"13 Reasons Why": Wie Teenie-Serien erwachsen wurden

17.5.2018, 17:16 Uhr

© Beth Dubber/Netflix

KiKa, Nickelodeon, Super RTL oder große Privatsender wie RTL und ProSieben. Das waren in Deutschland bis vor wenigen Jahren noch die Hauptanlaufstellen von serienaffinen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich ließen die Sender Formate für die ganz Jungen produzieren, immer galt es dabei aus Produzentensicht, die jungen Zuschauer nicht mit zu komplexen oder ernsten Themen zu überfordern oder abzuschrecken. Im Jahr 2018 ist die Strategie, junge Serienfans in Watte zu packen, längst überholt. Damit verloren viele Formate für Teenager auch ihre Unschuld. Am deutlichsten zeigte dies wohl die erste Staffel der Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht", im Original "13 Reasons Why". Mobbing, Depressionen, Vergewaltigung und Suizid behandelte das Teen-Drama, das der Streaming-Anbieter am 18. Mai mit einer zweiten Staffel fortsetzte.

Wer davon ausgeht, eine Serie mit jugendlicher Zielgruppe und gleichzeitig derartig bedrückenden Themen, sei eine extreme Ausnahmeerscheinung, der irrt. Vor allem mit dem Start des Video-On-Demand-Anbieters Netflix und dessen gewaltigen Ausgaben in Sachen Eigenproduktionen überschwemmten Serien für und mit Teenagern den Serienmarkt in den vergangenen Jahren. Netflix öffnete damit eine Tür für eine Art von Serienformaten, die vorher in Deutschland kaum denkbar waren. Zu familienfreundlich gaben sich die linearen TV-Stationen, zu wenig trauten sie ihren jungen Zuschauern zu.

Teenie-Serien: Von einer Randerscheinung zum TV-Trend

Netflix, das aufgrund ausbleibenden Quotendrucks einen viel größeren Spielraum hat als Fernsehsender, produzierte seit 2012 eigene Serien. Darunter fanden sich auch Formate für junge Zuschauer, doch dabei handelte es sich zunächst nur um Kinderprogramme für die Kleinsten der Kleinen. Knapp sechs Jahre später unterhält der US-Medienkonzern Teenie-Serien verschiedenster Coleur. Nostalgie-Comedies wie "Everything Sucks!", Highschool-Satiren wie "American Vandal", Teenie-Soaps wie "Riverdale" oder Mystery- und Sci-Fi-Stoffe wie "The OA" und "Stranger Things" zieren die Online-Mediathek.

Erst letzteres Format um eine Gruppe von 12-Jährigen verdeutlichte Netflix im Jahr 2016 das Potenzial von Teenie-Formaten, die ihre Zielgruppe und ihre jugendlichen Figuren wirklich ernst nehmen – ein entscheidendes Detail, das Serien im Fernsehen meist versäumten. In kurzer Zeit entwickelte sich das Retro-Sci-Fi-Drama mit unzähligen 80er-Jahre-Referenzen zum Popkultur-Phänomen. Erst danach entschied Netflix, immer mehr junge Figuren ins Zentrum neuer Serien zu rücken. Auch das Fernsehen wurde auf den sich anbahnenden Trend aufmerksam und tat es dem Streaming-Riesen gleich.

So wurden Serien über Teenager endlich erwachsen und aus stereotypen Charakter-Schablonen wie dem coolen Highschool-Sportler, dem nerdigen Außenseiter oder der Schul-Schönheit wurden dreidimensionale Figuren. Damit verabschiedeten sich die auf Jugendliche zugeschnittenen Serien auch vom alleinigen Ziel, nur unterhalten zu wollen. Serien behandelten endlich reale Themen, die Teenager wirklich beschäftigten und halfen ihren Zuschauern damit auch bei der Entwicklung. Mut ("Stranger Things"), Familie ("Eine Reihe betrüblicher Ereignisse"), Pubertät ("Big Mouth"), Andersartigkeit ("The End oft he F***ing World") oder psychische Probleme ("Everything Sucks!") waren nur einige der Themen, mit denen sich Teenie-Serien plötzlich ernsthaft auseinandersetzten und so einen echten Mehrwert erhielten.

Mit dem Anspruch stieg die Verantwortung

Doch indem Serien nun endlich die realen Probleme von Teenagern ansprechen, erhöht sich auch die Verantwortung der Serienschaffenden – und die Gefahr, durch Fehler auch einen negativen Einfluss auf die jugendlichen Zuschauer zu haben. Um die Aufmerksamkeit junger Menschen zu erhalten, müssen sich Serien heutzutage Stilmittel bedienen, um die Geschichte für Teenager wirklich einnehmend zu gestalten. Häufig begehen Formate dabei den Fehler, die Produktionen durch visuelle Details stylisher zu machen, wodurch die Qualität der Handlung leidet. Andere Autoren sind unterdessen häufig den Themen nicht gewachsen, die sie sich in Teenie-Serien endlich trauen anzusprechen.

So erzeugte die gerade fortgesetzte Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht" große Kritik aufgrund einer vermeintlichen Romantisierung von Suizid. Die erste Staffel handelte von der jungen Außenseiterin Hannah Baker, die auf Audio-Kassetten 13 Gründe festhielt, warum sie sich das Leben nahm, diese an ihre Mitschüler verschickte und damit streng genommen ihr makabres Ziel erreichte, das Leben derer, die sie ihrer Aussage nach in den Selbstmord trieben, zu zerstören und Aufmerksamkeit zu erhalten. Schließlich zeigte die Serie noch die sehr explizite Szene ihres Suizids. Jugendschützer schrien auf und Netflix musste mit einer Dokumentation zurückrudern, in der Darsteller und Beteiligte an der Serie die Handlung einordneten, aufklärten und warnten. Vor den neuen Episoden lässt Netflix nun jeweils eine Warnung an sensible Zuschauer einblenden.

"Tote Mädchen lügen nicht" steht sinnbildlich für die Errungenschaft von Netflix, den Weg für anspruchsvolle und authentische Teenie-Serien geebnet zu haben. Es ist ein Segen für Menschen, die wirklich etwas über junge Menschen zu erzählen haben und am meisten für junge Menschen selbst. Doch bei der Ausarbeitung der Formate müssen Serienschaffende vielleicht so sensibel sein wie bei keiner anderen Art von TV-Produktionen.

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