 1938 frühmorgens von der Gestapo festgenommen, SA-Leute verwüsteten das Gilardihaus. Mit Vertrag vom 28. November 1938 wurde die Allersberger Firma Jacob Gilardi „arisiert“ und ging an die Weißenburger Firma „Leichtmetall-Drahtwerke Hermann Gutmann“ über. Else Geiershoefer starb im Ghetto Lodz.

Ende einer langen Geschichte

Die Jahrhunderte alte eigenständige Geschichte des Georgensgmünder Judentums fand im Jahre 1936 ihr Ende. Am 21. Januar 1939 schrieb die „Fränkische Tageszeitung“: „Die einstige Juden-Hochburg Georgensgmünd ist nunmehr ein Hort deutscher Art, seit der Wende des Jahres 1936 ist Georgensgmünd judenfrei... Sie waren Güterzertrümmerer und Hopfengartenversteigerer.“ Die letzten noch in Georgensgmünd lebenden Juden – es sind 13 an der Zahl – wurden Ende 1938 kurzfristig ausgewiesen.

Das Aufstellen weiterer Hinweise und sichtbarer Spuren der jüdischen Gemeinde in Roth könnte in Zukunft diskutiert werden. Ein Denkanstoß könnte das Einfügen von „Stolpersteinen“ in das Stadtbild der Innenstadt sein. In Schwabach gibt es solche Stolpersteine als Erinnerung bereits.

Zwei Gedenkveranstaltungen

Roth: Am Dienstag, 9. November, lädt die Kreis-SPD zur traditionellen Lichterkette gegen Fremdenfeindlichkeit ein. Ab 18 Uhr sind auf dem Rother Marktplatz sprechen unter anderem Landrat Herbert Eckstein und Roths momentaner Bürgermeister Andreas Buckreus.

Schwabach: Die Stadt erinnert in einer Gedenkstunde unter den Rathaus-Arkaden am Dienstag, 9. November, um 17.30 Uhr an die Pogromnacht von 1938.

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